Bevor ich die Geschichte der Schloßteichanlagen fortführe, soll ein zeitgenössisches Dokument den Zustand um die Jahrhundertwende bei einem Spaziergang beschreiben:
„Wer als Fremder die in die Lüfte ragenden Fabrikessen und die ihnen entfliehenden qualmenden Rauchwolken sieht, die stoßweise hervorquellen und die nähere Umgebung mit einem grauen Nebelschleier verdecken, wer das Hämmern und Schlagen der Dampfkraftmaschinen aus den Fabrikbetrieben schon von weiter Entfernung hört, der glaubt wirklich, daß die mit Unrecht verbreitete Meinung richtig sei: Chemnitz sei ein großer rußiger Fabrikherd, der dem Einwohner und Gast nichts weiter bieten könne, als Ruß und Rauch. Aber wie angenehm wird der fremde Gast enttäuscht, wenn er einen Gang durch die verschiedenen Stadtteile von Chemnitz unternimmt und die prachtvollen städtischen Anlagen allerwärts zu Gesicht bekommt, die eine belebende und erfrischende Abwechslung in das Chaos von himmelhoch anstrebenden Schloten bringen. Ja, Chemnitz ist eine Fabrikstadt und, wie sie mit Stolz sagen kann, wohl die verhältnismäßig bedeutendste von ganz Deutschland; aber nicht viele Städte wendeten solche Summen auf die innere Ausstattung der Straßen und öffentlichen Plätze an, als gerade Chemnitz. Die reizendsten Anlagen, deren Besichtigung wir jedem Besucher von Chemnitz empfehlen, sind unstreitig diejenigen um den Schloßteich. Gerade im Monat Mai, wo die Naturkräfte das saftige Grün aus Feld und Flur und den frischen Blätter- und Blütenschmuck auf Baum und Strauch hervorzaubern, ist ein Rundgang durch die Schloßteich-Anlagen lohnend und geeignet, die geistigen und körperlichen Kräfte des Menschen neu zu beleben, zum ferneren Schaffen anzuregen. Das frische Grün, die buntfarbige Blütenpracht an den Ziersträuchern und Bäumen tut dem Auge wohl und hebt das Gemüt. Wohin das Auge sieht, erkennt es das rege Schaffen der Natur, unterstützt durch das künstlerische Geschick des städtischen Garteninspektors Ernst Otto Werner.
Rings um den Teich, auf dem schon am frühesten Morgen die Schwäne schier majestätisch ihren Rundgang machen, um herablassend die ihnen von den Spaziergängern zugeworfenen Brocken zu erhaschen, führen breite, wohlgepflegte Kieswege, die den Besucher auf die Insel leiten. Sind schon an den Promenadenwegen die geschmackvoll angelegten Tulpenbeete reizend, so gerät der fremde Besucher in ein stilles Entzücken, wenn er die Anlagen auf der Insel vor Augen bekommt.
Von der Promenadenstraße gelangt man über die Brücke zum Vogelhaus, das, rings von Bänken umstellt, den Spaziergänger veranlaßt, davor Platz zu nehmen und das muntere Leben der befiederten Insassen zu beobachten.
Nicht lange bleibt das Auge des Naturfreundes auf dem Häuschen ruhen, es wird beim Umblick gefesselt durch die Blumen-Anlagen, auf welchen Tulpen, Vergißmeinicht und Azaleen in bunter Farbenpracht abwechseln. Die vielen Tulpenbäume, die rot- und weißblühenden Ziersträucher geben Zeugnis von dem Bestreben des Gärtners, die Insel zu einem großen Blumengarten umzuschaffen, dessen Anblick dem Naturfreund ein Hochgenuß ist.
Einen wundervollen Anblick gewährt auch das große Rundteil auf der Insel. Inmitten desselben breitet sich ein großartiger Teppich von verschiedenfarbigem Vergißmeinicht in Sternform aus, umkränzt von Anlagen mit Rosen, Stiefmütterchen, Nelken usw., welche die Morgenluft mit ihrem balsamischen Duft würzen. Ein neues Bild zeigt sich dem Spaziergänger, wenn der Verkehr des Publikums aus der Insel ein lebhafterer wird und die Gondelfahrer den Schloßteich beleben. Dann wandelt man gemächlich den Teich entlang bis zum Ausgang nach „Schloß Miramar“ und läßt sich nach dem anregenden Morgenausflug ein leckeres Frühstück bestens munden. Vom Miramar herab sieht man ein prächtiges Panorama ausgebreitet. Über die ganze Fläche des belebten Schloßteiches mit seinen angrenzenden Anlagen gleitet der Blick und wandert über die mit Türmchen geschmückten Bauten und hohen Fabrikschornsteine hinweg nach den Bergen und Wäldern des Erzgebirges. Ungern wendet er die Augen ab von dem herrlichen Ausblick, den er auf „Schloß Miramar“ gefunden, noch eine kurze Erfrischung, und hinunter geht es, frisch gestärkt und belebt von den erhaltenen Eindrücken.
Wohl haben wir die Anlagen des Schloßteiches und seine Umgegend schon rühmen hören, aber so reizvoll hat sich der Schreiber dieser Skizze dieselben nicht vorgestellt. Die Schloßteichanlagen sind fürwahr eine Zierde für die Stadt Chemnitz und der Fürsorge wert, die ihnen zugewendet wird.„
(Originaltext aus dem General-Anzeiger für Chemnitz vom 15.05.1899 – zu finden unter SLUB-Dresden.de)
Jetzt liegt es an Euch, diesen Weg noch einmal zu gehen und eure Impressionen mit den Damaligen gegenüberzustellen.