Nachdem sich 1892 nur eine Ballonfahrt nachweisen lässt, sah es im Jahre 1893 ein wenig besser aus. Ab Ende August sind wieder Ballonaufstiege in Chemnitz zu verzeichnen, über die ich in diesem Artikel berichten möchte.
Noch immer war der Wirt des Gasthauses Linde bestrebt, die Starts in seinem Garten durchzuführen, doch auch die Ausstellungen der Ballone und Fallschirme ließen sich gut vermarkten.
Richard Feller hatte im Frühjahr 1893 einen neuen Ballon angefertigt. Aus 400 m feinstem Batist (ein sehr feinfädiger, leicht gewebter Stoff) wurde in 16 Bahnen von je 17 m Länge die Ballonhülle zusammengenäht. Sie besaß einen Durchmesser von 11 Metern und konnte 650 m³ Gas fassen. Der neue Ballon wurde auf den Namen der sächsischen Königin „Carola“ getauft. Mit diesem war er wieder – hauptsächlich in Sachsen – unterwegs. Nicht ganz uneigennützig, war doch die Herstellung, Unterhaltung und auch der Transport des Ballons samt Zubehör mit erheblichen Kosten verbunden.
Zur ersten Auffahrt in Chemnitz am 20.August 1893 stieg wieder einmal eine Frau in den Ballonkorb zu Richard Feller, es war die Schwägerin von Paul Spiegel, der die Auftritte organisierte. Nach einer Fahrt von einer Stunde, bei großartiger Fernsicht, landete man unfallfrei in der Nähe von Schlegel bei Hainichen. Der Ballon erreichte dabei eine Höhe von 2.600 m Höhe und die Passagiere konnten sich bei gerade mal noch 2 Grad erfrischen.
Am darauffolgenden Sonntag sollte ein Jubiläum gefeiert werden. Robert Feller, der wohl eifrigste Ballonfahrer in Sachsen zur damaligen Zeit, startete am 27.August 1893 zu seiner 200. Auffahrt, diesmal begleitet von Paul Spiegel selbst. Vor dem Start überreichte Spiegel dem Jubilar im Namen hiesiger Sportsfreunde eine silberne Anerkennungsmedaille. Trotz ungünstiger Witterung, andauernder Regen und Wind, starteten beide um 6:15 Uhr abends mit dem festlich geschmückten Ballon. Beim Start verfing sich die Gondel nach einem Windstoß in einem Baum, konnte aber von den hilfreich zur Seite stehenden Mannschaften der Feuerwehr befreit werden. Unter Jubelrufen der zahlreichen Zuschauer stieg der Ballon schnell Richtung Osten auf und verschwand in den dichten Wolken. Er stieg weiter, drehte sich dann südlich und erreichte ungefähr bei Grünhainichen die größte Höhe von 3.400 m bei -4 °Celsius. Von Schneeschauern überrascht wurde durch Ventilöffnung der Ballon zum Fallen gebracht und die Umgebung von Olbernhau sichtbar. Die Gegend erwies sich aber ungünstig zum Landen, erst bei Blumenau zeigte sich eine große Wiesenfläche. Der ausgeworfene Anker haftete nicht auf dem steinigen Boden. So gelang es erst nach einigen 100 m den noch halbgefüllten Ballon zum Stehen zu bringen, die beiden Luftschiffer erlitten dabei empfindliche Hautverletzungen. Nur dank tatkräftigen Eingreifens Blumenauer Bürger konnte der Ballon festgehalten werden. Die Reisenden übernachteten im Erbgericht in Blumenau, wo sie gepflegt wurden. Sie kehren erst am Montagnachmittag mittels Eisenbahn nach Chemnitz zurück.
Auch der nächste Sonntag, der 3.September, war für einen Aufstieg Fellers reserviert. Diesmal konnte der Gewinner eines Loses den Ballonfahrer begleiten. Nach anfänglicher Skepsis und Gegenreden seiner Frau und Kinder trat er die Luftreise an, die glatt von Statten ging. Bei schönstem Sonnenschein bot sich den beiden Luftschiffern auf Ihrer Reise ein herrlicher Anblick des Erzgebirges. Der Ballon erreichte bei 2 Grad Wärme eine Höhe von 2.800 m Höhe. Die Landung erfolgte auf Manöverterrain in der Nähe von Hilmersdorf bei Marienberg. Eine große Anzahl Soldaten des dort einquartierten Dresdner Schützenregimentes waren bei der Landung behilflich.
Noch einmal vom Gasthaus Linde startete R. Feller am 10.September 1893. 4.000 Personen hatten sich bei prachtvollem Wetter im Garten und auf den Straßen eingefunden. Auch zu dieser Fahrt wurden Lose verkauft, jedoch die beiden Losnummern, die zur Mitfahrt berechtigten verspürten keine Lust. So meldete sich kurzerhand der Dekorationsmaler Carl Hähnel freiwillig und stieg mit dem erfahren Ballonführer auf. Der Ballon erreichte bei 3 Grad Wärme eine Höhe von 2.600 m Höhe. Die Landung erfolgte nach einstündiger Fahrt unter „einigermaßen schwierigen Umständen“ in Obersaida bei Großhartmannsdorf. Die durch den Wind erschwerte Landung ging glücklich aus.
Mit den 4 Ballonstarts konnte der Wirt der Linde, Herr Kirbach, sehr zufrieden sein. Mehr als 14.000 Gäste stellten an die Leistungsfähigkeit des Etablissements die größten Anforderungen. Woche für Woche diesen außerordentlichen Zuspruch zu bewältigen, zeugte von seinem Geschick, diese Veranstaltungen durchzuführen.
Und natürlich erkannten auch andere Wirte die Anziehungskraft der Ballonfahrten. Der Wirt des Altendorfer Schützenhauses veranstaltete mit R. Feller am 17.September die nächste Auffahrt in seinem Garten. Jedoch der ungenügende Gasdruck, der zum Füllen des 650 m³ großen Ballons benötigte wurde, und der am Nachmittag einsetzende Regen verhinderten die Fahrt. Man erkannte erst an diesem Tag, daß die Rohrleitung viel zu klein war, das benötigte Gas für die Füllung bereitzustellen. Die zahlreich eingefundene Zuschauerschaft musste unverrichteter Dinge den Heimweg antreten.
Trotz kalter Witterung waren am 24.September 1893 noch einmal 1.600 Zuschauer in den Gasthaus Linde gekommen, um einen weiteren Versuch Fellers beizuwohnen. Dort reichte der Gasdruck aus, die Hülle rechtzeitig zu füllen, so daß der Ballon 17.30 Uhr reisefertig dastand. Wiederum verzichteten die Gewinner der Lotterie auf die Mitfahrt. So konnte Paul Spiegel, der ja genug Erfahrungen auch bei schlechtem Wetter mitbrachte, den Aufstieg antreten. Bis in die damals noch nie erreichte Höhe von 3.750 Metern und -8° Celsius stieg der Ballon. Die mitgenommenen Brieftauben wurden in einer Höhe von 1.000 m befreit und kehrten nach Chemnitz zu ihrem Besitzer zurück. Die Landung erfolgte in einem Waldstück bei Oederan auf 25m hohen Fichten. Dabei verfing sich der Anker in den Baumkronen, das Tau musste von Feller abgeschnitten werden. Der Ballon erhob sich, um kurz darauf unter heftigem Aufprall auf freiem Feld zu landen. Ein 12jähriger Junge holte schließlich den Anker aus den schwankenden Wipfeln. Nachdem der Ballon entleert war hielten sie in Oederan Einkehr und trafen mittels Eisenbahn abends 23.30 Uhr wieder in Chemnitz ein.
Das auch damals bereits die Verwaltungsbehörden Einfluss in der schnell wachsenden Stadt auf Veranstaltungen hatten, können wir an dieser veröffentlichten Annonce zur letzten geplanten Auffahrt im „Gasthaus Linde“ erkennen. „Zufolge Straßenbauten in der Nähe des Lokals und den entstehenden Verkehrsstörungen wurde die Auffahrt behördlicherweise untersagt.“
Die Ausstellungen lockte dennoch, trotz starken Regens, fast 1500 Personen an und lieferte wiederholt den Beweis, welches Interesse seitens des Chemnitzer Publikums derartige Schaustellungen entgegengebracht wurde. Die Autoren der Zeitungsberichte, die ich hier auszugweise wiedergebe, verstanden es, ein zeitgenössisches Bild der Veranstaltungen und der Fahrten zu liefern. Freuen wir uns gemeinsam auf weitere Geschichten.
(Quellen: Div. Ausgaben des Generalanzeigers für Chemnitz und Umgebung und des Chemnitzer Tageblattes Aug/Sept 1893 zu finden unter SLUB-Dresden.de)