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Eine besondere Werbeaktion

    Der Zirkus Barum, in den Vorkriegsjahren einer der größten Wanderunternehmen dieser Branche in Deutschland, gastierte Ende August – Mitte September des Jahres 1929 auf dem Jahrmarktsplatz an der Planitzstraße in Chemnitz. Mit einer besonderen Werbeaktion machte der Zirkus auf seine Gastspiele aufmerksam: Ein Sportflugzeug unter Führung von erfahrenen Piloten absolvierte an den Veranstaltungsorten vorab Kunstflüge, so auch am Chemnitzer Himmel. Ein kleiner Blick zurück auf diese besondere Werbeaktion.

    Die Ra-Ka Kl1-Schwalbe

    Etliche Flugzeugbesitzer, die vom Fliegervirus infiziert waren, statteten ihre Maschinen mit großen Werbebeschriftungen aus, um damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Bei großen Eröffnungen, Zirkusbesuchen, Flugtagen u.a. waren sie für das jeweilige Unternehmen am Himmel. In den seltensten Fällen gehörte der Firma, die für das Produkt warb, das Flugzeug. Ausnahmen waren die Staffel des Zirkus Sarassani, der Fa. Trumpf , Henkel, Haus Bergmann und der Sturm-Zigarettenfabrik in Dresden.

    Das meiste war für einige Tage und Wochen aufgemalt. Bei der Firma Raab-Katzenstein, die auch dieses Flugzeug vom Typ Kl1-Schwalbe baute, ging es soweit, das man ein helles Werbefeld als Basis auflackierte und je nach Einsatz mit dem Firmen-oder Produktname mit leicht abwaschbarer Farbe beschriftete. Beispiele dafür sind ODOL, IGEHA und der Zirkus Barum. Schon 1926 ist der Kunstflugpilot Erich Haal mit dem „Barum-Flugzeug“ auf Werbeflügen zu finden. Also kein einmaliges Werbeinstrument.

    die modifizierte Variante der Schwalbe - jetzt Typbezeichnung Kl1c

    Der Reporter einer Chemnitzer Tageszeitung erhielt in diesen Tagen Gelegenheit, eben in diesem Sportflugzeug eine Runde über das in dieser Zeit der Weltwirtschaftskrise arg gebeutelte Chemnitz zu drehen. Seine Schilderung des Erlebten als authentischer Zeitzeugenbericht:

    Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus.

    Der Schatten, den das Ereignis des heute beginnenden Gastspiels vom Zirkus Barum in Chemnitz vorauswirft, besteht in einem hübschen kleinen Doppeldecker der schon seit einigen Tagen über der Stadt kreuzt. Und soweit es nicht gerade über dem Häusermeer schwebt, sondern draußen über freiem Felde, beschränkt er sich keineswegs nur aufs Kreuzen, sondern es macht Sturzflüge, Rückenflüge, Schraubenflüge, Loopings und alles, was es an lustigen Schikanen sonst noch gibt.

    Chefpilot Weiß (gemeint ist der Münchner Josef Weiß – auch Besitzer des Flugzeuges), der Führer des Barums-Fahrzeugs, schreckt vor nichts zurück, er hat eine siebzehnjährige Praxis, und das genügt wohl, um sich die Kniffe der modernen Kunstfliegerei anzueignen. Was er vorführt steht nicht zurück hinter dem, was Udet, Fiesler, Dr. Gullmann (alles bekannte Kunstflieger der Zeit, die ebenfalls in Chemnitz bei Flugtagen zu Gast waren) u. a. bieten.

    Soll man der Einladung, einmal solchen Flug mitzumachen, widerstehen? Man soll nicht, denn ich glaube man muß die seltene Gelegenheit wahrnehmen. Also hinein in die Windjacke, die der Gehilfe des Piloten präsentiert, Handschuhe und Schutzbrille vervollständigen die Flieger-Montur.

    Die Kletterei auf den einen Soziussitz, den es außer dem Führersitz in der offenen Maschine noch gibt, ist nicht ganz einfach, denn auf Amateure ist der Apparat nicht eingestellt. Ich werde sorgfältig angeschnallt, damit ich bei den großen Momenten nicht herausfalle. Hinter mir nimmt der Führer Platz, der Motor wird eingeschaltet, der Propeller macht ohrenbetäubenden Lärm, ich markiere – mit Rücksicht auf die Umstehenden – edle Männlichkeit und überlegenen Mut, die Maschine läuft erst ein Stück über das Feld, ein mit grüner und roter Fahne ausgerüsteter Schupo winkt mit der grünen, und dann erhebt sich das Flugzeug mit dem bekannten kühnen Schwung in die eigenen hierfür zur Verfügung stehenden Lüfte.

    Soweit in die Sache in Ordnung und in keiner Weise aufregend. Man schwebt über Chemnitz dahin und freut sich, wie lieblich sich die Stadt von oben ausnimmt. 600m sind wir hoch, und in einer solchen Höhe läßt sich gegen Chemnitz eigentlich nichts mehr einwenden. In 1.000m Höhe, denke ich mir, müßte man die Stadt geradezu liebgewinnen. Es kommt immer nur auf die Distanz an, das ist bei jeder Liebe so; je ferner man ist, um so leichter ist es auch, einander …– aber das alles hat ja van de Velde schon viel ausführlicher gesagt und mit mehr Sachkenntnis, als ich es habe.

    Unten lächelt der Schloßteich, und was sich da am Ufer bewegt, könnte eine Ente sein, aber vielleicht ist es auch ein pensionierter Rechnungsrat, der seinen Morgenspaziergang macht, oder gar ein junges Mädchen, das zum Stempeln geht. Dies ist eben das Schöne bei so großer Entfernung und bei der überlegenen Betrachtung von oben: die Nebensächlichkeiten verschwinden, und übrig bleibt nur das große ganze, das uns alle…

    Aber ich möchte keine Festrede halten. Und ich habe auch keine gehalten dort oben in der Luft, zumal der harmlose Rundflug sehr bald in die Sensation des Kunstfluges ausartete. Man muß zugeben: der Pilot Weiß hat die einzelnen Bogen heraus. So ein Looping mit ihm ist ein Hochgenuß, ein atemberaubender zwar, aber eben desto genussreicher. Ein Rückenflug ist auch nicht von der Hand zu weisen. Wie oft hat man im Leben Gelegenheit, Chemnitz von 600m Höhe aus, mit dem Kopf nach unten, zu betrachten? Ich versichere: die Stadt wirkt in dieser Situation etwas verdreht, doch will das nichts heißen, denn in normaler Lage macht sie vielfach den gleichen Eindruck…

    Und dann kommt der Schlußeffekt: in Schraubenwindungen senkrecht abwärts! Der Ungeübte wird ein leichtes Säuseln in der Magengegend bei dieser seltsamen Talfahrt nicht leugnen können, es ist, als sagt eine Stimme: jetzt fliege ich Sturz! Aber das geht vorüber, eigentlich viel zu schnell, wie dieser ganze Flug. Weiß dirigiert seine Maschine wieder in Horizontallage, es geht langsam abwärts, die Maschine stößt sachte auf, der Schupo winkt, und wie ich in seinem Tschako sehe, kommt mir zu Bewußtsein, das wir wieder auf der Erde sind, in Deutschland, Sachsen, Chemnitz vor dem Ikarus-Restaurant. „Die Erde hat mich wieder“, pflegte Goethe in solchen Fällen auszurufen.

    Wilhelm Russo

    Nebenbei bemerkt: Überschattet wurde der Besuch des Zirkus Barum von einem tragischen Unfall auf der Planitzwiese:

    „Kurz vor Beginn der Nachmittagsvorstellung, als der Andrang des Publikums zu den Vorführungen des Zirkus einsetzte, trat ein Angestellter des Zirkus beim Putzen der Zugmaschine versehentlich auf den Gashebel, so daß sich die Maschine in Bewegung setzte und in die Menge hineinfuhr. Dabei wurde ein 58 Jahre alter Arbeiter, dem es nicht mehr gelang, rechtzeitig zur Seite zu springen, tödlich überfahren.“

    (Quelle: Chemnitzer Neueste Nachrichten, 20.08.1929 – auf Mikrofilm in der Stadtbibliothek Chemnitz, Hinweise auf flugzeugforum.de; Unfall – Dresdner Nachrichten 27.08.1929)

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