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90 Jahre Fischerwiese – Teil 2

    Die Geschichte des Stadions an der Gellertstraße

    ein Gastbeitrag von Frank Neubert

    Die Fortsetzung der Geschichte dieser für Chemnitz so traditionsreichen Sportstätte.

    Teil 2: Vom Polizeisportplatz zum Karl-Marx-Städter Dr.-Kurt-Fischer-Stadion

    Der 13. Mai 1934 wurde als Festtag für das Einweihungsspiel auserkoren. Der PSV hatte den dreimaligen Deutschen Meister, die SpVgg Fürth, nach Chemnitz geholt. Die erste Anfrage war an Fortuna Düsseldorf gegangen, doch „der Abschluss scheiterte an den Forderungen der Westdeutschen“, wie es im Vereinsheft des PSV vorwurfsvoll hieß. Am Tag der Einweihung säumten 15.000 Zuschauer die Ränge und sahen neben Fahnen, Spielmannszug und politischer Prominenz ein verdientes 5:1 gegen die Kleeblätter. Den ersten Treffer im neuen Stadion erzielte Linksaußen Erich Mädler, den zweiten legte der ewige Rekordstürmer Erwin Helmchen nach. „1-2-3… Polizei!“ hallte es von den Rängen.

    Das Zschopauer Tageblatt vom 14. Mai 1934 berichtet über die Eröffnung:

    „Die neue große Sportplatzanlage des Chemnitzer Polizeisportvereins wurde am Sonntag in feierlicher Weise ihrer Bestimmung übergeben, nachdem sie in zweijähriger Arbeit zu einer allen Anforderungen genügenden Sportstätte ausgebaut worden ist. Vor fast 15.000 Zuschauern lieferte der Polizeisportverein gegen die bekannte Spielvereinigung Fürth sein Eröffnungsspiel und siegte zahlenmäßig sicher mit 5:1 (3:0) Toren. Die eigentliche Weihefeier war vom Polizeisportverein mustergültig aufgezogen worden und gestaltete sich zu einem sportlichen Großereignis für Chemnitz. Die Weihestunde erhielt einen besonderen Rahmen durch den Aufmarsch sämtlicher Sportler des Polizeisportvereins in Sportkleidung, an dem auch die Abteilungen der Landespolizei teilnahmen.“

    Gut vier Wochen später gastierte der FC Madrid (ohne „Real“, da die Zweite Spanische Republik königliche Symbole verboten hatte) in Sachsen und machte auch beim PSV Station. Die Begeisterung war groß, 20.000 Zuschauer wollten am 15. Juni 1934 die spanische Torwartlegende Ricardo Zamora und seine Paraden sehen. Die Polizei überrollte die verdutzten Profis förmlich, und die Legende auf der anderen Seite, Helmchen, traf zum 1:0. Mit 2:1 ging es in die Pause. Zamora blieb wegen einer angeblichen Verletzung in der Kabine. Ein gellendes Pfeifkonzert setzte ein, bis er endlich wieder im Kasten stand. Noch dreimal musste er hinter sich greifen, 5:2 hieß es am Ende, „Erwin“ hatte allein drei Treffer erzielt. Zwei Tage später gewann Madrid beim DSC mit 3:0, aber das sei nur am Rande erwähnt.

    Ab der Saison 1934/35 war das Stadion die Heimfestung des PSV, der sich davon beflügeln ließ und sowohl 1935 als auch 1936 Meister der sächsischen Gauliga wurde. Im November 1934 besiegte man vor 25.000 Zuschauern den Dresdner SC und erkannte, dass aufgrund des großen Zuschauerandrangs ein vierter Eingang und weitere Zusatzstufen notwendig waren. Auch eine Überbrückung des geteilten Norddamms (Nordkurve, späterer Spielertunnel) würde Sinn machen. All dies wurde realisiert und sogar eine Spieluhr wurde auf der nördlichen Überbrückung angebracht. In dieses schicke Stadion vergab der DFB das Gruppenspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen dem BC Hartha (sächsischer Überraschungsmeister 1937 und 1938) und Fortuna Düsseldorf. Das 1:1 am 15. April 1938 sahen „über 30.000“ Zuschauer (PSV-Heft), bei Hartha liest man in der Vereinschronik von „32.000“. So oder so – es ist der Zuschauerrekord für das Stadion vor 1945.

    1946: SG Nord, Brücke mit Stadionuhr

    Nach Kriegsende 1945 war das Stadion zunächst nicht nutzbar, da Bombenkrater vor der Nord- und Südkurve beseitigt werden mussten. Leider wurde auch der PSV (und der CBC) beseitigt, da aufgrund alliierter Beschlüsse alle braunen Strukturen beseitigt werden mussten – dazu gehörten auch die alten Sportvereine. Das Gelände ging in den Besitz der Stadt Chemnitz über. Nach der Wiederaufnahme des Spielbetriebes mit lokalen Stadtvereinen (SG Nord, SG West u.a.) liest man nun vom Sportplatz Gellertstraße (Plakat, 1946), Chemnitzer Nordstadion (Fuwo, 25.10.49) und Fewa-Stadion (Fuwo, 18.7.50). Am 13. Juli 1950 beschloss die „7. öffentliche Stadtverordnetenversammlung“, das Stadion nach Dr. Kurt Fischer zu benennen – woraus die Fans später die gemütliche „Fischerwiese“ ableiteten. Allerdings hatte der Berufspolitiker (KPD, KPdSU, SED), der u.a. als sächsischer Innenminister und Chef der Volkspolizei tätig war, einen äußerst zweifelhaften Ruf – nachzulesen z.B. bei Wikipedia.

    Das Dr.-Kurt-Fischer-Stadion wurde nun von den Vorläufern des FCK rege genutzt: BSG Fewa Chemnitz (1949), BSG Chemie Chemnitz (1951), BSG Chemie Karl-Marx-Stadt (1953). Letztere besiegte am 18. November 1953 vor 28.000 Zuschauern (laut FuWo) im Spitzenspiel der Liga Fortschritt Weißenfels mit 3:0. Die vielen Zuschauer sahen bereits den späteren Aufsteiger, denn Chemie KMSt stieg im Sommer 1954 in die DDR-Oberliga auf. Ab März 1956 spielte der SC Motor KMSt. auf der Fischerwiese, ab 1963 der SCK (ohne den Zusatz Motor). Und am 15. Januar 1966 wurde schließlich der FC Karl-Marx-Stadt aus der Taufe gehoben, der schon in der folgenden Saison den ganz großen Wurf landen sollte.

    Ansicht 1977

    In der Saison 1966/67 eroberte die Scherbaum-Elf am 7. Spieltag mit einem Sieg bei Lok Leipzig die Tabellenspitze und gab sie bis zum letzten Spieltag nicht mehr ab. Die Massen strömten auf die Fischerwiese und am 5. November 1966 bejubelten 28.000 (laut FuWo) begeisterte Fans den 3:2-Sieg über den amtierenden Meister Vorwärts Berlin. Einige der nächsten Heimspiele wurden deshalb in das größere Ernst-Thälmann-Stadion verlegt, so zum Beispiel das Spiel gegen Lok Leipzig im April 1967 vor stolzen 45.000 Zuschauern, das die Himmelblauen mit 2:0 gewannen. Die Übergabe der verdienten Meistermedaillen fand nach dem letzten Heimspiel (2:2) gegen Jena ebenfalls im Sportforum statt.

    Mit den nachlassenden Erfolgen des FCK zog man wieder in die Gellertstraße um und bald zeigten sich die Nachteile des alten Platzes. Beim 0:1 gegen Lok Leipzig am 2. März 1968 wurde dem FCK ein Tor wegen Abseits aberkannt, und nach dem Abpfiff bedrängten die Zuschauer wegen fehlender Zäune sowohl den Linienrichter als auch das Schiedsrichtergespann. Als Strafe wurde dem FCK auferlegt, ein Spiel in Meerane auszutragen und „geeignete Maßnahmen zu treffen, damit bei Heimspielen eine ausreichende Sicherheit gewährleistet ist“. Das klappte nicht, denn im Abstiegsjahr 1970 gab es eine erneute Platzsperre für die letzten beiden entscheidenden Heimspiele – und den Abstieg. Aber nur ein Jahr später war man wieder Oberligist. Gut gemacht.

    Anfang der 70er Jahre hielt auch auf der Fischerwiese die moderne Technik Einzug. Im Hintergrund einiger Fotos (Spielaufnahmen) erkennt man auf der Westseite des Stadions eine kleine Sprecherkabine und einen angrenzenden Kamerastand. Hier sollten später die Sitzplätze und kurz vor der Wende die Tribüne entstehen. 1976 wurde mit der Installation einer elektronischen Anzeigetafel in der Südkurve begonnen. Die „Elektronik“ bestand aus einzelnen Feldern mit 35 Glühbirnen, die jeweils den Namen der Mannschaft und den Spielstand anzeigten. Premiere feierte das technische Wunderwerk am 23. Oktober 1976, als Aue zum Bezirksderby anreiste und vom FCK mit 5:1 abgeschossen wurde. Ein perfekter Einstand. Das nächste FCK-Stadionheft vom 6. November 1976 bedankte sich:

    „Beim letzten Heimspiel gegen die BSG Wismut Aue wurde die neue Anzeigetafel im Dr.-Kurt-Fischer-Stadion eingeweiht. Die Leitung des Fußballclubs Karl-Marx-Stadt möchte sich auf diesem Wege für die Hilfe und Unterstützung bei der Realisierung dieser Aufgabe beim Rat der Stadt, beim VEB Sport- und Erholungsstätten und besonders beim Kollektiv des Obermeisters Werner Pregula vom VEB Starkstromanlagenbau Karl-Marx-Stadt herzlich bedanken. Immerhin mußten 11,5 km Kabel verlegt, 9000 Klemmverbindungen und Lötstellen angebracht werden, bevor die 2170 Glühbirnen aufleuchten können. Die Uhr arbeitet auf digital-Basis. Die beiden Mitglieder des Kollektivs Joachim Lerch und Steffen Rudl werden die Anzeigetafel künftig bedienen.“

    Im Jahr 1980 fand die erste größere Sanierung der altehrwürdigen Spielstätte statt. Die alten Stehplätze, bestehend aus mit Schlacke und Erde aufgeschütteten Stufen, wurden bei laufendem Spielbetrieb abschnittsweise durch breitere Betonstufen ersetzt. Die größte aller Baumaßnahmen erfolgte ab Mitte 1989. Die Westgerade erhielt mit viel Einfallsreichtum und auch „Baumaterialunterschlagung“ durch SED-Funktionäre mit großem himmelblauem Herzen ihr markantes schräges Tribünendach. Per Lastenhubschrauber der Sowjetarmee flogen die Stahlträger vom Montageplatz am Sportforum über die Stadt und wurden auf der „Fiwi“ zusammengebaut. Der damalige Oberbürgermeister und große FCK-Fan Dr. Langer soll die Beziehungen zu den sowjetischen Freunden mit etwas Wodka angestoßen haben, was in Berlin auf größtes Missfallen stieß. Er wurde gemaßregelt und zum Parteilehrjahr verdonnert. Auf der Westseite verlor die Fischerwiese zwar ihre schöne Pappelumrandung, aber das neue Dach überspannte nun 540 Sitz- und 1.600 Stehplätze, womit der FCK der erste DDR-Verein mit überdachten Stehplätzen war. Die Tribüne wurde am 22. Oktober 1989 mit einem 2:1-Heimsieg gegen Lok Leipzig eingeweiht.

    Im dazugehörigen Programmheft des Vereins heißt es:

    „Schon bei den letzten Heimspielen der Saison 1988-89 war der Beginn der Bauarbeiten in unserem Stadion unverkennbar. Nun fanden die umfangreichen Baumaßnahmen ihren Abschluß und ein Teil der Zuschauer kann künftig bei schlechtem Wetter auf den Regenschirm (zumindest während des Spiels) verzichten. Bei dieser Teilüberdachung wurde projektmäßig eine Lösung gewählt, die eine Erweiterung der überdachten Fläche in den kommenden Jahren möglich macht. Der Leitung des Fußballclubs ist es ein Bedürfnis, allen am Bau beteiligten Betrieben und deren Mitarbeitern herzlichen Dank für die erbrachten Leistungen zu sagen. Besondere Anerkennung verdienen die Initiativen und der hohe persönliche Einsatz von Dr. Eberhard Langer, Oberbürgermeister von Karl-Marx-Stadt …“

    Doch die Realität sah anders aus: Das „Fiwi“-Schmuckkästchen mit dem schicken Tribünendach sollte nur noch für eine Saison die Heimstätte der Himmelblauen sein. Die politische Wende in der DDR brachte die fußballerische Wiedervereinigung mit der BRD. Die Saison 1990-91 wurde als Qualifikation für die 1. und 2. Bundesliga absolviert. Der nun als Chemnitzer FC spielende Verein unter Kulttrainer Hans Meyer galt eigentlich als Favorit, da er im Gegensatz zu anderen DDR-Vereinen noch keine Spieler in den Westen abgegeben hatte. Doch die Saison endete am 25. Mai 1991 auf der Fischerwiese mit einem 2:2 gegen Halle und dem 5. Platz in der Tabelle. Damit hatte sich der CFC zwar auf direktem Weg für die 2. Bundesliga qualifiziert, der Traum von der 1. Bundesliga war jedoch geplatzt.

    Das Saisonende 1991 bedeutete einen fünfjährigen, schmerzhaften Abschied von der geliebten Gellertstraße, da die Auflagen des DFB einen Spielbetrieb im alten Stadion in den Bereich des Unmöglichen rückten (u.a. Flutlicht, neuer Sanitärtrakt, Spielertunnel). Den Forderungen der Fans nach einem Verbleib auf der Fischerwiese wurden angebliche Sanierungskosten von über 10 Mio. DM entgegengehalten, die man dort hätte investieren müssen. Andererseits wurden im Sommer 1991 von der Stadt Chemnitz 5 Mio. DM bereitgestellt, um das Sportforum umzubauen und für die 2. Bundesliga herzurichten. Ab der Saison 1991/92 sollten nur noch die Amateure des CFC auf dem Fiwi-Rasen spielen.

    Bis plötzlich 1996… aber halt, davon handelt der 3. Teil unserer Geschichte.

    (Quellen u.a.: Monatshefte des PSV Chemnitz; Programmhefte des FCK; Buch „100 Jahre Chemnitzer Fussball“; Bilder aus der Sammlung von Frank Neubert)