Die Ballonsaison 1894 begann in unserer Stadt relativ spät. Erst Anfang September wurden die Chemnitzer wieder Zeuge von einigen Auffahrten, natürlich unternommen vom Leipziger Richard Fellers und organisiert von seinem Freund Paul Spiegel.
Bei prächtigem Wetter verfolgten im Gasthaus zur Linde mindestens 2500 Zuschauer den ersten Aufstieg am 2. September. Die Glocke schlug 6 Uhr und der letzte Schlag war noch nicht verklungen, als das Kommando „Los!“ ertönte. Tausendstimmiges Bravo, und ein dreifacher Tusch der Kapelle begleitete den Aufstieg des Ballons „Carola“, bei dem der Losgewinner Hugo Peukert aus Chemnitz Feller begleitete. Zunächst nahm der Ballon den Weg Richtung Schloßteich, drehte sich auf Grund einer höheren Windströmung und nahm den Weg Richtung Freiberg. Lange Zeit konnten ihn die Chemnitzer beobachten. Der Ballon erreichte laut Höhenmesser 3600m bei außergewöhnlich warmen 15°C. Nach äußerst günstiger Fahrt ging er nach einer dreiviertel Stunde Fahrt auf Manöverterrain bei Eppendorf nieder, wo herzugeeilte Artilleristen bei der Landung und Bergung unterstützten. Nachts 11 Uhr kehrten Feller und sein Begleiter ins Gasthaus zur Linde zurück, wo sie von Freunden erwartet wurden.
Mit dem nächsten Aufstieg sollte es ein Novum in Chemnitz geben. Richard Feller plante zum 1.Mal eine Nachtfahrt. Diese gab es bisher nur mit wesentlich größeren Ballonen bis 2500 m³ Inhalt, unternommen von der deutschen Militärluftschifferabteilung und dem Verein zur Förderung der Luftschifffahrt in Berlin zu wissenschaftlichen Zwecken. Mit einem nur 650m³ fassenden Ballon, wie Richard Feller mit seiner „Carola“, hatte es noch keiner gewagt. Feller plante, die Nacht hindurch in der Luft zu bleiben und bei eintretender Morgendämmerung zu landen. Um den Ballon nachts verfolgen zu können, hatte er an der Hülle Reflektoren angebracht, die er von der Gondel aus beleuchten wollte. Die Auffahrt am 12. September mit Start 10 Uhr abends ging trotz rauer Witterung problemlos von statten. Wieder 1500 Zuschauer hatten sich im Gasthaus zur Linde eingefunden, dieses seltene Schauspiel zu verfolgen.
Für die beiden Luftschiffer, Feller begleitet von seinem Assistenten Zieger, muss es ein überwältigender Anblick gewesen sein, die beleuchtete Stadt von oben zu sehen. Die Nachtfahrt verlief aber anders als geplant. Nachdem der Ballon schnell Höhe gewann und bis auf 3200 m aufstieg, kühlte sich das Gas schnell ab, und Feller war gezwungen zu sinken. Eine ruhige Luftströmung verhinderte zudem ein Fortkommen. Innerhalb 2 Stunden kamen die Luftschiffer nur bis Zschopau. In der Nähe der Stadt beschloß man, die Landung vorzunehmen, jedoch ging diese bei herrschenden Aufwind nicht glatt von statten. Der Ballon und die Insassen mußten einige Zeit lang auf dem Boden schleifen, ehe der Anker fasste und der Ballon zum Halten gebracht werden konnte. Am darauffolgenden Donnerstagmittag trafen die Luftschiffer wohlbehalten wieder in Chemnitz ein.
Nur 3 Tage später hatte Feller wieder für eine Auffahrt annonciert. Ein glücklicher Losgewinner sollte ihn begleiten. Bei angenehmen Wetter fand diese am 16.September statt. Mehrere Tausend Personen hatten sich in der „Linde“ eingefunden, das interessante Schauspiel in Augenschein zu nehmen. Der Genuß war für die Anwesenden umso größer, erhob sich der Ballon bei Windstille fast schnurgerade über den Garten in die Höhe. Noch eine halbe Stunde war er sichtbar, schillerte von der Sonne beleuchtet in verschiedensten Farben. An der Auffahrt nahm ein Georg Kramer, Beamter in einer hiesigen Maschinenfabrik teil, nachdem der Gewinner der gezogenen Losnummer, ein Familienvater, freiwillig auf die Mitfahrt verzichtete. Pünktlich halb 6 Uhr nachmittags fand die Auffahrt, die prächtig verlief, statt. Nach einer herrlichen Fahrt von 1 Stunde und 20 Minuten ging der Ballon bei Kleinolbersdorf glücklich nieder.
Herr Kirbach, der Wirt des Gasthauses zur Linde, konnte auf Grund des großen Interesses Richard Feller für weitere Auffahrten gewinnen. Unaufhörlich trafen Anmeldungen bei ihm ein, von Personen, die sich an einer Ballonfahrt beteiligen wollten.
Die angekündigte nächste Fahrt am 23. September musste wegen ungünstiger Witterung abgesagt werden. Am 30.September konnten die Chemnitzer jedoch wieder in den Himmel schauen, als sich Feller wieder mit einem Passagier, Herrmann Matthes, in die Lüfte erhob. Kerzengerade stieg der Ballon auf und nahm seinen Kurs Richtung Zwickau. Die Fahrt, die 45 Minuten dauerte, war wieder eine Prächtige, der Ballon erreichte eine Höhe von 2800 m, wo 4 Grad Kälte zu verzeichnen waren. Bis nach Rödlitz bei Lichtenstein ging die Reise, wo auf Grund der gerade stattfindenden Kirmes viele hunderte Zuschauer der Landung beiwohnten. Der Enthusiasmus war groß, zahlreiche hilfsbereite Hände leisteten Feller beim Landen Beistand. Nachts 11 Uhr trafen Sie wieder wohlbehalten in der „Linde“ ein.
Die letzte Ballonauffahrt für dieses Jahr gestaltete sich bei Anwesenheit von reichlich 2500 Besuchern zu einer ganz besonderen Festlichkeit, da dem „Segler der Lüfte“, gemeint ist Richard Feller, zu seiner 222. Auffahrt am 7. Oktober ein Benefiz bereitet worden war. Mit einer Ansprache von Paul Spiegel, seines Freundes und mehrfachen Reisegenossen, begann der Nachmittag. Die Seidelsche Kapelle, die immer zu den Auffahrten im Gasthaus zur Linde spielte, huldigte ihn mit einem Luftschiffermarsch, der von einem ehemaligen Passagier, Herrn Peukert, eigens komponiert worden war. Mehrere Blumenspenden und ein Diplom, gestiftet von allen bisherigen Teilnehmern der Auffahrten unserer Stadt, wurden außerdem dem beliebten Feller überreicht.
„Kurz vor 5 Uhr erhob sich der Ballon mit Spiegel und Feller, und nahm seine Richtung erst nach Nordwest und dann nach Südost. Weiter oben trat fast gänzliche Windstille ein, sodaß der Ballon in einer Höhe von 3200m bei 2°C Kälte beinahe regungslos über einer tief unter ihm liegenden Wolkenschicht schwebte….Nach mehr als 1 1/3 stündigem Aufenthalte in jenem Gebiete des Wunderbaren senkte sich der Ballon schnell, aber fast hätte der Abstieg einen unheilvollen Verlauf genommen. Denn der Ballon nahm seine Fallrichtung genau in der Richtung zwischen 2 sich begegnenden Zügen der Chemnitz-Riesaer Eisenbahn. Schon ganz nahe dieser gefährlichen Stelle schnitt Feller die Leinen des Ankers durch, sodaß dieses 40 Pfund schwere Sicherungswerkzeug in die Tiefe stürzte und der Ballon, so entlastet, wieder aufwärts stieg, bis endlich nach mehrfach vergeblichen Versuchen eine günstige Landungsstelle bei Auerswalde gefunden wurde…. Genau 1h und 40 Minuten hatte die Fahrt gedauert und nach Bergung des Ballons reisten die Luftschiffer nach Chemnitz zurück.“ (Chemnitzer Tageblatt, 9.Oktober 1894)
So ging dieser Aufstieg noch einmal glücklich für Feller und Spiegel aus. Das Ballonfahren war zu dieser Zeit noch gefährlich, hatte man doch keine Möglichkeit, den mit Gas gefüllten Ballon während der Fahrt zu befüllen. Man warf Ballast ab um höher zu steigen. War diese Menge auf Grund der knapp bemessen Tragkraft des Ballons erschöpft, half nur Gas abzulassen um ihn landen zu können. Dieser Landungsvorgang war also weitaus schwieriger, wie wir es heute mit einem Heißluftballon kennen.
Schon im August des Jahres hatten Feller und Spiegel, bei einer Fahrt von Leipzig nach Wurzen diese schmerzliche Erfahrung sammeln müssen, als ihr Ballon auf Grund plötzlicher Abkühlung zu schnell sank und sie mehrere hundert Meter in der Gondel mitgeschleift wurden. Hautabschürfungen und zerrissene Bekleidung waren die Folge, entkräftet entstiegen Sie der Gondel.
Ein Zeugnis von Mut und nicht nachlassender Begeisterung für die Ballonfahrt sind diese hier aufgeführten Berichte aus vergangener Zeit.
(Quellen: Div. Ausgaben des Generalanzeigers für Chemnitz und Umgebung und des Chemnitzer Tageblattes Sept/Okt 1894 zu finden zu finden unter SLUB-Dresden.de)