Zum Inhalt springen

Ein Einkaufsbummel vor 110 Jahren

    Illustration um 1900

    Ich möchte mit Ihnen einen Einkaufsbummel in die damalige Chemnitzer Poststraße unternehmen. Sie verlief in etwa der heutigen Bahnhofsstraße auf der Fahrspur Richtung Hauptbahnhof, bis zum Warenhaus Tietz und bog dann halblinks Richtung Johannisplatz ab. Wir stehen heute vor dem Moritzhof, schauen über die Tiefgarageneinfahrt hinüber zur Bretgasse Richtung ehemalige Hauptpost.

    Wir sind im Jahre 1909: Den Passanten der Poststrasse fällt gegenüber der Hauptpost ein Prachtbau von gewaltigen Dimensionen angenehm auf, das Geschäftshaus der Firma

    J.Bargou Söhne.

    Die in Berlin gegründete Firma, zog es nach dem Bau von Filialen in Görlitz und Dresden 1878 auch nach Chemnitz. In der Langestrasse Nr.8 erwarb die Familie das ehemalige Hotel „Stadt Berlin“ und gründete die Firma J.Bargou Söhne – Papier- und Kurzwarenhandlung als Zweigniederlassung des in Dresden bestehenden Hauptgeschäftes.

    1895 wurde dann mit einer reicher Sandstein-Fassade das neue Geschäftshaus auf der Poststraße erbaut, als Nachfolger des bis dahin an dieser Stelle stehenden Hotels „Zur Post“. 1898 schieden Max Wilhelm Franz Bargou als Dresdner und Paul Louis Ernst Bargou als Görlitzer Niederlassungsleiter aus, die Chemnitzer Filiale wurde gleichzeitig Hauptniederlassung der Firma. Franz Heinrich Gustav Bargou führt ab sofort alleinverantwortlich die Chemnitzer Filiale.

    Die Geschäfte liefen prächtig. Schauen wir uns das Ladengeschäft und das umfangreiche Angebot, genau das Richtige in der Vorweihnachtszeit, an.

    Das Haus enthält im ganzen Erdgeschoss den etwa 500m² großen zweigeschossigen Verkaufsraum, dem sich als Lagerraum der 400 m² große Keller, sowie die 3. und 4. Etage anschließen. Vier Schaufenster von über 2 m Breite fesseln mit ihrer gefälligen und modernen Dekoration das Auge des Vorübergehenden.

    Betritt man den Laden, so hat man rechter Hand die Papierwaren-Abteilung. Hier findet man nun alle diejenigen Artikel, welche der gebildete Privatmann, der Kaufmann sowohl wie der Handwerksmeister, überhaupt jedermann zum Schreiben notwendig hat.

    Anschließend hieran befindet sich die Abteilung feiner Lederwaren, welche womöglich noch reichhaltiger assortiert ist wie die erstgenannte. Wir erwähnen von dem, was hier alles geboten wird, nur die zierlichen Damen-Portemonnaies, Promenadentaschen, Gürtel, Schreibmappen, Kofler, Körbe, Riemen jeder Art. Folge mir der geneigte Leser zum nächsten, dem Kurzwarenlager. Hier werden gehalten: Feine Holz- und Eisen-Luxusmöbel, wie Bücher- und Noten-Etageren, Servier- und Salontische und Säulen, Büfett-Tritte, Staffeleien, Rauchtische, Blumenkrippen, Vogelkäfige und Ständer, Wandschränke, Schirmständer usw. Einige Spezialitäten mögen noch besonders erwähnt werden: Rollschuhe, der wieder neue, beliebte Sportartikel. Vom billigsten Paare anfangend, bis zum feinsten Stahlschuh mit Kugellager; überhaupt wird Sportartikeln von Seiten der Firma J. Bargou Söhne das größte Interesse entgegen gebracht. Sind doch allein im vorigen Winter große Massen Rodelschlitten verkauft worden. Von Schlittschuhen wird in der Saison ein Lager von etwa 4000 Paar unterhalten. Wir gehen weiter und kommen zum Wirtschaftslager, dem Lieblingskaufplatz der Damen. Jedes junge Ehepaar kann sich hier in kurzer Zeit sich die Küche so billig und elegant ausstatten, wie es den jeweiligen Geldverhältnissen angepasst ist.

    Ein paar Schritte weiter und wir kommen an das Spielwarenlager. Dieses wollen wir etwas ausführlicher betrachten:

    Wie die Augen unserer Lieblinge glänzen, wenn Papa oder Mama mit ihnen eine Besichtigung unternimmt, wie mancher jubelnde Ausruf aus frischem Kindermund bestätigt, dass die Firma mit ihrer Auswahl das Richtige getroffen hat. Stolz setzt so ein Hosenmatz den ersten Helm auf und schwingt kampfesmutig den Säbel oder probiert mit wichtiger Miene das ihm in die Hand gegebene Gewehr, ob es auch richtig zum Aufziehen ist und ordentlich knallt. Wird dann noch ein Brustpanzer umgelegt, fühlt sich jeder der kleinen Helden als ein Ritter Georg. Seht hin, wie zärtlich das große Schaukelpferd gestreichelt wird, verstohlen wird auch mal hinaufgeklettert und ein kurzer Proberitt riskiert. Dort der zukünftige Maschinenbauer betrachtet leuchtenden Auges eine Dampfmaschine mit dem Modell. Jedes Rädchen wird auf seine Brauchbarkeit geprüft, leider kann man das Ding nicht sofort in Betrieb setzen, da andere Kunden auch bedient werden wollen. Hier wird eine Trompete verlangt, dort ein Baukasten, eine Festung, eine Eisenbahn oder ein ganzes Regiment Zinnsoldaten, an anderer Stelle fesselt ein Pferdestall, ein Lastwagen oder irgendein beliebiges Spielzeug wird verlangt, überall gibt es etwas Interessantes zu sehen. Wenn nun gar ein Musikwerk in Tätigkeit ist oder ein Choralkreisel seine harmonische Musik ertönen lässt, dann guckt auch der griesgrämigste Alte einen Augenblick  mit behaglıchem Schmunzeln auf die freudig aufgeregten Kinder.Geehrter Leser, statte der Spielwarenabteilung zur Weihnachtszeit einmal einen Besuch ab, aber nicht in den letzten Tagen, wenn das Lager zum Teil geräumt und die Verkäuferinnen abgemattet sind, du wirst eine überraschende Auswahl für dein Kind, für die Enkel oder sonstigen kleinen Anverwandten finden, sogar Zeppelin muss mit seinem Luftschiff herhalten, um den Kindern eine Freude zu machen. Natürlich ist für die kleinen Mädchen nicht minder reich gesorgt. Puppen in jeder erdenklichen Ausführung, Arme, Beine, Köpfe, Schuhe, Strümpfe, Hüte, Perücken, alle einzelnen Bestandteile sind in jeder Preislage vorhanden, so dass du selbst den Kliniker spielen kannst. Puppenwagen, Sportwagen, Spiele zur Gesellschaft und zur Selbstbeschäftigung, Küchenausstattungen, Puppenstuben, Puppenmöbel u. dgl. sind vorhanden, jedem Geschmack ist Rechnung getragen. Kinderstühle, niedrig und hoch, verstellbar, mit Tisch, zum Fahren eingerichtet, sind wohl in 20 verschiedenen Sorten zu haben, Kindertische, Laufstühle etc. nicht zu vergessen.Der Spielwarenabteilung ist das Schmuckwaren- und Schirmlager angeschlossen. Armbänder, Broschen, Ketten, Fingerringe, Haarschmuck, Parfüms, feine Seifen, Hutnadeln, Blumenvasen, Dekorationsfächer und Schirme sind in allen möglichen Ausführungen zu haben. In Regenschirmen, Stöcken etc. unterhält die Firma nur die besten Garantiemarken und leistet in der Auswahl Hervorragendes. Im Krawatten-Lager findest du alle Sorten feine Herrenwäsche, Kragen, Manschetten, Manschetten-, Kragenknöpfe, Hosenträger für Herren und Knaben in nur ausprobiert guten Qualitäten. Elektrische Taschenlampen, sowie kleine, elektrische Artikel sind in großer Auswahl vorhanden. In Masken- und Karneval-Artikel steht die Firma als beste Bezugsquelle obenan.“

    Das weisse Rechteck markiert das reichverzierte Gebäude – Poststraße 45 um 1931

    Damit haben wir nun den Rundgang in diesem Etablissement beendet. Hier sollte jedermann etwas für seinen Weihnachtseinkauf gefunden haben. Wenn nicht, sollte er einmal im Chemnitzer Marktgässchen vorbeischauen.

    Bald schon, im Jahre 1913 erhält das Geschäft nahe Konkurrenz, das Warenhaus Tietz wird auf der Poststraße eröffnet. Noch bis 1921 finden wir das Geschäft in diesem prächtigen Geschäftsbau. Die Witwe des Inhabers, Frau Anna Margarete Bargou hat, nach dem Tode von Franz Heinrich Gustav Bargou im Jahre 1912, so weit wie möglich die Geschäfte weitergeführt. Ab 1922 finden wir die Bank für Handel und Verkehr in diesen Räumen. Später noch als Filiale der Darmstädter und Nationalbank und als Gardinenzentrale Franz Korth im Adressbuch zu finden, wird das Gebäude im Bombenhagel 1945 zerstört, wie viele seiner Nachbarn. Gerade einmal 50 Jahre hat es gestanden.

    (Quellen: Deutsch-Englischer Reise-Courier Wien 1909, Adressbücher der Stadt Chemnitz zu finden unter SLUB-Dresden.de, Führer durch Chemnitz 1913, u.a.)