Wenn ich heute diesen Mann und seine Fabriken vorstelle, bringe ich Ihnen eine weitere weltbekannte frühere Firma aus Chemnitz näher. Wie die Firma E.O.Richter war dieses Unternehmen auf ihrem Gebiet marktführend. Der einfallsreiche Kohl stieg mit Geschick, Sorgfalt und Präzision vom kleinen Unternehmer zu einem der vielen Chemnitzer Millionäre auf.
Am 14. März 1876 eröffnete der am 4. Oktober 1853 in Lauenstein geborene Max Hans Robert Kohl sein erstes Fachgeschäft für mechanische und optische Erzeugnisse in der Poststraße 21. Seinen ersten Wohnsitz hatte er in der Stollberger Straße 8, als er sich nach einem abgebrochenen Studium und einer Lehre zum Mechaniker in Chemnitz selbständig machte. 1877 heiratete er die 20jährige Frl. Ewelin Camilla, geb. Schwenke.
Sie brachte mit der Mitgift einen ersten kleinen Wohlstand in die Ehe. Unter bescheidensten Umständen baute er das Unternehmen auf und begann schon bald selbst mit der Instrumentenfabrikation. 1883 zog er mit seinem Geschäftslokal in die Reitbahnstraße 2, direkt an die Kreuzung zur Poststraße. Doch bereits ein Jahr später finden wir ihn in der Poststraße 27d, ab 1885 umnummeriert in Poststraße 51, gleich gegenüber des Hauptpostamtes.
Er spezialisierte sich auf die Herstellung von Apparaten und Anlagen für technische und wissenschaftliche Zwecke. Des Weiteren wurden physikalische Messgeräte für die Textilindustrie, Labormöbel und elektrische Anlagen für Licht, Strom, Telefon sowie Signal- und Uhrenanlagen produziert. 1888 werden schon 19 Angestellte genannt.
1895 traf ihn ein schwerer Schicksalsschlag. Seine Frau Ewelin Camilla starb am 21.November 1895 im Alter von 38 Jahren, kurz nach der Geburt des fünften Kindes.
Weil die Räumlichkeiten in der Poststraße 51 schnell zu klein wurden, verkaufte Max Kohl sein Haus an den Kommerzienrat Curt Friedrich Pflugbeil. Seine Instrumentenfabrik übergab er an den Chemnitzer Bürger Curt William Grundmann. Curt Grundmann firmierte seit 1896 als Firma Mechanische Handlung optischer Waren. Mit dem Verkauf des Hauses Poststraße 51 und seiner Geschäftsanteile an der Firma war ein Neubau in der Beckerstraße möglich geworden. 1896 erfolgte der Umzug der Werkstätten in ein neues Fabrik- und Wohnhaus auf der Beckerstraße 17. An der Straßenfront das villenähnliche Kontor, das auch Wohnsitz der Kohls wurde, im Hof das Fabrikgebäude.
Dank des rastlosen Gründers und der Vorzüglichkeit seiner Erzeugnisse erlangte er Weltruf und seine Produkte erfreuten sich höchster Anerkennung wissenschaftlicher Institute.
Immer wieder beteiligte Kohl sich an internationalen Ausstellungen und Messen und erhielt für seine Exponate und Produkte zahlreiche Auszeichnungen und Medaillen.
Anfang Mai 1899 kam neben dem beruflichen auch noch einmal privates Glück hinzu. Die Verlobung mit Frl. Sara Meister, die er später heiratete. Es war seine zweite Ehe, die kinderlos blieb.
Das Fabrikgelände an der Beckerstraße genügte bald den immer neuen Herausforderungen und der größer werdenden Produktpalette nicht mehr. Im neu erschlossenen Industriegebiet auf der Adorfer Straße im Stadtteil Altchemnitz erwarb Kohl ein 8.000m² großes Grundstück und lies nach eigenen Plänen von dem Chemnitzer Baumeister Paul Fiedler in den Jahren 1899 und 1900 eine neues mehrstöckiges Fabrikgebäude errichten. Die Firma wurde ab diesem Zeitpunkt als „Fabrik für Präzisionsmechanik und Elektrotechnik Max Kohl“ geführt. Der Wohnsitz der Familie Kohl verblieb in Beckerstraße 17.
Die Gebäudefront an der Adorfer Straße war 65 m lang, bei einer Gebäudetiefe von 16 m. Es besaß Souterrain, 4 Geschosse und Dachgeschoß. Durch den prächtigen und repräsentativen Haupteingang an der Adorfer Straße gelangte man zum im ersten Stock gelegenen Hauptkontor. Dieses stand mit den übrigen Verwaltungszimmern und Prüfungsräumen in direkter Verbindung. Daneben waren Experimentierzimmer und Laboratorien modern eingerichtet. In den anderen Stockwerken befanden sich technische Büros und die mechanischen Werkstätten, im Dachgeschoß ein Lager, im Erdgeschoß die Tischlerei, im Souterrain die Lackiererei und eine Holztrockenkammer.
Im Hof des Areals stand das Maschinen- und Kesselhaus mit einer 75 PS Dampfmaschine zur Energiegewinnung. In jedem Saal waren separate Elektromotoren installiert , die über eine Transmission die Maschinen antrieben. Im August 1900 waren bereits 200 Arbeiter und 30 Beamte angestellt.
Höhepunkte seines erfolgreichen und sicherlich erfüllten Berufslebens werden die Besuche der sächsischen Könige „Georg“ am 11. September 1902 und „Friedrich August“ am 2. März 1905 in seinem Etablissement gewesen sein, bei dem er bei einem Rundgang den Majestäten die Fabrikationsräume zeigen konnte, Experimente vorführen und bei Ausstellungen die eigenkonstruierten Apparate für den Unterricht und für den Laborationsgebrauch zeigen konnte.
Nach einer Zuckerkrankheit starb Max Kohl am 8. Mai 1908. Er war seit 1905 Stadtrat, und u.a. langjähriges Mitglied im Handwerkerverein, unterstützte aber durch wohltätige Gaben andere Vereine und Organisationen.
Am 9. Dezember 1908 fand in den Räumen der Dresdner Bank in Chemnitz die Konstituierung der Aktiengesellschaft statt, die das Unternehmen übernahm. Das Grundkapital betrug damals 1.600.000 RM. Die Direktion der neuen Gesellschaft verblieb in den Händen des langjährigen Leiters der Fa. Max Kohl, Herrn Ingenieur Ernst Burger.
Am 10. Februar 1909 wurde die „Max Kohl Aktiengesellschaft“ mit Sitz in Chemnitz auf Blatt 6090 des hiesigen Handelsregisters eingetragen. Gründer der Gesellschaft waren: Sara verw. Kohl geb. Meister, Kohls Ehefrau, die das ihr im Erbgang zugefallene Fabrikations- und Handelsgeschäft mit allen Firmen- und Schutzrechten einbrachte. Dazu gehörten auch 3 Grundstücke. Weitere Gründer waren die Kaufmänner Paul Kohl und Arthur Hagen, Ing. Ernst Burger (alle Chemnitz), sowie die Dresdner Bank AG Dresden, vertreten durch Generalkonsul Klemperer (Dresden).
Noch vor 1910 wurde auf der Elsasser Straße ein fünfstöckiges Tischlerei- und Montagegebäude errichtet. Wann der Übergang zwischen beiden Hauptgebäuden errichtet wurde, der auf dem Klischee und auf verschiedenen Ansichten erkennbar ist, konnte ich noch nicht herausfinden.
Über 500 Arbeiter stellten mittlerweile komplette Laboreinrichtungen, Lehrräume, Schalttafeln und Projektionsapparate her. Die Kataloge wurden immer dicker, die die Firma auch in mehreren Fremdsprachen veröffentlichte. Weltweite Bestellungen gingen ein und bescherten der Firma fantastische Ergebnisse.
1914 wurde Kohls Witwe Sara Lea das Haus Parkstraße 44 von den Erben des verstorbenen Richard Bernhard Escher zum Kauf angeboten. Sie erwarb das Haus, zog von der Beckerstraße 17 dorthin und bewohnte es bis 1938. Dann verkaufte sie das Anwesen in der Parkstraße an den Dipl. Ing. Konrad Schnicke und zog in die Nähe ihrer Schwester Gertrud Meister in das Haus Hohe Straße 27, in dem sie bis zu Ihrem Tode 1943 lebte.
Der 1. Weltkrieg und später die Weltwirtschaftskrise wurde überstanden, obwohl die Firma sich von der Hälfte der Belegschaft trennen mußte. Im Bericht zur Aktiengesellschaft des Jahres 1929 wurde das Stammkapital auf 2 Millionen Reichsmark (5.000 Aktien a 400 RM) beziffert, die Aktien wurden an den Börsen in Dresden und Chemnitz gehandelt. Der Grundbesitz betrug über 10.000m² bei 2.447 m² bebauter Fläche. Auch der Beginn der 30er Jahre brachte andauernde schlechte Geschäfte, weiterer Personalabbau war die Folge. Doch man meisterte auch diese Krise.
Im 2. Weltkrieg wurde die Fabrik weitgehendst von Zerstörungen verschont. Die meisten der noch intakten Maschinen verbrachte man nach dem Krieg im Zuge von Reparationsleistungen in die Sowjetunion.
Im Jahre 1948 wurde die Löschung aus dem Handelsregister vorgenommen. Reste der ehemaligen Fima gingen 1949 in einen Volkseigenen Betrieb, dem VEB Labor- und Prüfgerätebau (vorm. Max Kohl AG) Chemnitz (ab 1953 Karl-Marx-Stadt), über. 1968 erfolgte schließlich der Anschluss an das Buchungsmaschinenwerk als Werk IV Musterbau, Adorfer Straße 20.
Nach der Wende das Ende: Im Jahr 1991 meldete das Werk Insolvenz an und wurde abgewickelt. Die noch gut erhaltenen Gebäude wurden glücklicherweise saniert und beherbergen heute in der Elsasser Straße eine Außenstelle des Jobcenters.
(Quellen: Biografie Max Kohl unter https://saebi.isgv.de/biografie/Max_Kohl_(1853-1908); Festschrift zur Versammlung des BDI Chemnitz 1898; Buch „Chemnitz am Ende des 19.Jahrhunderts“; Adressbücher der Stadt Chemnitz zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)