Auf den ersten Blick trennt den bereits vorgestellten „Marmorpalast“ und die „Wiesenburg“ nur eine kurze räumliche Distanz. Auf den zweiten Blick verbindet diese beiden historischen Gebäude jedoch eine tragische, nahezu identische Schicksalsgeschichte. Mehr als ein Jahrhundert lang prägten sie das Bild des Chemnitzer Stadtteils Altendorf, überdauerten Kriege, Systeme und Generationen. In den Nachwendejahren gerieten die denkmalgeschützten oder -würdigen Anwesen in eine Abwärtsspirale aus Sanierungsstau, mysteriöser Brandstiftung und unaufhaltsamem Verfall, die jeweils im endgültigen Abriss mündete.

Die Historie zur Wiesenburg
Das alte Gasthaus an der Mühlgasse 1 in Altendorf befand sich seit mindestens 1887 im Besitz von Heinrich Theodor Seifert und war in einem sehr schlechten Zustand. Der rührige Wirt erwarb wohl vorausschauend 1892 ein fast einhundert Jahre altes Haus an der Limbacher Straße 76 sowie ein größeres Grundstück vom benachbarten Bauerngut. Nach dem baldigen Abbruch des Hauses errichtete er 1893 an dieser Stelle „Seifert’s Concert- und Ballhaus Wiesenburg“. Dieses wurde bereits Anfang Dezember des Jahres mit einem Schauspiel der Altendorfer Schulkinder namentlich erstmals erwähnt. Merkwürdigerweise brannte der sich noch in Seiferts Besitz befindliche, leerstehende alte Gasthof mit Saal- und Wohngebäude am 22. November 1893 nieder. Neben der örtlichen Feuerwehr beteiligten sich auch Feuerwehren aus Rottluff, Rabenstein und Schönau an diesem Einsatz.
Das ansehnliche Gebäude der Wiesenburg mit seinen charakteristischen aufgesetzten Türmen entwickelte sich bald zu einer Altendorfer Institution, in der vielfältige Veranstaltungen stattfanden. Es wurde als größtes und geschmackvollstes Etablissement der Umgebung beworben. Im Jahr 1895 kam eine zentralbeheizte Asphalt-Kegelbahn hinzu.
Einen neuen Aufschwung erlebte das Haus mit der Verlängerung der bereits im Dezember 1893 bis zur Stadtgrenze Altendorf geführten Straßenbahnlinie F ab dem 16. Juni 1898. Einen Tag zuvor war der erste Wagen an der Wiesenburg im Beisein des Gemeindevorstandes Böhme, des Direktors der Straßenbahngesellschaft Bleyberg, Pastor Koch, Schuldirektor Hesse und anderer mit einem vom Wirt gebotenen festlichen Frühstück empfangen worden. Anschließend fuhr der Wagen mit den Festteilnehmern die Strecke von Wiesenburg nach Bernsdorf. Dort fand die Eröffnungsfeier in fröhlicher Runde in „Meyers Feldschlösschen“ ihren Abschluss.

Auch die Zusammenkunft wichtiger Persönlichkeiten in der Wiesenburg am 16. Mai 1899 war von großer Bedeutung: In einer außerordentlichen Sitzung des Gemeinderats unter dem Vorsitz von Amtshauptmann Dr. Hallbauer und in Anwesenheit von Oberbürgermeister Dr. Beck, Bürgermeister Gerber, Stadtbaurat Hechler sowie dem Polizeidirektor Lohse als Vertreter der Stadt Chemnitz wurde der von der Stadt zur Einverleibung Altendorfs ausgearbeitete Vertrag einstimmig und vorbehaltlos vom Gemeinderat angenommen. In dieser Sitzung wurde zudem der 1. Juli 1900 als Einverleibungstermin Altendorfs festgesetzt. Auch die Feierlichkeiten dazu fanden dann am 30. Juni 1900 selbstverständlich in der Wiesenburg statt, ab diesem Zeitpunkt postalisch auch Limbacher Straße 206.
Um 1900 wurde das Haus dann in einer Annonce erstmals ausführlich beschrieben: Es ist mit allem Komfort der Neuzeit wie Zentralheizung und elektrischer Beleuchtung ausgestattet. Eine Stallung für 100 Pferde samt Geschirr ist vorhanden. Den Gästen stehen ein großer und ein kleiner Saal mit feenhafter Beleuchtung zur Abhaltung von Festlichkeiten aller Art zur Verfügung. Es gibt schöne, luftige Fremdenzimmer für Touristen und Sommergäste sowie mehrere Gesellschaftszimmer. Ein großer Garten mit Veranda und Asphalt-Kegelbahn für Sommer und Winter sowie Kinderspielplätze mit ständigem Karussell und Tiergarten ergänzen das Angebot. Zur Belustigung der Kinder wurde Pony-und Maultier-Reiten und -Fahrten angeboten. Selbstverständlich gibt es auch „beste Bewirtung, die allen Ansprüchen genügt“. 1903 wurde zudem eine Musikhalle in den Gartenanlagen gebaut, 1907 ein neues Stall- und Remisengebäude errichtet.
Zwischen 1906 und 1914 diente das Restaurant Wiesenburg als Veranstaltungsort für die Kontrollversammlungen des Gemeinde- und Gutsbezirks Rabenstein sowie der Gemeindebezirke Reichenbrand, Neustadt und Rottluff. Alle Reservisten, Dispositions-Urlauber, zur Disposition der Ersatzbehörden Entlassenen und zum Wehrdienst Tauglichen, die in den Orten ansässig waren, erhielten den Befehl, sich am festgelegten Tag pünktlich in Altendorf einzufinden. Sie wurden dort erfasst und gemessen, vergleichbar mit der Musterung der Militärangehörigen.
Noch bis 1912 wurde die Wiesenburg von Theodor Seifert bewirtschaftet. In diesem Jahr pachteten Arthur Bruno Heinig und seine Frau die Lokalität. 1913 erwarb der Kaufmann und Vertreter der Altenburger Aktienbrauerei Eduard Max Götze das inzwischen als „Hotel Wiesenburg“ bekannte Gebäude mitsamt seinen Außenanlagen. Ein tatsächlicher Hotelbetrieb ist bisher nicht nachweisbar. Noch vor dem Ersten Weltkrieg erhöhte sich die Anzahl der Wohnungen im Haus von anfänglich vier auf acht Einwohner/Familien, die in den Adressbüchern gemeldet waren.
1919 übernahm Heinrich Opitz die Verpachtung von Heinigs Witwe. Ab 1922 ist er auch als Besitzer verzeichnet. Der große Saal ermöglichte sowohl in der Zeit der Weimarer Republik als auch unmittelbar nach 1945 neben verschiedenen privaten und gesellschaftlichen Anlässen zahlreiche militärische und politische Versammlungen. So fanden beispielsweise im Oktober 1921 der Regimentstag des ehemaligen Feldartillerie-Regiments 68 und am 16. September 1926 das wiederkehrende Stiftungsfest des Vereins für Fußartillerie in der Wiesenburg statt.
1935 zwangen wohl wirtschaftliche Gründe H. Opitz zur Aufgabe des Geschäftes und die Firma „Ballhaus Wiesenburg“ wurde zum 30. Oktober 1935 aus dem Handelsregister gelöscht. Die Sparkasse Chemnitz erwarb das Unternehmen anschließend und verpachtete es an Bruno Lohr, der es bis zur Schließung im Jahr 1942 weiterbetrieb. Ab diesem Jahr war das Areal im Besitz der Firma Gebrüder Langer, Schrauben-, Metallwaren- und Maschinenfabrik Altendorf. Die Firma ließ noch 1942 auf dem Gelände eine Baracke für russische Zivilarbeiter errichten, die im Rüstungsbau der Firma arbeiteten. Eine weitere stand im Firmengelände auf der Waldenburger Str. 63-67.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs blieb das Grundstück und Gebäude Eigentum der Familie Langer, wurde jedoch von der sowjetischen Besatzungsmacht übernommen. Ab März 1946, wurde die Wiesenburg das Klubhaus der Sowjetischen Aktiengesellschaft Gerätebau (SAG). Bereits ab Mai 1946 gab es hier wieder öffentliche Tanzabende. Allerdings waren Gaststube und Vereinszimmer beschlagnahmt worden, um die 15. Bezirksstelle hier unterzubringen. Diese mussten wegen des Schulbeginns aus der Altendorfer Schule ausziehen.
1948 wurde eine Bestandaufnahme durch ein ansässigen Architekten durchgeführt, bis zu 770 Sitzplätze standen in dem 525 qm großen Saal für öffentliche Versammlungen, Theater- und Kinoaufführungen zur Verfügung. Als Pächter der Gastwirtschaft und der Saalräume wurde seinerzeit ein Herr Richter genannt, der auch im Haus wohnte.
Nach der Enteignung im Jahr 1952 wurde der Gebäudekomplex dem VEB RFT-Gerätewerk als Kulturhaus zugeordnet. Es entstand ein zweigeschossiger Saalanbau mit Kegelbahn im Keller. Im darauffolgenden Jahr wurde die Betriebsküche erweitert.
Nach erneuten Renovierungen und baulichen Veränderungen in den Jahren 1964/1965 wurde das Stadtkulturhaus „Klement Gottwald“ eröffnet, benannt nach dem tschechoslowakischen Präsidenten und Generalsekretär der KP der CSSR. Der Saal diente vor allem als Speisesaal für Betriebsangehörige des RFT-Gerätewerkes, konnte aber auch für größere Veranstaltungen genutzt werden. Im vorderen Gebäudeteil betrieb der HO-Gaststättenbetrieb ein öffentliches Restaurant.
Es entstanden zudem viele Gruppen und Zirkel für die Bevölkerung als „Stadtkabinett für Kulturarbeit“: von Mal- und Keramikzirkeln über Musik- und Gesangsgruppen bis hin zu Sport- und Artistengruppen. Auch eine umfangreiche Bibliothek wurde eingerichtet. In Erinnerung bleiben die Vielzahl an Festveranstaltungen, Jugendweihefeiern, Betriebsvergnügen, Weihnachtsfeiern, Tanzveranstaltungen und Jugenddiscos im „Klement“.
Nachdem das Gerätewerk im Jahr 1990 die Trägerschaft über das Kulturhaus aufgegeben hatte, scheiterte auch der Versuch eines privaten Betreibers, die Gaststätte unter dem alten Namen weiterzuführen. Im Jahr 1991 wurde das Grundstück an die Firma „Auto Rüb GmbH München“ verkauft. Eine Objektanalyse aus dem Jahr 1992 ergab, dass das Gebäude sehr sanierungsbedürftig war. Fünf Jahre später wurde ein Antrag auf Abriss gestellt. Dies wurde jedoch vom Denkmalschutz abgelehnt.
Das Ballhaus stand jahrelang leer und verfiel zusehends. Am 7. November 2001 schlugen aufgrund von Brandstiftung Flammen aus dem Dach der Wiesenburg. Die Feuerwehr benötigte mehrere Stunden, um den Brand unter Kontrolle zu bringen. Das Gebäude wurde dabei schwer beschädigt und ein Wiederaufbau war für den Eigentümer finanziell nicht möglich. Im Jahr 2004 wurde es aus der Denkmalsliste gelöscht. Im September 2006 erfolgte der Abriss, auf dem Grundstück errichtete man eine Autowerkstatt, die wir heute noch am Standort des einst bekannten und beliebten Hauses finden.
Quellen: Das Buch „Altendorf – Wolfsjägersiedlung, Klosterdorf Vorort, Stadtteil“ – Autor Dieter Häcker, erschienen 2012 im Verlag Heimatland Sachsen; Veröffentlichung von Dr. Frieder Sieber „Heimatgeschichtliche Beiträge zum Ortsteil Altendorf – Heft 11, Die Wiesenburg“; Beitrag „Die Wiesenburg“ von Leonore Cebulla, erschienen in der Stadtteilzeitung Kasch, Heft 5/2018; Adressbücher der Vororte von Chemnitz, bis 1900 und danach die Chemnitzer Adressbücher, Ausschnitte und Annoncen versch. sächs. Tageszeitungen; zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)