Auszüge aus dem Artikel von Horst Teichmann in den Erzgebirgischen Heimatblättern Heft 3/1979 – ergänzt mit meinen Anmerkungen
Georg Baumgarten wurde am 22. Januar 1837 in Johanngeorgenstadt als Sohn des Grenzaufsehers und späteren Obersteuerkontrolleur in Kamenz August Baumgarten, geboren.
Er studierte 1857 bis 1859 an der Forstakademie in Tharandt, war als Forstgehilfe im Auersberg-Revier tätig, wurde 1866 Förster auf dem Borstendorfer Revier (Böhringen bei Roßwein) und kam schließlich 1869 als Oberförster nach Pleißa. Mit der Verlegung der Oberförsterei nach Grüna (1871) fand er hier seinen Wirkungsbereich. Wie Baumgarten mit dem Gedanken der Luftfahrt in Berührung kam, ist unbekannt. Zeitgenossen meinten, schon der Vater hätte ihn inspiriert. In Pleißa sollen schon 1869 kleine Modelle im Zimmer gehangen haben, mit denen er Versuche unternahm.
In Grüna baute Baumgarten ein erstes Modell, das die Form einer dicken Zigarre hatte und ca. 1 m lang war. Es bestand aus einem leichten Holzgestell des Tischlers Albert Trochold. Es wurde mit Leinwand überzogen, der Hohlraum mit gasgefüllten Kinderballons ausgefüllt. Der Aufstieg mißlang, da die Last im Verhältnis zum Auftrieb zu groß war.
Der Oberförster baute unverdrossen ein zweites Modell, wieder etwa 1 m lang. Den Auftrieb sollte von der Gasanstalt Chemnitz bezogenes Gas erzeugen. Der Ballon faßte 7,5 m³. Baumgarten hatte eine Gondel angebracht, in der er versuchsweise eine Kinderdampfmaschine als Antrieb einbaute. Wieder war die Last zu groß, der Versuch schlug fehl. Er glaubte, seine Luftschiffe im Modell ausprobieren zu können. Nun erkannte er: Höhere Last forderte mehr Gas, mehr Gas jedoch einen größeren Ballon. Die dritte Variante war deshalb schon viel größer: Länge 10,5 m, Durchmesser 3 m, Fassungsvermögen 15 m³. In der Gondel fanden „Federkraftmotoren“ Platz, d. h. zwei starke Uhrfedern mit ca. 0,5 PS sollten zum Antreiben von zwei Flügeln an den Seiten der Gondel dienen. Mit einem Schleppseil hielt er das Schiff im Gleichgewicht, wodurch es etwa 2 m über der Erde schwebte. Zwar war der Versuch unbemannt, aber der Konstrukteur sah darin den Beweis, auf dem richtigen. Wege zu sein. Die Tragfähigkeit war erreicht, der Ballon bewegte sich vorwärts, ein auf einem Kugelgelenk angebrachtes Steuer sorgte für die Seitensteuerung.
Ermuntert vom Erfolg, wandte sich Baumgarten einem vierten Projekt zu, wiederum größer, jedoch sind uns die Abmessungen nicht bekannt. Neue Erkenntnisse flossen ein: Größeres Volumen brachte höheren Auftrieb, statt metallischer Getriebeteile wurden zur Gewichtsminderung hölzerne verwendet. 1876 errichtete er am sogenannten Schwarzen Teich bei Rabenstein eine Halle, in der er das benötigte Wasserstoffgas selbst erzeugte. Damit wollte er Kosten sparen, denn die Konstruktionen waren schon aufwendig genug. Es wird von 8 Fässern berichtet, die zur Hälfte mit Eisenhobelspänen gefüllt waren, mit Schwefelsäure versetzt und mit Wasser aufgefüllt wurden. Die Gasreinigung geschah in einem Wasserfaß, dem ungelöschter Kalk zugesetzt wurde. Diese Anordnung führte zur Gewinnung der nötigen Menge Wasserstoffgas. Der auf diese Weise gefüllte vierte Ballon war aber nicht flugfähig, da Baumgarten die Hülle nur aus einfacher mit Firnis getränkter Leinwand herstellte, die nicht gasdicht war.
Bereits im August 1877 meldete er beim kaiserlichen Patentamt sein „Lenkbares Flügel-Luftschiff“ zum Patent an. (Leipziger Tageblatt und Anzeiger, 12.08.1877)
Etwa 1878 ist in die Halle eingebrochen worden. Das Luftschiff wurde nicht beschädigt, kein Material war entwendet. Die Diebe suchten Pläne! Sie hatte Baumgarten in der Wohnung. Nun wußte er, daß sein Vorhaben bedeutungsvoll werden konnte. Das trieb ihn zur Eile. Keiner sollte ihm zuvorkommen.
1879 war das entscheidende Jahr. Ein fünftes Luftschiff entstand, eiförmig, etwa 20 m lang und sollte den Auftrieb für einen Menschen schaffen. Der Ballonstoff von der Firma Bäumcher & Co Chemnitz, war einseitig gummiert, wurde genäht, verklebt und zusammengepreßt. Der Ballon war mit einem Netz überzogen und an der Außenseite waren Längs- und Breitstreifen angebracht. Das Luftschiff stand in einer Holzhalle, die der Gastwirt Franz Keil in seinem Garten (damaliges Schützenhaus) errichten ließ. Baumgarten wollte sich den Erfolg sichern und meldete seine Konstruktion zum Patent an, wohl auch wegen des Einbruchs.
Der erste wenn auch noch unbemannte Aufstieg fand am 31.07.1879 in Grüna statt, weitere auch Bemannte folgten im Herbst des Jahres (H.Teichmann beschreibt es in seinem Buch „Die Sehnsucht zu Fliegen“).
Baumgarten benötigte für seine Versuche Geld und verwandte sein ganzes Vermögen dafür. Im Gastwirt Franz Keil fand er einen treuen Verbündeten, der fest an den Erfolg glaubte und ebenfalls sein ganzes Vermögen opferte. Finanzkräftige Einzelpersonen und staatliche Institutionen lehnten in Verkennung der Perspektiven jegliche Unterstützung ab. Es wird auch von abgeschlagenen Bittgesuchen an den Fürsten von Waldenburg und an die sächsische und Reichsregierung berichtet.
Noch im Jahre 1879 traf Baumgarten mit dem Leipziger Verlagsbuchhändler Dr. Friedrich Hermann Wölfert zusammen, der sich von Baumgartens Ideenwelt stark beeindruckt fühlte. Seine Modelle und Gedanken beeinflußten Dr. Wölfert so, daß er Baumgarten finanzielle Hilfe anbot und an neuen Konstruktionen mitwirkte.
Das neue Luftschiff, das noch 1879, nun im Dresdner „Weißen Adler“ wiederum als starres System gebaut wurde, erhielt drei hintereinander liegende Gondeln, wobei jede seitlich Schrauben für den Vortrieb und unterseits solche für den Auftrieb erhielten. In der Zigarrenform ähnelt das Schiff stark dem zwanzig Jahre später aufsteigenden „Zeppelin“. Baumgarten und Dr. Wölfert schlossen 1880 einen Vertrag ab, in dem sich beide gleiche Rechte für die Ausnutzung der Erfindung zubilligten.
Am 28. März 1880 erfolgte ein Aufstieg in Leipzig, wobei die Ballonfüllung schon tags zuvor eingeleitet wurde. Statt drei Gondeln waren aus Gewichtsersparnis nur zwei angebracht. Nach anderen Berichten, die Arno Petzold erwähnt, war das Schiff 26 m lang. hatte 6 m Durchmesser und faßte 550 m³ Gas. Der „Dresdner Anzeiger« vom 16. März 1880 berichtet von einem Luftschiff, das 40 m lang, 7 m hoch sei und 50 000 Kubikfuß (1650 m³) Rauminhalt habe. Es wären „3 Gestelle mit 24 Wendeflügeln“ gezählt worden. Meinte man damit etwa die Dresdner Konstruktion? Der Leipziger Aufstieg selbst ging nach einer Beschädigung des Ballons glimpflich aus.
Die Flugversuche sind den vorgesetzten Behörden Baumgartens nicht unbekannt geblieben. Sie sahen sie mit Unbehagen. Deshalb verlegte er die Versuche nach Altendorf bei Chemnitz. Von dort stieg im Frühjahr 1881 ein Luftschiff mit nur einer Gondel auf (Länge 17,5 m, Durchmesser 4 m, Volumen 172 m³, Tragkraft 193 kg). Den Antrieb der 2 Wendeflügelpaare sollten 2 Federn mit je 6,1 PS besorgen. Vor Sachverständigen erfolgte am 24. April 1881 ein Aufstieg. Das Schiff bewegte sich in 15 m Höhe gegen eine Windströmung von 2 m/s mit einer Geschwindigkeit von 0,5 m/s, also einer absoluten Geschwindigkeit von 2,5 m/s. Mehr und mehr liefen die Versuche unter dem Namen Dr. Wölfert, sicherlich Grund dafür, daß später dessen Name häufiger als der des eigentlichen Erfinders genannt wird.
In diese Zeit fallen auch Verhandlungen Baumgartens mit Paul Hänlein, der für seine Versuche einen Gasmotor einsetzte. Aus einem Ankauf eines solchen Antriebsmotors durch Baumgarten wurde nichts.
Da sich Baumgarten den Vorhaltungen vorgesetzter Dienststellen gegenüber taub zeigte, stellte ihn der sächsische Minister von Könneritz vor die Alternative: Dienst oder Luftschiff. Baumgarten entschied sich für das Luftschiff, er wurde des Amtes enthoben und zog am 10. Januar 1882 nach Siegmar.
In Berlin war bereits 1881 ein „Deutscher Verein zur Förderung der Luftschiffahrt“ gegründet worden, wo auch Dr. Wölfert Mitglied war. Im Flora-Etablissement Charlottenburg fand am 10. Febr. 1882 vor Vertretern des Kriegsministeriums und des Generalstabes ein erfolgreicher Aufstiegsversuch statt. Bei einer Wiederholung am 5. März 1882 kam es zu einem Unglück. Das 17,5 m lange Luftschiff mit 6 m Durchmesser und 330m³ Volumen, dessen Hülle fünfmal gefirnist war, blieb beim Aufstieg an einem Baum hängen, die Hülle riß auf. Den Absturz überstand Baumgarten unbeschadet. Es war sein letzter Aufstieg. Unter den Zuschauern soll sich auch Graf Zeppelin befunden haben, als Mitglied der Militärkommission. Inwieweit Zeppelin durch Baumgarten angeregt wurde, ist nicht bekannt. Zeitgenossen berichten von einem Besuch des Grafen in Grüna, dies aber ist nicht erwiesen. Verbürgt jedoch ist, daß die spätere Witwe Baumgarten auf ein Bittgesuch hin von ihm 50 Mark erhielt.
Baumgarten ließ sich jede Erfindung patentieren. Ihm wurden in der Zeit von 1877-1882 7 deutsche Patente erteilt. 1880 reiste Baumgarten nach Paris und Brüssel, um sich auch dort seine Erfindungen patentieren zu lassen. Dem Autor wurden folgende Patentschriften in Deutsch bekannt:
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Nr. 9137 vom 2.4.1879 „Flügelschiff mit Lenkvorrichtung“,
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Nr. 8392 vom 31.1.1880 „Fortbewegungsapparat für Luft- und Wasserschiffe“,
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Nr. 11471 vom 8.11.1880 „Neuerungen an Fortbewegungs-Apparaten für Luft- und Wasserschiffe“,
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Nr. 14684 vom 8.8.1881 „Neuerungen an Luftschiffen“ (Zusatzpatent zu Nr. 9137)
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Nr. 18697 vom 15.7.1882 „Neuerungen an Luftschiffen“,
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Nr. 20348 vom 8.12.1882 „Neuerungen an Wendeflügeln zur Fortbewegung von Luft- und Wasserschiffen“.
Der geschäftstüchtige Dr. Wölfert verhandelte hinter Baumgartens Rücken. Baumgarten fühlte sich hintergangen und schrieb z.B. in einem Brief an Freiherrn von Hagen: „Ich glaube, daß man mir wird Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn die Luftschiffahrt Leben gewinnen wird. Letztere ist doch erst durch meine vielfachen Experimente in Schwung gekommen.“
Dr. Wölfert unternahm Versuche, sich vertragsgemäß so gut wie alle Rechte anzueignen, so gegenüber Frau Baumgarten noch zu Lebzeiten ihres Mannes, Dritten gegenüber suchte er, sich als Rechtsnachfolger Baumgartens zu bezeichnen. Frau Baumgarten sollte Dr. Wölfert ermächtigen, „nicht allein die Erfindung ihres geisteskranken Mannes nach besten Wissen und Willen auszuführen und in pekuniärer Beziehung auszubeuten“, sondern auch Dr. Wölfert und dem Kaufmann Paul Bredschneider auch alle Eigentumsrechte an den vorhandenen Patenten und zu ihrem Verkauf zuzusprechen. Frau Baumgarten unterzeichnete am 3. März 1883 diesen Vertrag nicht.
Ihr Mann war seit dem 13. Januar 1883 in der Landesanstalt Colditz, nachdem man ihn für geisteskrank erklärt hatte. Anlaß dazu war eine heftige Auseinandersetzung mit dem Handschuhfabrikanten Kreißig, der Baumgarten wegen seiner Luftschiff-Ideen beleidigte und dieser daraufhin zum Gewehr griff. Der Einlieferung in Colditz gingen Krankenhausaufenthalte in Zwickau und Chemnitz voraus.
Ernst Georg Baumgarten, der fliegende Oberförster, verstarb in Colditz am 23. Juni 1884, im Alter von 47 Jahren. Frau Hedwig Baumgarten verstarb im Januar 1929 im Alter von 82 Jahren in Saalhausen bei Freital. Der gesamte Nachlaß wurde 1928 versteigert.
Nach Baumgartens Tod führte Dr. Wölfert die Arbeit allein fort.
Im Mai 1896 entschloß sich Dr. Wölfert zum Einbau eines Gasmotors und machte, am 28. und 29. August Fahrten zur Berliner Gewerbeausstellung. Der Aufstieg am 12. Juni 1897 sollte sein letzter sein. Das Luftschiff „Deutschland“, zigarrenförmig mit 28 m Länge, 8,5 m Durchmesser, Gesamtgewicht 600 kg, Tragkraft 900 kg, angegeben, hatte eine 4m lange Bambus-Gondel mit vorderseits einer zweiflügeligen Luftschraube von 2 m Durchmesser, unterseits einer gleichartigen für die vertikale Bewegung. Der Motor lief 500 U/min. Rückseits war ein Steuerrohr aus Bambus angebracht. Eine Probefahrt nach Steglitz war schon in Friedenau wegen Bruchs der Luftschraube gescheitert. Die Fahrt endete mit dem Tode Dr. Wölferts tragisch: Nach einer Explosion stürzte das Luftschiff ab.