Es war eines der aufsehenerregendsten Ereignisse in unserer Stadt: der Besuch des ersten Zeppelins am 21.August 1912.
Viele Bewohner der Umgebung und an der geplanten Fahrtroute hatten vorsorglich hochgelegene Aussichtspunkte, kleine Höhen, Dächer und Dachfenster gewählt, von denen das Luftschiff gut beobachtet werden konnte. Hundertausende verfolgten mit Interesse die Fahrt, mit Ferngläsern in der Hand beobachtenden sie das graue zigarrenähnliche Ungetüm an diesem Morgen. Nicht anders sah es in Chemnitz aus: Viele Tausende waren auf dem Marsch, um das Zeppelin-Luftschiff aus der Nähe zu sehen. Die Straßen zum Exerzierplatz an der Zschopauer Straße waren schwarz von wandernden Menschen. Viele Fabriken hatten geschlossen (die Arbeiter mussten selbst die Kosten tragen), der Schulunterricht wurde gar vollständig eingestellt. Ganz Chemnitz, kann man sagen, war auf den Beinen.
9 Uhr 8 Minuten tauchte der schlanke Riesenleib des Luftschiffes in westlicher Richtung am Himmel auf. Die Straßen der Stadt waren dicht gefüllt von Menschen. In ruhigen Kurven schwebte das Fahrzeug über den Häusern ein.
Der Zeppelin LZ11 „Viktoria Luise“,
benannt nach der preußischen Prinzessin Viktoria Luise, wurde im Winter 1911/1912 auf der Werft in Friedrichshafen gebaut. Es vollzog am 14. Februar 1912 seine Jungfernfahrt, weitere Probefahrten folgten im Februar. Nach der Überführungsfahrt am 4.März ging es in den Besitz der „DELAG“ über. Das Luftschiff unternahm bis zur Fahrt nach Chemnitz bereits rund 150 Fahrten, bei denen es über 383 Stunden (rund 16 Tage) in der Luft war, 21 504 Kilometer zurücklegte und einschließlich der Besatzung 3374 Personen beförderte. Es hat unter anderem die bekannten Fahrten von Düsseldorf über Amsterdam, Groningen, Bremen nach Hamburg, zur Kieler Woche, über Nord- und Ostsee ausgeführt. Am 18.08.1912 fuhr es bereits von Gotha nach Dresden und zurück. Seine Führung lag zum damaligen Zeitpunkt in den Händen des Kapitäns Erich Blew. Das Luftschiff hatte eine Länge von 148 Metern bei einem Durchmesser von 14 Metern und einen Rauminhalt von rund 19 000 Kubikmetern. Es wurde von 18 einzelnen Gaszellen getragen, die je in einem Glied des Luftschiffkörpers zwischen je zwei Querringen des Aluminiumgerüstes eingebettet liegen. Diese Einteilung des Tragkörpers in 18 einzelne Zellen brachte eine außerordentliche Sicherheit für die Passagiere mit sich, insofern sich ein, zwei und selbst mehr Gasballons entleeren konnten, ohne daß das Luftschiff in Gefahr kam.
Es galt damals als schnellstes Luftschiff der Welt. Als Antrieb dienten 3 Motoren mit jeweils 150 PS, die ihm zu einer Höchstgeschwindigkeit von 72 km/h verhalfen.
Aus Chemnitz ging über den Besuch des Luftschiffes folgender Bericht an die Presse:
„6 Uhr 40 Min. erfolgte in Gotha bei etwas trüben Wetter, aber günstiger Luftströmung der Aufstieg. Das Luftschiff nahm seinen Weg über Gera, Crimmitschau, Zwickau und Lichtenstein. Die Flagge auf dem neuen Chemnitzer Rathaus zeigte an, daß die Fahrt nach Chemnitz angetreten worden war. Ein gutes Zeichen, da am Vortag eine geplante Fahrt nach Erfurt wegen widriger Winde nicht angetreten werden konnte.
Unter Glockengeläut tauchte 9 Uhr 8 Minuten der schlanke Riesenleib des Luftschiffes in westlicher Richtung am Himmel auf. Die Straßen der Stadt waren dicht gefüllt von Menschen. In ruhigen Kurven schwebte das Fahrzeug, nach überaus günstiger Fahrt, über den Häusern unserer Stadt ein und flog direkt nach dem als Landungsplatz bestimmten Exerzierplatz an der Zschopauer Straße, woselbst die Landung 9 Uhr 15 Min. glatt erfolgte. Zur Begrüßung waren die Spitzen der Zivil- und Militärbehörden, sowie ein nach Zehntausenden zählendes Publikum erschienen, das den Zeppelinkreuzer mit ungeheurem Jubel begrüßte. Das Luftschiff senkte sich in brillanter Manövrierung fast senkrecht auf den abgesteckten Landungsplatz von seiner etwa 250 m betragenden Fahrthöhe auf ungefähr 10 m, worauf auf einen Kommandopfiff des Führers die ausgeworfenen Taue von den bereitstehenden Militär- und Zivilmannschaften ergriffen wurden. Nach der vollständigen Verankerung verließen der Führer Kapitän Blew und die zwölf Passagiere das Luftfahrzeug und wurden vom Oberbürgermeister Dr. Sturm mit einer Ansprache begrüßt, die in einem dreifachen, brausend aufgenommenem Hoch auf den Grafen Zeppelin ausklang.“
Dank starken Rückenwindes konnte das Luftschiff auf der Fahrt nach Chemnitz teilweise bis 90 km/h Geschwindigkeit erreichen.
Es folgte eine allgemeine Besichtigung des Bewunderung hervorrufenden Luftschiffes. In der Zwischenzeit wurden vom Fahrpersonal die Vorbereitungen für die baldige Abfahrt getroffen, weil wegen des herrschenden starken Windes und der Gewitterneigung das Luftschiff so schnell wie möglich in die schützende Halle nach Gotha zurückgeführt werden sollte. Aus diesem Grunde konnte auch die geplante Rundfahrt, welche sich bis über die Erzgebirgs-Ausstellung in Freiberg erstrecken sollte, nicht zur Ausführung kommen. Um 9 Uhr 55 Min. war alles zur Abfahrt bereit, das Kommando „Loslassen“ ertönte, und mit bewundernswerter Sicherheit erhob sich das jetzt vom Oberingenieur Bäuerle geführte Luftschiff mit sechs Passagieren in steilem Aufstieg auf ca. 150 m Höhe in die Luft, um nach einer eleganten Schleifenfahrt über der Stadt, auf direktem Wege nach Gotha zurückzufliegen. Auch bei der Abfahrt brachte die Bevölkerung dem Zeppelin – Luftschiff „Viktoria Luise“ zum Abschied enthusiastische Ovationen dar.
Kurz vor halb 11 Uhr überflog das Luftschiff „Viktoria Luise“ von Chemnitz kommend Hartmannsdorf, was unter den Einwohnern hellen Jubel hervorrief. 1/2 11 Uhr überflog das Luftschiff die Burgstädter Gegend. Auch dort wurde es in den Straßen und auf den Dächern lebendig, alles war auf den Beinen, um das seltene Schauspiel zu sehen. Weiter ging es über Altenburg und Gera in westliche Richtung.
Nach schwieriger Fahrt landete das Luftschiff 16 Uhr 29 Minuten glücklich in Gotha. Auf der ganzen Fahrt hatte das Schiff bei Sturm und Regen den Wind gegen sich. Der Kapitän hatte bei der Auffahrt vom Exerzierplatz mit einer achtstündigen Fahrt gerechnet. Die Landung konnte schon nach 6 Stunden erfolgen, da sich das Wetter gegen das Ende der Luftreise günstiger gestaltete. Weil der Kapitän eine lange und gefahrvolle Fahrt voraussah, mussten größere Mengen Benzin mitgeführt werden, als das unter normalen Umständen der Fall gewesen wäre. Aus diesem Grunde konnten auch statt zehn nur sechs Passagiere mitgenommen werden.
Oberbürgermeister Dr. Sturm wertete anschließend den Besuch des LZ 11 „als einen Meilenstein in der Geschichte der Chemnitzer Luftfahrt“. Auf ein seinerseits an den Grafen Zeppelin gerichtetes Begrüßungstelegramm ging aus Friedrichshafen folgende telegrafische Antwort ein: „Ihnen und der dortigen Bürgerschaft herzlichen Dank für freundlich übermittelte Grüße und Wünsche. Graf Zeppelin“.
Nach nur 3 Jahren im Passagier- und Kriegsdienst wurde der Zeppelin am 8. Oktober 1915 beim Einhallen auf dem Luftschiffhafen Liegnitz zerstört. Insgesamt führte der Zeppelin „Viktoria Luise“ über 1400 Fahrten durch.
(Quellen: Berichte aus der Volksstimme Chemnitz vom 21./22.08.1912; Chemnitzer Kalender 1913, verschiedene sächsische Tageszeitungen zu finden unter SLUB-Dresden.de)