Das Jahr sollte weitere Erfolge bei der Entwicklung der Flugtechnik bringen. Immer häufiger berichten lokale und sächsische Zeitungen von den zahlreichen luftsportlichen Ereignissen, den Versuchen der Tüftler und Ingenieure, die ihr Ziel verfolgen, endlich mit ihren selbstkonstruierten Maschinen in die Luft zu steigen.
Es muss wohl ein milder Winter gewesen sein, denn bereits am 22. Januar 1911 lesen wir in einer kurzen Mitteilung von Testflügen des Ingenieurs Haves in Chemnitz.
Tausende Chemnitzer erleben am 25. und 26. Februar auf dem Garnisonsexerzierplatz erstmals wirkliche Flugvorführungen. „Der Konstrukteur des ersten deutschen flugfähigen Motorflugzeuges, Ingenieur Hans Grade aus Berlin, zeigte mit seinem Grade-Eindecker die „Kunst des Fliegens“. In etwa 30 m Höhe flog er am Samstag gerade einmal 800 m weit, am Boden herrschten Windgeschwindigkeit von 8 m/s, der Wettergott meinte es nicht gut mit ihm. Am Sonntag überflog er bei 2 Versuchen jeweils einmal das Areal des Exerzierplatzes. Trotz starken Regens und heftigen Gegenwindes legte er insgesamt 10 Kilometer vor dem wieder zahlreich erschienenen Publikum zurück.“
Ingenieur Haves, der am 10.April auf dem Exerzierplatz an der Zschopauer Straße mit 2 Flugapparaten Flugversuche unternimmt, stürzt mit einer Maschine aus 8 m Höhe ab, trägt aber glücklicherweise nur geringe Verletzungen davon.
Anfang Mai findet der Sachsen-Rundflug – auch Sachsenwoche – mit Start und Ziel in Chemnitz statt, die in einem separaten Artikel näher betrachtet wird.
„Am 24. Juli des Jahres macht Max Adelmann seine ersten Flugversuche auf dem Chemnitzer Exerzierplatz. Der gebürtige Chemnitzer, der in Frankreich und Belgien im Bau von Flugmaschinen ausgebildet wurde, hat einen Doppeldecker System Farman gebaut. Länge und Breite betragen je 14 m, die Tragflächen umfassen 48 Quadratmeter und die Schwanzflächen 6 Quadratmeter Der Führersitz mit Hand- und Fußhebelsteuerung befindet sich vorn, dahinter ist ein 60 PS WODAN-Motor von Schneeweiß Chemnitz, Forststraße 8, angeordnet. Der Apparat und Motor funktionierten einwandfrei.“
Auch der damals bereits aus dem Automobilsport bekannte Chemnitzer Direktor Willy Pöge widmet sich dem Flugsport. In Berlin-Johannistahl, dem deutschen Flugsport-Zentrum zur damaligen Zeit, erhält er Flugunterricht und lässt sich bei der Rumpler GmbH in Berlin-Lichtenberg einen Flugapparat bauen. Im September soll der auf dem Luftwege nach Chemnitz überführt werden.
Die Versuche Adelmanns werden im 19.August fortgesetzt. 4 erfolgreiche Flüge über die ganze Länge des Flugplatzes führt Adelmann an diesem Tag aus.
Schon einen Tag später erprobt der Chemnitzer Konstrukteur Günther mit Gotthard Gruner den in allen Teilen in Chemnitz hergestellten Gruner-Günther-Eindecker. Seine Länge beträgt 8,30 m, seine Länge 10,30 m und seine Tragfläche umfaßt ca. 22 Quadratmeter. Der luftgekühlte Fünf-Zylinder-Motor mit 45 PS stammt von der Riedl-Motoren-Gesellschaft mbH, die ihren Sitz in der Uhlandstraße 17 hat. Am 3.September erhebt sich Gruner zu seinem ersten Flug. Dabei erreicht er eine Höhe von 15 m und fliegt im Ganzen etwa 600m weit, wie das Chemnitzer Tageblatt am nächsten Tag schreibt. Am 17.September fliegt Günther mit seiner Eigenkonstruktion sogar über 2,5 km in 20m Höhe trotz ungünstiger Witterung weit. Verbesserungen am Fahrgestell bewährten sich bei Start und Landung.
Höher wagt sich Adelmann bereits am 11. September in die Luft. Bei einem Versuchsflug in der Nähe von Freiberg stürzt er aus einer Höhe von 70 m ab. Der Flugapparat wird völlig zertrümmert, wie durch ein Wunder bleibt der Pilot unverletzt.
Der Chemnitzer Verein für Luftfahrt hielt es angebracht, in Hinblick auf die gestiegenen Leistungen deutscher Flieger, noch im Herbst mit einer Flugveranstaltung in die Öffentlichkeit zu treten. Mit namhaften Fliegern trat der Verein in Verhandlungen, sogar mit 2 Damenfliegern, Fräulein Beese und Lagler, wurden Gespräche geführt.
Für die Flüge am 11./12. November um den mit 5000 Mark dotierten Preis der Chemnitzer Neuesten Nachrichten konnte man schließlich Otto Lindpaintner, Heinrich Oelerich und Caspar (Willy Reinhard) verpflichten. Infolge miserabler Witterungsbedingungen absolvierten erstgenannte nur kurze Flüge, Caspar hatte Pech. Nach einer Bruchlandung stieg er mit Motorschaden am Sonntag gar nicht erst auf.
Man muss sich heutzutage überlegen, welchen Mut die verwegenen Piloten aufbringen, sich selbst so in Gefahr zu begeben. Alle Apparate waren weder geprüft noch versichert. Rückschläge bringen sie immer wieder dazu, sich finanzielle Mittel zu besorgen, ihre Maschinen in Ordnung zu bringen, um es weiter zu versuchen. Pioniere der Lüfte sorgen auch in Chemnitz für den Einzug des Fortschritts.
(Quellen: Diverse Ausgaben des Chemnitzer Tageblattes und Burkhardtsdorfer Anzeigers 1911, Buch „Die Sehnsucht zu fliegen“ von Horst Teichmann)