Auch westlich der Stadt Chemnitz gab es zu früherer Zeit namhafte und gut frequentierte Ausflugsorte bzw.-gaststätten. Eine von Ihnen ist die längst in Vergessenheit geratene „Jagdschänke“ zwischen Stelzendorf und Siegmar.
Die Ersterwähnung der „Jagdschänke“ erfolgte 1839. Jahrzehntelang galt sie für die Chemnitzer Umgebung als beliebter Ausflugsort, oft wurde sie in Wanderbüchern als gern empfohlene Rastmöglichkeit beschrieben. Im beiliegenden Plan von 1940 habe ich den Standort an der jetzigen Stelzendorfer Straße in der Nähe der Auffahrt zur Neefestraße gekennzeichnet. Die mehrfach ausgebaute und erweiterte Gaststätte lag in einem kleinen Laubwäldchen, das „Reichenhain“ genannt wurde.
In einem Aufsatz über einen Himmelfahrtstag 24. Mai 1857 erkennt das „Chemnitzer Tageblatt“ bereits neben dem Lichtenwalder Schloß der „Jagdschänke“ „unstrittig den ersten Rang“ zu. Der Berichterstatter spricht euphorisch von einem „massenhaften Besuch“ an diesem Tage.
1862 gründete sich in der Gastwirtschaft die „Sängervereinigung Jagdschänke Stelzendorf“.
Im darauf folgenden Jahr, am 26. August 1863, wurde hier in einer Feier zum 50. Todestag von Theodor Körner des gefallenen Freiheitsdichters gedacht. Dabei wurde eine „Körner-Eiche“ gepflanzt und ein Gedenkstein enthüllt.
1864 soll das Grundstück mit samt Gebäude und umliegenden Feldern altershalber verkauft werden. Vermutlich zu dieser Zeit geht es in den Besitz der Stadt Chemnitz über und wird seitdem im 6-Jahres-Rhythmus zum 1. Mai verpachtet. Die „Jagdschänke“ – mit dem gegenüberliegenden ehemals „Flachschen“ Grundstück und den Teichen – wird als außerstädtisches Grundstück in den Verwaltungsberichten der Stadt ab 1875 aufgeführt und mit seinen Erträgen aus Verpachtung und den notwendigen Ausgaben genau abgerechnet.
Anfang November 1883 brennt die Scheune der Jagdschänke nieder, ohne das man die darin lagernden Erntevorräte retten konnte. Die Feuerwehren von Reichenbrand, Siegmar, Neustadt und Stelzendorf mußten ihre Tätigkeit auf die Erhaltung der Wohn-und Restaurationsgebäude richten. Pächter war damals ein gewisser Mühlberg, der in den Morgenstunden das ausgebrochene Feuer entdeckt. Erstmals kommen dabei die neue Spritze und die neugegründete Siegmarer Feuerwehr zum Einsatz.
Am 27. April 1884 tagte in der „Jagdschänke“ illegal die sächsische Landesversammlung der Sozialistischen Arbeiterpartei, getarnt als „Stenographieclub“.
Über die städtischen Einnahmen lesen wir 1891 zum Beispiel: der Pächter Hermann Linke zahlt 1.200 Mark jährlichen Pachtzins und ein E.L. Greim für die Teiche 140 Mark, dem gegenüber stehen Ausgaben 942 Mark Bauaufwand einschließlich die Neueindeckung des Saales mit Schwarzblech, 122 Mark für sonstige Abgaben und Lasten.
Zu Pfingsten 1893 übernahm Julius Günthel als erfahrener Gastwirt des Burgkellers die zeitgemäß restaurierte Lokalität.
Hier fanden die Ausflügler und Gäste unter anderem ansprechende Gast- und Vereinszimmer, einen Saal mit „elektrischem Musikwerk“, eine Kolonnade für 300 Personen sowie einen Konzertgarten mit „Wasserspielen, einem Rehgehege und einem zahmen Storch“ vor. Des Weiteren gehörten ein Kinderspielplatz sowie Stallungen für Pferde und später eine Autogarage zum Haus. Zahlreiche Veranstaltungen wie Konzerte und Schlachtfeste lockten immer wieder die Besucher aus den umliegenden Orten an.
1899 war ein Hr. Leye Pächter, ihm folgte Friedrich Maaß, dessen verwitwete Frau und deren Sohn Hans bis in die 20er Jahre hinein die Restauration leiteten.
Im Jahre 1904 legte der Schützenverein Reichenbrand auf dem Jagdschänken-Terrain einen Schießstand mit drei Bahnen von 175 Metern Länge an. Einen Aufschwung erlebte sie noch einmal Mitte der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts mit der Errichtung des Jagdschänkenbades gegenüber.
Gute Geschäfte brachten auch die 1930 er Jahre, das beliebte Bad wurde 1936 im Rahmen des Reichsarbeitsdienstes komplett erneuert. Die Verpflegung der Bauarbeiter wurde übernommen, aber auch die Badegäste konnten nach einem sonnigen Tag den Abend auf der Veranda ausklingen lassen.
Nach dem zweiten Weltkrieg verlor die „Jagdschänke“ ihre gastronomische Funktion mehr und mehr. Die Bausubstanz verfiel. In der 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts dienten ihre Räumlichkeiten noch als Lager. Später wurden die Gebäude an der Jagdschänkenstraße 45 abgerissen.
(Quellen u.a: Bericht in FP 2003, W.Bausch; diverse Ausgaben Sächsischer Landesanzeiger, Generalanzeiger für Chemnitz, Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote, Wochenblatt für Reichenbrand und Siegmar – zu finden unter SLUB-Dresden.de)