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Die Prestowerke

    111 Jahre Fahrzeug- und Motorenbau an der Chemnitzer Scheffelstraße.

     

    Der 1915 fertiggestellte 2. Teil des Verwaltungsgebäudes

    Am Stadtpark prägt heute das moderne Gelände des VW-Motorenwerkes das Bild. Wenn wir aber das leerstehende ehemalige Krankenhaus an der Scheffelstraße gegenüber sehen, kommt ein bisschen Wehmut auf. Was wird aus diesem Gebäudekomplex werden?
    Bis zum 2. Weltkrieg war hier bekanntermaßen die Hauptverwaltung der Auto-Union beheimatet. Ab 1936 wurden hier die kaufmännischen Abteilungen, Konstruktion und Entwicklung des 1932 gegründeten Sächsischen Automobilkonzerns zusammengefasst. Die Betrachtung dieser Hauptverwaltung ist Thema des nachfolgenden Artikels.

    Nicht uninteressant dürfte jedoch auch die infrastrukturelle Entwicklung bis zur Übernahme des Geländes durch die Auto-Union sein. In diesem Beitrag möchte ich genauer auf die weniger bekannten Details eingehen.

    Das Werksgelände um 1913

    Bis zum Jahre 1909 war die Scheffelstraße zwischen Chemnitzfluß und Eisenbahnstrecke gänzlich unbebaut. Diese Grundstücke, direkt an der Chemnitz-Stollberger Eisenbahnlinie, waren für die zur Erweiterung und Rationalisierung bestrebte „Prestowerke AG“, die bis dahin ihren Firmensitz in der Zwickauer Straße 88 hatte, von Interesse.

    Zur Firmengeschichte und dem Produktportfolio möchte ich dazu auch auf die umfangreiche Präsentation auf Presto-Chemnitz.de verweisen.
    Im Frühjahr 1909 fiel die Entscheidung zum Bau einer neuen Fabrikationsanlage und den Ankauf des Altchemnitzer Geländes. Ziel war neben der Fahrradproduktion die Aufnahme der Serienfertigung von Automobilen, die in den beengten Verhältnissen im alten Fabrikgelände nicht möglich war. Finanziert wurde es durch Aktienausgabe und Erhöhung des Stammkapitals von 400.000 Mark auf 1,5 Mill. Mark

    Das Chemnitzer Architekturbüro von „Bürger & Benirschke“ übernahm den Entwurf und die Planung der umfangreichen Anlagen, die bereits im darauffolgenden Jahr fertiggestellt waren.
    Die Konstruktion und Fertigung von eigenen Fahrzeugen beginnt dort im Jahr 1910. Neben dem Fahrradbau wird der Automobilbau fortan, trotz der gerade in Sachsen großen Konkurrenz, zur wichtigsten Stütze der Presto-Werke.
    Zum 1. Januar 1911 werden die Fabrikanlagen Scheffelstraße 10 offiziell übergeben.

    Auf den vorstehenden Abbildungen kann man die Struktur gut erkennen. Das neoklassizistische Verwaltungsgebäude an der Straße, dahinterliegend die mit einem Sheddach ausgestatteten Fabrikanlagen, die man über einen überdachten Übergang trockenen Fußes erreichen konnte. Entgegen der zur damaligen Zeit bereits üblichen elektrischen Antrieb setzte Presto noch auf den herkömmlichen Transmissionsantrieb ihrer Werkzeugmaschinen. Die Energie lieferte dazu eine 560 PS starke Dampfmaschine, über 2 unabhängige Kesselanlagen konnte das Werk optimal mit Strom und Wärme versorgt werden. Ein Gleisanschluß brachte die benötigten Rohstoffe ins Gelände und ermöglichte den Bahnversand der Erzeugnisse zu den Kunden in ganz Europa.

    Innenansichten der Fabrikanlagen 1914, die Transmissionsantriebe der Maschinen sorgten für eine enorme Geräuschkulisse.

    Annonce von 1918

    Mit ihren Plänen, sich auch auch auf Transportfahrzeuge zu spezialisieren, ergaben sich für die „Prestowerke“ neue Absatzfelder. 1913 kam in Berlin-Charlottenburg eine neue Filiale hinzu. Es wurden nun auch Sanitätswagen, Lieferwagen und sogar Omnibusse hergestellt, die zu Beginn des 1.Weltkrieges bereits im Dienste des deutschen Heeres standen. Weitere Aufträge zur Ausstattung des Heeres im Krieg machten dringende Kapazitätserhöhungen verbunden mit Neubauten notwendig.
    Das ab 1911 neu firmierte Architekturbüro von „Kornfeld & Benirschke“ erhielt den Zuschlag für die Erweiterungsbauten ab 1915 – 1917. Wieder wurde das Grundkapital um 500.000 Mark auf 2 Mill. Mark durch Aktienausgabe erhöht. Das vergrößerte Verwaltungsgebäude wurde noch 1915 fertig, weitere Betriebsanlagen folgten. Ende 1916 konnte man auf Grund der guten Umsatz- und Auftragslage und des erzielten finanziellen Ergebnisses resümieren, das die maschinelle Vervollkommnung und die fertiggestellten Neubauten Garanten für den guten Jahresabschluß waren. Die noch in Ausführung begriffene erhebliche Betriebserweiterung sollte in den nächsten Monaten zu nutzbringender Verwendung kommen. Ab 1917 warb man bereits mit den neuen Fabrikanlagen als Werbefläche in verschiedenen Motorsportzeitschriften.

    Das Werk in den Ausmaßen von 1922

    Kurz nach dem Ersten Weltkrieg (1919) schließt sich das Chemnitzer Unternehmen mit einigen anderen Herstellern zum „DAK“ (Deutscher Automobilkonzern) zusammen, welcher in dieser Verfassung aber nur bis 1926 besteht.
    1921 schließlich nahm man auch die gegenüberliegende Seite der Scheffelstraße in Besitz und errichtete weitere Produktionsstätten, postalisch Scheffelstraße 9. Hier befanden sich u.a. Kraftfahrzeughallen mit Lackiererei und Sattlerei, sowie die Fahrzeugauslieferung. Der Ausbau der Anlagen Richtung Süden und des Grundstücks ging weiter voran. Zwar stockte er 1925 zunächst aufgrund von Bauarbeiterstreiks, doch wurde der Arealbesitz im selben Jahr um 60 000 Quadratmeter erhöht, sodass der gesamte Grundbesitz aus 138 800 Quadratmetern mit Gleisanschluss bestand.
    Die Jahre 1925-1927 stellten den Niedergang der „Prestowerke“ als eigenständige Aktiengesellschaft dar. In diesen Jahren machte sich die Beendigung der Einfuhrsperre und der Import der ausländischen Fahrzeuge auch bei den „Prestowerken“ bemerkbar.
    Zusätzlich zu den allgemeinen wirtschaftlichen Problemen sorgte Mitte Mai 1927 die Explosion eines Lackierofens für einen Brand und damit empfindliche Störungen im Werk Chemnitz. Damit verbunden waren Materialschäden und eine gehemmte Produktion, weshalb auch der Gesellschaft wirtschaftliche Schwierigkeiten entstanden.
    Zu Jahresbeginn 1928 fusionierten, daraus folgend, die „Prestowerke“ und die „Nationale Automobil-Gesellschaft“ Berlin.
    Aber bald gab es den großen Rückschlag, die Weltwirtschaftskrise und monatelange Streiks der Arbeiter sorgten für Probleme bei Produktion und Absatz der Produkte. Noch 1928 gab man die Automobilproduktion auf. Auch die Fahrradproduktion stockte. Teile der Werkzeugmaschinenparks wurden nach Berlin ins Stammwerk verbracht. Anfang der 30er forcierte man neben der Fahrradproduktion noch einmal die Herstellung von Zahnrädern und Kurbelwellen.
    Die Gebäude und das Grundstück an der Scheffelstraße waren mittlerweile ein stattlicher Industriekomplex geworden. Sie blieben als Immobilienbesitz bei der „NAG“ Berlin bis zum Verkauf 1935 an die Auto-Union.

    (Quellen: „Presto“- eine vergessene Fahrzeugmarke, Albrecht Mugler; Führer durch den Industriebezirk Chemnitz -1914, Masterarbeit von Franzpeter Uhlig „Die Prestowerke AG“; div. Tageszeitungen und Planausschnitte zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)