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Harthauer Gleitflugskizzen

    Einen Tatsachenbericht als reales Bild der Zeit zur Entwicklung der ersten Flugzeuge habe ich in der Zeitschrift Flugsport 1910 gefunden. Und dazu einen Hinweis auf ein noch nicht bekanntes Übungsgelände im damaligen Chemnitzer Vorort Harthau, der erst 1950 eingemeindet wurde.

    „Im Spätherbst wars, als sich die Nachrichten häuften von Flügen, die Menschen auf „Schwerer als Luft“-Maschinen ausgeführt hatten, als man endlich Bilder des Wrightapparates sah, der schon lange von sich reden gemacht hatte. Natürlich bemächtigte sich sofort das „Kino“ dieser Situation und brachte Aufnahmen von Flügen der Amerikaner und der französischen Schule. Und so kam es, daß das Kino den letzten Stoß gab und zur Arbeit zwang, einer Arbeit, die wir als zukünftige Ingenieure mit Begeisterung in Angriff nahmen, galt sie doch der Eroberung des Raumes, den wir bisher mit dem Ballon nur unzulänglich beherrschten. Der Eindruck, den der elegante Flug eines Delagrange und Wright hinterlies, trieb uns Ähnliches zu versuchen und zwar zunächst an kleinen Modellen die Gesetze zu studieren, die beim Fliegen in Betracht kommen. An Hand einer ungeahnt wachsenden Literatur bauten wir ein Modell um das Andere und lernten von jedem etwas Neues.

    Endlich nach fast dreiviertel Jahren fanden wir unseren Typ, der sich durch seine Ruhe und Stabilität im Flug auszeichnete. Dieses Modell wurde in allen Größen gebaut und als Drachen, als Gleitfliegermodell oder als kleiner Motorflieger mit Gummischnurantrieb allen möglichen Bedingungen unterworfen und ausprobiert. Und immer wieder zeigte sich die ruhige Sicherheit, mit der es durch die Luft glitt.

    Abbildung aus der Zeitschrift Flugsport 1910
    Abbildung aus der Zeitschrift Flugsport 1910

    Michaelis 1909 (29.09.) entschlossen wir uns daher einen Gleitflieger von solchen Abmessungen zu bauen, daß wir uns ihm selbst anvertrauen konnten. Zu Weihnachten 1909 war die Maschine fertig, und bald fanden wir auch einen geeigneten Platz in den Weideplätzen des Gutsbesitzers Uhle in Harthau, die uns in liebenswürdigster Weise zur Verfügung gestellt wurden und die für unsere Versuche genügten.

    Der Apparat wurde durch Schnee und Sturm von Chemnitz nach Harthau transportiert, – 5 Uhr morgens um kein Aufsehen zu erregen – und sollte noch an demselben Vormittag probiert werden. Doch der Wind wurde so stark und böig, daß wir uns nicht getrauten, den Apparat zu besteigen, da wir ja noch nie in einem Flugzeug durch die Luft gefahren waren. Wir mußten uns also dem Verderber schon so mancher Flugwoche beugen und gedulden. Jedoch bald kam ein Nachmittag, der uns das Fliegen erlaubte. Zuerst kamen Sprünge über 5 bis 6m dicht über Boden dahin. Es galt zunächst den günstigsten Punkt für den Flieger zu bestimmen die Steuerhebel in handlicher Nähe anzubringen; anfangs hatten wir nur das Höhensteuer in Gebrauch, sahen jedoch nach wenig Übungen, daß es unbedingt nötig war, die Verwindung der Tragflächen einzuführen, um ein Mittel gegen seitliches Kippen zu haben. Nach Anbringen eines Steuerorgans wendeten wir eine andere Startmethode an, der wir jetzt bis jetzt treu geblieben sind. Zuvor versuchten wir, einfach selbst mit dem Apparat dem Winde entgegen den Hang hinabzulaufen, kamen aber auf dieser Weise zu keinen längeren Flügen, da das Gefälle zu gering war. So gingen wir denn dazu über, den Apparat derart hochzuführen, das vorn ein oder zwei Personen an einer 15m langen Hanfschnur zogen. Nach wenigen Schritten hebt sich der Schwanz, und kurz darauf fühlt sich der Flieger selbst angehoben….

    Natürlich sind wir auch nicht von Kleinholz verschont worden, das durch mancherlei Gründe verursacht wurde. Am Anfang waren es noch meist falsche Steuergriffe, die das Flugzeug in Schräglage zur Erde kommen liesen. Nachdem diese Kinderkrankheiten überwunden waren, kostete uns der sogenannte „alleinstehende Baum“ eine Tragfläche, der daraufhin einfach dank des Entgegenkommens unseres Wirtes abgesägt wurde. Die Konstruktion unseres Flugzeuges, die dem Flieger nach allen Seiten schützt und es ihm möglich macht, sich gewissermaßen in den Apparat hineinzuzwängen und sich eines mit ihm zu fühlen, hat uns bis jetzt von allen Verletzungen bewahrt und uns die Gewißheit gegeben, das bei Beachtung der allernötigsten Vorsichtsmaßregeln keine Gefahr für den Flieger besteht. Unser Apparat ist, wie die Abbildungen zeigen, ein Eindecker mit kastenförmigen Schwanz, der zum Patent angemeldet ist. Er hat 14 qm Haupttragfläche und 6qm Steuerfläche. Der Kasten dient als Höhen- und Seitensteuer und gleichzeitig als Stabilisierungselement. Als Material für den Rumpf und die Flächen benutzten wir Fichtenholz. In letzter Zeit haben wir noch das Fahrgestell verändert, indem wir die Kufen ähnlich der Ursinns-Maschine anordneten.“

    Bis Ende Juni 1910 unternehmen Gotthard Gruner und der Gewerbeakademiker Hermann Günther noch mehrere Aufstiege bis in eine Höhe von 8m auf dem Harthauer Gelände. „Beim letzten Versuch wird der Flugapparat von einem Windstoß erfasst und gegen einen Zaun gedrückt. Der Pilot bleibt unverletzt, der Apparat nur geringfügig beschädigt.“ schreibt das Chemnitzer Tageblatt am 28.Juni 1910.

    Die Beiden entwickelten dann 1911 einen Eindecker mit 5 Zylinder-Riedl-Motor, den sie erfolgreich testeten und flogen. Er hatte eine Spannweite von 11,40m bei einem Gewicht von 230 kg. Sie waren auch die Ersten, die den Flugplatz in Altchemnitz 1913 anflogen.

    ( Quellen: Zeitung Flugsport 1910 abgerufen unter http://www.luftfahrt-bibliothek.de, Braunbecks Sportlexikon 1912, Chemnitzer Tageblatt 1910 )