Gäste, die Chemnitz besuchen, kamen in den früheren Jahren hauptsächlich mit dem Zug am 1852 errichteten Hauptbahnhof, später mit den Kraftdroschken und Kraftomnibussen auf dem Bahnhofsvorplatz an. Automobile waren noch eine Seltenheit und nur wenigen gut „Betuchten“ vorbehalten. Als erstes Gebäudeensemble nach Ihrem Ausstieg bzw. Verlassen des mächtigen Bahnhofsgebäudes erblickten sie gegenüber der damals noch schmuckreichen, gärtnerischen Anlagen des Bahnhofsvorplatzes die beiden Häuser des Carola-Hotels, dessen Geschichte in diesem Beitrag vorgestellt werden soll.
An der Ecke der Albert- und Carolastraße entstand zuerst ein gotischer Villenbau, ursprünglich war es der Wohnsitz eines der bekanntesten Großindustriellen der Stadt, des Herrn Kommerzienrates Johann von Zimmermann. Nach Plänen des Herrn Architekten Otto Götz, Hannover, in den Jahren 1866–67 erbaut, fertigte den Großteil des architektonischen Schmucks der Chemnitzer Bildhauer Anton Haendler. Nach der Übersiedlung ihres Besitzers nach Berlin im Jahre 1884, wurde diese Villa von Herrn Julius Wolf erworben, zum Hotel eingerichtet und Carola-Hotel benannt.
Am 19.April 1885 wurde es nach einigen Umbauarbeiten eröffnet. Um modernen Anforderungen zu genügen, erhielten die geräumigen 20 Zimmern noch fließendes Wasser, Privatbäder und Reichsfernsprecher.
Die örtliche Presse war nach einem ersten Besichtigungsbesuch entzückt von der prunkvollen Innenausstattung:
„Eine wahre Perle gothischer Baukunst ist das in unmittelbarer Nähe des Bahnhofshotels gelegene Carola-Hotel, welches heute morgen eröffnet wurde. Bekanntlich war die stilvolle Villa anfänglich nicht dazu bestimmt, Reisenden eine allerdings fast fürstliche Wohnung vorübergehend zu bieten; diesen Zweck hat ihr erst der jetzige thatkräftige Besitzer, Herr Julius Wolf, gegeben, der sie von Herrn Kommerzienrath Joh. Zimmermann käuflich erwarb. Das ist ein Hotel, wie man wenige seinesgleichen findet! So geschmackvoll und stilgerecht wie die äußeren architektonischen Verhältnisse des Hauses sind, ist auch die innere Einrichtung: da ist weder Geld noch Kunst gespart, um jeden einzelnen der für das Publikum bestimmten Räume geschmackvoll und bequem einzurichten; und nicht allein empfängt man diesen Eindruck in den größten Räumen des Hauses, im sogenannten „Königszimmer“, im Speisesaal etc., sondern selbst bis in die kleinsten Fremdenzimmer hinein war man mit Erfolg bemüht, nicht nur für die denkbar größte Bequemlichkeit des Gastes zu sorgen, sondern auch stets das künstlerische Prinzip aufrecht zu erhalten. Und so ist denn das Haus geworden, was es ist: eine Sehenswürdigkeit unserer Stadt, eine Studie für den Baukünstler, ein glänzender Beweis für die Leistungsfähigkeit des sächsischen Kunstgewerbes und nicht zuletzt ein trauliches, wohnliches Heim für den Fremden, der sich sehnt, kurze Zeit zu ruhen von der Hast und den Aufregungen der Reise. Schon der erste Eindruck, welchen der Eintretende im Portal des Hauses empfängt, macht selbst auf ein verwöhntes Auge den vortheilhaftesten Eindruck. Da ist Alles von Meisterhand und mit seinem Verständnis für das Stilgerechte, mit echt künstlerischem Sinne geschaffen. Die getäfelte Decke, die Gemälde an den Wänden, die allegorischen Bildchen im oberen Theil der Spitzbogen, die Holz- Bildhauerarbeiten und vor Allem die in der Mitte des Hauses nach den oberen Räumen führende Doppeltreppe mit ihren teppichbelegten Marmorstufen und vergoldeten Geländer, über welche sich aus buntem Glasmosaik die Kuppel des Gebäudes wölbt. Sie ist mit lobenswerthem Verständnis für harmonisch wirkende Farben zusammengestellt und macht schon bei dem von oben hereinlachenden Tageslicht einen überraschenden Eindruck, der aber erst bei der geplanten elektrischen Beleuchtung seinen Höhepunkt erreichen wird. Dann erglühen die Ranken und Blumen, die Figuren und Bildchen, die Sterne und Rosetten, all‘ die bunten und doch in ihrer Gesamtheit so überaus harmonisch wirkenden Glasmalereien in magischem Glanz, dann auch wird erst die reiche und doch im keinem Theile überladene Dekoration des Vorplatzes der oberen Etage zu vollständiger Wirkung kommen. Und wie sinnig hat man diese Dekoration gewählt! Da sind nicht irgendwelche Statuetten und Schnörkel angebracht, sondern wir finden als Wandschmuck die in Medaillonform und, erinnern wir uns recht, hoch-reliefartig ausgeführte Brustbilder all‘ der Männer der Wissenschaft, der Thatkraft und des Fleißes, welche seit Jahrtausenden der Menschheit die Wege gewiesen haben zur Kultur, zur geistigen Entwickelung, zum Licht. Das ist ein Wandschmuck, wie wir ihn noch in keinem Hotel gesunden haben. Auch sonst Werden selbstverständlich alle Ansprüche befriedigt, welche man an ein modernes Hotel stellt: Telephon, Bäder, elektrisches Licht, Dampfheizung, nichts fehlt. Das einladende Restaurant, der freundliche Garten des Hotels und dessen, wie wohl gleichfalls anzunehmen ist, mit dem Ganzen auf einer Höhe stehende Speisen und Getränke werden hoffentlich nicht allein für die Fremden da sein, sondern, wie der liebenswürdige Hotelier wünscht, auch den Einheimischen einen angenehmen und gern wieder besuchten Aufenthalt, eine Erholung nach des Tages Mühen bieten.“
Nur kurzer Zeit später, am 1.Pfingstfeiertag 1885 eröffnete er den Garten, ausgestattet mit einer hübschen Veranda und Orchesterhalle. Am Abend fand dazu ein Konzert der beliebten Kapelle des hiesigen Infanterie-Regimentes „Prinz Friedrich August“ unter Leitung des Herrn Musikdirektor Pohle statt. Neuzeitlich wurde der Garten durch mehrere auf mächtigen Kandelabern befindlichen Bogenlampen erleuchtet. Diese wurden, wie auch die elektrische Anlage im Hotel selbst, von der Chemnitzer Telegraphenbauanstalt Hermann Pöge hergestellt und aufgebaut.
Im Jahre 1890 wurde das Hauptgebäude von den Architekten Schmidt & Wagner im Auftrag von Herrn Hotelier Theodor Andrae, der das ganze Anwesen am 1. März 1889 käuflich übernommen hatte, errichtet und zum Weihnachtsfest würdig eröffnet. Es enthielt in seinem Kellergeschoß alle nötigen Wirtschaftsräume, im Erdgeschoß ein erstklassig geführtes Restaurant. Frühstückszimmer, Konferenzzimmer, und Gesellschaftssaal mit Nebenräumen für zirka 80 Personen. In den oberen Geschossen waren weitere 76 Fremdenzimmer, welche allen Ansprüchen und Anforderungen der Neuzeit entsprachen, eingerichtet. Bemerkt seien hier noch die Ausstellungsräume und eine eigene Hotelwäscherei mit Maschinenbetrieb.
Nach dem Ableben von Th. Andrae im Jahre 1903 übernahm die Witwe Käthe Andrae das Anwesen und ließ es handelsgerichtlich eintragen. Der Beibehaltung der alten Tradition und durch Wahrung des guten Rufes des Hauses, wurde ein weiteres Aufblühen des Geschäftes erzielt. Unterstützt wurde die Witwe durch ihren ältesten Sohn Carl Andrae, der am 1. Oktober 1907 die gesamte Leitung des Hotels persönlich übernahm. Sein Eintritt brachte dann betriebs- wie wirtschaftstechnisch durchgreifende Neuerungen. Im Jahre 1911 wurde zur besseren Bewältigung des Verkehrs das Zwischengelände der beiden Häuser zu einer großen marmornen Empfangshalle, Schreib- und Lesezimmern ausgebaut. Dieser Teil ist mit seinem Empfangs- und Auskunftsbüro. der Fernsprechzentrale usw. der Puls des ganzen Betriebes geworden.
Die nachfolgenden Ansichten aus dem Buch „Chemnitzer Kunst und Kunstgewerbe 1909-1912“, bereitgestellt von Mike Hähle, zeugen von der ganzen Schönheit dieses Gebäudeabschnittes.
Das Carola-Hotel hatte sich in den Vorkriegsjahren ein ausgezeichnetes Renommeé erworben, als Haus ersten Ranges, wurde es durch den Besuch hoher und höchster Herrschaften und reichen Zuspruch seitens des In- und Auslandes ausgezeichnet. Es blieb bis in die Mitte der 40 Jahre in Familienbesitz, zuletzt geführt von Theodor Andrae, wie aus den Adressbüchern ersichtlich. 1942-45 wird es als Wehrmachtsheim genutzt. Wehrmachtsheime dienten zur temporären Unterbringung, also wenn irgendwer von A nach weit weg B versetzt wurde, konnte er auf der Reise nach vorheriger Anmeldung bei der Standortkommandantur und Erhalt eines Scheines dort übernachten.
Die Bombenangriffe 1945 auf unsere Stadt überstand es trotz Bahnhofsnähe unbeschadet. Nach dem Krieg wurde das Gebäudeensemble Sitz der Sowjetischen Militärverwaltung und ab 1950 Sitz der Gaststättenverwaltung der HO. Im Jahre 1958 als HO-Hotel neu eröffnet, war es u.a. jahrelang Treffpunkt der Karl-Marx-Städter Fußballszene.
Zur Rad-WM 1960, die in Leipzig, Chemnitz und Hohenstein Ernsttahl ausgetragen wurde hatte man im Hotel das internationale Pressezentrum eingerichtet. Dort waren wohl im ausreichenden Maße die benötigten Fernsprechanschlüsse vorhanden.
1967 wurde vor dem Hotel dem neuen Fußball-Meister ein Riesenempfang bereitet, politisch angehaucht diese Zeitungsmeldung aus dem Neuen Deutschland vom Mai dieses Jahres.
Im Kellergeschoß der Villa Zimmermann entstand zudem die weitbekannte Gaststätte „Zum Goldbroiler“.
1990 wurde das Ende des Hotels auf Grund von Mängeln an der Sanitär-und Haustechnik und den nun neuen marktwirtschaftlichen Bedingungen besiegelt. Jahrelang stand das Haus leer und wurde von der Treuhand an mehreren Investoren verkauft, jedoch ohne Erfolg. Dem Hotel Carola selbst bekam der lange Leerstand überhaupt nicht, von Hausschwamm befallen wurde es 2007 abgerissen.
1998 wurde wenigstens mit Stiftungsgeldern das Dach der ehemaligen Villa Zimmermann saniert, erst 2007/2008 das Gebäude unter Vorgaben des Denkmalschutzes von einer Chemnitzer Investorengruppe grundlegend renoviert. Doch auch dieses Projekt scheiterte, als Vergnügungstempel mit Tanzbar und Restaurant wurde es von den Chemnitzern nicht angenommen, eine zeitnahe Schließung folgte.
Und auch wohl das jetzige Projekt eines Investors, Anwaltskanzleien in diesem Haus anzusiedeln, scheint wohl nicht von Erfolg gekrönt, wie der Leerstand zeigt.
(Quellen: Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote, 19.April 1885, Sächsischer Landes-Anzeiger Chemnitz 19.12.1890, Buch Deutschlands Städtebau 1923, Neues Deutschland, 9.5.1967, Bilder und Artikel auf der CFC-Fanpage von Frank Neubert)