Als Fortsetzung des Beitrages über die Prestowerke möchte auf die nächsten Jahre der Entwicklung des Areals an der Scheffelstraße im Besitz der „Auto-Union“ eingehen.
Im Mai 1935 gingen die Gebäude und Grundstücke für einen Kaufpreis von 2.450.000 RM an die „Auto-Union“ A.G. Chemnitz. Das Gelände umfasste rund 140.000 qm. Die ehemaligen Besitzer hatten bis September des gleichen Jahres Zeit, die Gebäude und Hallen zu räumen. Die „NAG-Prestowerke“ hatten in der Zwischenzeit Räumlichkeiten in der Altchemnitzer Dorfstraße gefunden. In den Hallen der ehemaligen „Hermann Pöge AG“ wurde das Inventar verbracht und die Produktion fortgesetzt.
Im Herbst begannen die umfangreichen Bauarbeiten zur Umgestaltung.
Bei der „Auto-Union“, die 1932 aus einer Fusion von DKW, Horch, Audi und Wanderer entstanden war, gab es mit Theophil Quayzin einen führenden Architekten, der in der Bauabteilung als Prokurist und Abteilungsleiter die Koordinierung inne hatte. Unterstützt wurde die Gestaltung des ehemaligen Kontors und der Maschinensäle zum neuen Hauptverwaltungsgebäude durch 2 führende Chemnitzer Architekturbüros. Wie bei der Errichtung wurde Karl Benirschke mit seinem Architekturbüro „Kornfeld & Benirschke“ für die Außenarbeiten gewonnen, Erich Basarke übernahm die innere Gestaltung und den damit verbundenen Ausbau.
Aus den auf dem Gelände befindlichen drei- und dreieinhalbstöckigen Fabrikgebäuden wurde durch grundlegenden Umbau in der kurzen Zeit ab dem 25.September 1935 ein einheitlicher Verwaltungsbau mit 9.500 qm Nutzfläche erstellt. Im Westen durch einen Neubau ergänzt, in dem u.a. der neue Sitzungssaal untergebracht war. An der Rückfront wurde ein neuer Treppenhausturm mit Paternoster errichtet.
Im 2-Schichtbetrieb und über die Wintermonate hinweg, bei teils frostigen Temperaturen, wurden bis zum Frühjahr 1936 die Arbeiten fast vollständig erledigt. Für rund 120 Chemnitzer Firmen, im wesentlichen Handwerksbetriebe für den Hoch-, Tiefbau und die Innenausstattung, brachte diese Umwandlung bedeutende Aufträge. Am 14. Dezember 1935 wurde bereits zum Richtfest auf das Dach geladen. Dr. Richard Bruhn als Vorstandsvorsitzender der Auto Union hielt bei eisiger Kälte die Weiherede.
Am 6.April 1936 wurde ein Teil des Neubaus unter Führung des Chemnitzer Bürgermeisters Schmidt der Chemnitzer Presse bei einem Rundgang vorgestellt:
„Das auf der Südseite der Scheffelstraße gelegene ehemalige Fabrikgebäude ist durch Anbau eines Flügels, durch vollständigen Umbau des Inneren und durch die künstlerische Neugestaltung der Fassade zum repräsentativen Hauptgebäude der Auto-Union gemacht worden. Durch ein schönes Portal und eine weite Empfangs-und Ausstellungshalle gelangt man in die hellen und lichten Büroräume, die bald rund 700 Mitarbeitern der Zentralverwaltung Arbeitsplätze bieten werden. Noch im Laufe des Monats April werden hier die bisher in den einzelnen Werken der Auto-Union AG zerstreuten kaufmännischen Abteilungen zusammengezogen und mit der Hauptverwaltung des Unternehmens vereinigt, die bisher in den Räumen des DKW-Werkes in Zschopau behelfsmäßig untergebracht war. Hinter dem monumentalem Bürogebäude liegen weite Hallen, in denen schon seit einigen Monaten die Reparaturabteilungen der DKW- und Wanderer-Automobile untergebracht sind, und als ihre organische Ergänzung die zugehörigen Kundendienstabteilungen und Ersatzteil-Läger. Hier sind schon jetzt rund 850 Gefolgschaftsmitglieder der Auto-Union an der Arbeit. Auf dem Nordteil des Geländes an der Scheffelstraße sind bereits ein Auslieferungslager der Wanderer-Automobile in Betrieb und eine neu errichtete Härterei für die Fabrikation derselben Fahrzeuge.“ So der „Chemnitzer Beobachter“ in seiner Ausgabe vom 6.April 1935.
Mit der Zusammenfassung wurde die „Auto-Union“ A.G. Chemnitz einer der größten sächsischen Arbeitgeber. Waren es bei der Gründung der Aktiengesellschaft 1932 noch 4359 Beschäftigte, wuchs die Anzahl bis zum 31.Mai 1936 auf 20636, davon 2712 Angestellte. In Chemnitz standen davon ca. 5.000 Beschäftigte in den 6 Betrieben und der Hauptverwaltung im Stadtgebiet in Lohn und Brot.
In den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg etablierte sich die „Auto-Union“ neben Opel und Daimler-Benz an der Spitze der deutschen Kraftfahrzeugindustrie. Und das alles wurde von Chemnitz aus gelenkt und geleitet. Mit DKW Inlandsmarktführer bei den Kleinwagen, mit der Renommiermarke Horch auch bei den Luxuskarossen, weltgrößter Motorradbauer, vielfacher Triumphator bei den bedeutendsten internationalen Automobil- und Motorradrennen, sprudelnde Exporterlöse und großzügige Sozialleistungen für eine verfünffachte Belegschaft bei gar versiebenfachten Umsätzen – die „Notgeburt“ Auto Union geriet zur Erfolgsgeschichte so recht nach dem Geschmack der Zeit.
Ergänzt wurde das Firmengelände 1936 an der mittlerweile durchgängigen Kauffahrtei durch den Erwerb weiterer Grundstücke und dem Bau der Zentralen Versuchsanstalt. Ende 1937 betrug die Beschäftigtenzahl 21.500.
Mit Ausbruch des Krieges 1939 wurde das Unternehmen zu einem verschachtelten Rüstungskonzern umgebaut, die Auto-Union engagierte sich aus vermeintlich „nationalen Verantwortungsgefühl“ heraus in allen Bereichen. Wehrmachts-Spezialfahrzeuge, Panzermotoren und Flugzeugtriebwerke, um nur einige zu nennen, gehörten nun zum Produktprogramm. Bis zu 45.000 „Gefolgschaftsmitglieder“, unter Ihnen auch viele Zwangsarbeiter, erwirtschafteten so noch 1944 einen Produktionswert von 428 Mill. Reichsmark. Auf dem Nordgelände wurden weitere langgezogene Barackenbauten errichtet, die u.a. zum stationären Motorenbau und als Lagerunterkünfte genutzt wurden. 1940/41 kamen die Grundstücke der ehemaligen „Teppich- und Maschinenfabrik Oskar Kohorn“ als Abteilung W zur Auto-Union.
Bis zum Frühjahr 1945 wurde die Produktion aufrechterhalten. Die Bombennacht auf Chemnitz vom 5.zum 6.März 1945 traf auch die Anlagen auf dem Südgelände, der nördliche Bereich blieb fast vollständig erhalten.
Die Zeit nach dem 2. Weltkrieg wird in einem weiteren Artikel betrachtet.
(Quellen: Chemnitzer Beobachter 6.4.1935; Auto-Union AG Festschrift zur Inbetriebnahme des neuen Verwaltungsgebäudes 1936; Martin Kukowski: Kriegswirtschaft und Arbeitseinsatz bei der Auto-Union; Auf den Spuren der Auto-Union – Fotodokumentation zum 75jährigen Gründungsjubiläum 2007; u.a.)