Zu den größten Verkehrsbauprojekten der Stadt zu DDR-Zeiten gehörte der Fußgängertunnel an der Zentralhaltestelle an der Kreuzung Ernst-Thälmann-Straße (heute Reitbahnstraße) mit der Otto-Grotewohl-Straße (heute Bahnhofstraße).
Die Otto-Grotewohl-Straße wurde am 7. Mai 1974 im Beisein der Witwe Johanna Grotewohl nach dem Staatsmann benannt, der Chemnitz 1953 auch den Namen Karl-Marx-Stadt „verpasste“. Die Hauptverkehrsstraße war aus der ehemaligen Poststraße und der Philipp-Müller-Straße hervorgegangen.
Bereits 1967/68 wurde im nördlichen Bereich der Zentralhaltestelle in Richtung Straße der Nationen ein erster Fußgängertunnel unter der Ernst-Thälmann-Straße angelegt.
Um den schon damals nicht unerheblichen Verkehr auf der Magistrale zu entlasten, wurde eine Untertunnelung der Straße zwischen Zentralhaltestelle, dem CENTRUM-Warenhaus und dem Busplatz an der Moritzstraße geplant. Ab 1975/76 wurde ein großer Fußgängertunnel unter der Kreuzung und den Straßenbahngleisen gebaut, auch um die Fußgängerströme aus den verschiedenen Bereichen der Zentralhaltestelle zu entlasten. Er ermöglichte den Fußgängern eine gefahrlose Unterquerung der Kreuzung in vier Metern Tiefe.
Der Bauablauf verzögerte sich, da unerwartet Reste der alten Stadtmauer gefunden wurden, die geborgen und gesichert werden mussten. Am 4. Oktober 1978 konnte das Bauwerk schließlich übergeben werden. Die geplanten Außenrolltreppen konnten wegen fehlender Valutamittel nicht realisiert werden.
Der Tunnel verfügte über fünf Zugänge mit beheizten Stufen und war mit Dämmerungsschaltern ausgestattet. Die Tiefbauarbeiten wurden vom ITVK Karl-Marx-Stadt ausgeführt, die Treppengeländer als Einzelanfertigungen von der Schlosserei Haase, die ihren Firmensitz am Walkgraben hatte.
Auch im Fußgängertunnel wurde Stadtgeschichte lebendig. Blickfang an der Stirnseite des Haupttunnels war ein 5,60 Meter breites und über zwei Meter hohes Wandrelief aus eingefärbter Emaille auf Edelstahl des Auer Kunstmalers Helmut Humann. Es zeigte eine alte Stadtansicht von Chemnitz als Festung im 17. Jahrhundert nach der Zeichnung „Chemnitz um 1750″ von Karl Hausstein aus dem Jahr 1907. Dieses Wandbild wurde gesichert und im Erdgeschoss des Kulturkaufhauses TIETZ als Wandverkleidung eingebaut. An sechs Stellen der mit hellem Agglomerat verkleideten Tunnelwände markierten Bruchsteine den Verlauf der Mauern der ehemaligen Stadtbefestigung in den verschiedenen Phasen ihrer Entwicklung. Am Tunnelausgang in Richtung Johannisplatz bildeten drei Schlusssteine von Portalen Chemnitzer Bürgerhäuser aus dem alten Stadtkern einen originellen Blickfang.
Nach der politischen Wende 1989 verwahrloste der Tunnel und wurde zum Treffpunkt von Bettlern, Hütchenspielern und anderen zwielichtigen Gestalten. Vandalismus und zunehmende Plakatierung trugen ebenfalls nicht zum Imagegewinn bei.
Heute ist der Fußgängertunnel Geschichte und das Areal wird vom Zufahrtsbauwerk zum Parkdeck der Galeria Kaufhof durchquert. Weitere Teile wurden mit dem Bau der Tiefgarage am Moritzhof zugeschüttet.
Der heute oberirdisch geführte Fußgängerverkehr in diesem Bereich birgt täglich Gefahren, wie zahlreiche Unfälle belegen. Auch die Geschwindigkeitsreduzierung und die Busspur bringen keine Beruhigung. Hier zeigt sich wieder einmal, wie Bauvorhaben gegen jede Vernunft und aus Prestigegründen durchgepeitscht werden. Hier hätte man eine bessere Lösung finden können. Vielleicht schaut man einmal in die Unterlagen der alten Stadtplaner, die schon Querungsmöglichkeiten gefunden haben.
(Quellen: Beitrag von W. Bausch FP 2003, Buch „Unser Karl-Marx-Stadt“ 1980; Bilder aus der „Kleinen Chronik von Karl-Marx-Stadt“ und Sammlung von Sören Weißflug; u.a.)