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Das neue Postamt und seine Filialen

    Dem Wachstum der Stadt gleich hatte sich der Postverkehr in der Mitte des 19. Jahrhunderts vervielfacht. Schon in meinem vorherigen Beitrag habe ich darüber berichtet.

    Nachfolgende Tabelle gibt eine Übersicht:

    1828

    1855

    Einwohner

    ca. 18.000

    ca. 44.000

    im Königl. Postamt Beschäftigte

    5

    49

    in der Posthalterei Angestellte

    8

    23

    Fahrposten (wöchentlich)

    40

    170

    Eingeschriebene Reisende (jährlich)

    3.824

    32.315

    Beförderte Briefe (jährlich)

    ca. 83.000

    ca. 496.000

    Dazu kamen:

    Pakete und Fahrpostsendungen

    ca. 68.000

    Geldbriefe und Wertsendungen

    ca. 49.000

    Postschein (Quittung über eine Wertsendung) aus dem Jahre 1859

    Um dieser Entwicklung weiter nachkommen zu können, war der Neubau eines Postgebäudes dringend notwendig.

    das 1859 errichtete Königliche Postamt – es galt mit seiner 100 m langen Fassade zu den imposantesten Bauwerken in Chemnitz

    Die Verhandlungen mit der Stadt waren schnell abgeschlossen. Ein allgemein geäußerter Wunsch war, daß das neue Posthaus in der Mitte der Stadt gebaut werde. Der größere Bürgerausschuss genehmigte schließlich in seiner Sitzung am 8. Juli 1856 die unentgeltliche Abtretung des 4.759 Quadratmeter großen Bauplatzes am Johannisgraben/Ecke der Chemnitzer Straße an den Staat.

    Seit ca. 1833 hatte man begonnen, den Stadtgraben an der südlichen Innenstadtseite zur Gewinnung neuer Grundstücke zu verfüllen, der Abschnitt Johannisgraben, nach dem nahen Johannistor benannt, entstand. Bereits 1827 wurden einige Stadtgraben-Grundstücke zwischen Klostertor und Rotem Turm gekauft und der Graben aufgeschüttet, um Platz für den Bau der ersten Bürgerschule an der späteren Theaterstraße zu schaffen, die 1831 eingeweiht wurde. 1847 hatte man bereits das Nachbargrundstück des zukünftigen Postamtes auffüllen lassen und 1855 zum Zwecke des Neubaus der Real- und Höheren Bürgerschule angekauft. 1857 wurde der Bau vollendet. Aus ihr wurde 1879 das „Neue Rathaus“ am Beckerplatz.

    Anfang September 1856 wurde dem beauftragten Landbaumeister Krafting aus Zwickau der Platz für das neue Posthaus angewiesen und unmittelbar darauf mit den Grundgrabungen begonnen. Schnell schritt der Bau für das prächtige Postgebäude unter seiner Oberleitung und unter spezieller Führung des Herrn Baumeister Dreßler, Chemnitz, als königl. Bauassistenten vorwärts. Bereits am 29. Oktober 1859 übersiedelte die Telegraphenanstalt in die neuen Räumlichkeiten. Ihr folgte kurze Zeit später, am 1. Dezember des gleichen Jahres das Postamt.

    Von der Einweihungsfeier berichtete die Presse:

    „Die Verlegung des hiesigen königlichen Postamtes in das neuerbaute, am Johannisgraben befindliche Postgebäude hat am 1. Decbr. Vormittags stattgefunden und die um 11 1/2 Uhr aus Stollberg ankommende Post fuhr zuerst ins neue Posthaus ein. Es geschah dies unter entsprechenden Feierlichkeiten. Das Gebäude war mit 9 Fahnen in sächsischen Landessarben und 5 Fahnen in Chemnitzer Stadtfarben (Schwarz-Gelb) festlich geschmückt. In der großen Einfahrtshalle hatte sich Herr Oberpostamtsdirector v. Zahn aus Leipzig mit den Vorständen aller hiesigen Behörden etc. versammelt. Einige Minuten vor halb 12 Uhr kam der mit Kränzen und Fahnen geschmückte Postwagen aus Stollberg an. Vorher ritten drei Postillone, dann die Herren Postmeister Stengel und Postinspector Keßler. Nun kam eine vierspännige Postkutsche, in welcher Herr Oberpostrath Pfützmann (Leipzig) saß und dann der Postwagen. Bei der Ankunft vor der Einfahrtshalle spielte das Militärmusikcorps den Choral ‚Nun danket alle Gott‘. Gleich darauf hielt Herr Oberpostdirector v. Zahn eine Anrede. Er erklärte die Bedeutung des gegenwärtigen Ereignisses für die Stadt Chemnitz und für ganz Sachsenland in sehr entsprechender Weise; das neue Postgebäude sei ‚ein Wahrzeichen der Blüthe und des Glanzes der Stadt Chemnitz, aber auch nicht weniger der Munificenz (Freigiebigkeit) der hohen Staatsregierung, welche bei der Befriedigung der praktischen Zwecke mit diesem Baue zugleich auch der Stadt Chemnitz einen, den eigenen Schöpfungen der letzteren sich anschließenden Schmuck hat hinzugefügt wissen wollen‘ Die Rede schloß mit einem dreifachen Hoch auf Se. Maj. den König und mit Gebet.

    Nun ließ das Musikcorps die Melodie des Sachsenliedes ertönen und der Stollberger Postwagen fuhr in den Hof ein. Die Postbeamten begleiteten dann die Gäste durch die inneren Räume, worauf ein bis zum Abend dauerndes Frühstück im Post-Restaurationszimmer folgte, bei welchem eine außerordentlich große Anzahl sinniger Trinksprüche ausgebracht wurde. Abends 8 Uhr versammelten sich auch die Postbeamten in demselben Lokale zur Einweihungsfeier.“

    Die Baubeschreibung dazu liest sich wie folgt:

    „Die Hauptfronte ist südlich nach dem Graben gerichtet und misst 176 Ellen (ca. 100 m); die westliche Seitenfronte von 62 Ellen Länge (ca. 35 m) schaut nach dem kleinen Chemnitzer Platze; die an der östlichen Seite gelegenen Wagenremisen, mit der Einfahrt 64 Ellen (ca. 36 m) lang, reichen bis nahe an das neue Realschulgebäude. Der große Hof des Hauptgebäudes, welcher zur Grenze die Linie der alten Stadtmauer hat; ist 122 Ellen (ca. 69 m) lang und 30 (17 m) resp. 20 Ellen (11,50 m) tief, und hat einen Perron zum Ein- und Ausladen der Güter. Das Hauptgebäude besteht aus Parterre, zweitem Stock und im Mittelbau der Hauptfronte aus einem dritten Stock. Die Fassade ist im altdeutschen Style gehalten. Die Hauptfronte ist durch vier, die Seitenfronte durch einen hoben Giebel, sämtlich in feiner Sandsteinarbeit ausgeführt, geschmückt; in dem der westlichen Seitenfronte ist die (von Prager hier trefflich ausgeführte) Thurmuhr mit Schellen angebracht. Die Durchfahrten und die Eintrittshalle zeigen Steingewölbe in Sandsteinrippen eingespannt. Das Erdgeschoß enthält die Expeditionslocale des Postamtes, und zwar zunächst im westlichen Flügel (am Chemnitzer Platz) die Restaurationslocale einerseits, andererseits die für Herren und Damen getrennten Passagierstuben, sich anschließend nach der Grabenfronte die Schaffnerstube, das Zeitungs- und Einschreibebureau, sowie die Packetausgabe, die zweite Durchfahrt vom Graben aus, sodann die Packmeisterei, die Eingangshalle, woselbst die Briefannahme und die Haupttreppe befindlich, die Hauptexpedition, Kasse, und nach der östlichen Flügelfronte die Stadtpostexpedition und Briefträgerstuben, desgleichen das Zimmer des Vorstandes, sowie die Hausmannswohnung. Im zweiten Stockwerk befinden sich 7 Wohnungen und, durch die Haupttreppe zugänglich, das Telegraphenbureau und im dritten Stockwerk des Mittelbaues eine Wohnung und die amtshauptmannschaftliche Expedition.“

    Die gelben Postkutschen im Stadtbild
    Die gelben Postkutschen im Stadtbild

    Der alte Postmeister Lippe erlebte die Eröffnung nicht mehr, er starb 1857. Ihm folgte Eduard Ferdinand Rothmaler als Postkommissar und königl. Postmeister. Er bezog auch gleich seine Dienstwohnung im neuen Gebäude, postalisch damals noch „Johannisgraben 1“. Rothmaler, seit 1828 im Postdienst, wurde 1874 emeritiert, er starb als kaiserlicher Postdirektor a.D. Mitte Februar 1881. An seine Stelle trat Anfang Januar 1875 der zeitherige Postinspektor Ernst Moritz Reichard, der vom Department der Finanzen in Dresden zum neuen Postdirektor des Chemnitzer Postamtes ernannt wurde. Reinhardt starb im Alter von 70 Jahren im Oktober 1911 in Chemnitz.

    Zurück zum Gebäude: Ab Januar 1861 wurde der Johannisgraben in Poststraße benannt, das neue Königl. Postamt erhielt die Nr. 50, nach der Umnummerierung ab Januar 1886 dann Poststraße 16. Die Posthalterei stand 1861 unter Leitung von Adolph Heinrich Stengel in der Aue 28.

    Am 1.Januar 1868 endete die sächsische Postverwaltung. Infolge der Neugestaltung der politischen Verhältnisse nach den Ereignissen 1866 wurde sie am 21. Juni des Jahres der Oberaufsicht des Norddeutschen Bundes unterstellt. Mit der Reichsgründung 1871 wurde das ehemals Königliche Postamt jetzt zum „Kaiserlichen Deutschen Postamt“ ab 1. Januar 1872 umbenannt.

    Mit der Errichtung des Reichspostwesens ab 1871 erfuhr dann der Chemnitzer Postverkehr eine stetige Erweiterung. 1872 wurden in der expandierenden Stadt die ersten Stadtpost-Expeditionen eingerichtet. Auf der Leipziger Straße 4 (später Hartmannstraße 1) entstand das Postamt 2 und auf der Zwickauer Straße 145 (später Nr.63) das Postamt 3. Beide standen unter der Leitung eines jeweils eingesetzten Post-Sekretärs. Bereits 1869 war auf dem Bahnhofsgelände eine Filiale des Eisenbahn-Postamtes Dresden entstanden. 1875 zog auch die Verwaltung als „Kaiserliches Bahn-Postamt Nr.30“ mit in das Gebäude an der Poststraße 50. 1877 zieht es nach den fertiggestellten Erweiterungen in den Bahnhof als „Stadtpostamt Nr.4“ (Albertstr. 7c) um, erhält gleichzeitig eine Telegraphenbetriebsstelle. Von diesem Amt aus wird der Post-Dienstbetrieb auf den neuen immer mehr werdenden Eisenbahnlinien geleitet und durchgeführt.

    Postamt Altchemnitz
    Postamt Altchemnitz, heutige Straßburger Str.

    Nach dem Tode des Posthalters Stengel hatte der Rittergutspächter Bruno Heymann aus Lichtenwalde ab 1873 die Posthalterei in der Aue übernommen. Bei der Neuverpachtung der Posthalterei ab 1. April 1880 wird der Personalbestand auf 15 Postillione, der Pferdebestand auf 21 erhöht.

    1874 entstand die Stadt-Postagentur Gablenz IV. Das Postamt Nr. 5 wurde am 1. November 1889 auf der Hainstraße 34 eröffnet (Schließung am 23. Oktober 1993 – als Postamt 72), Postamt Nr. 6 entstand in der gleichen Zeit auf der Wilhelmstraße 1. Es wurde am 1. Juli 1889 eröffnet. (Im 1. WK geschlossen). Es wurde zur Bequemlichkeit für die Bewohner der Nordvorstadt geschaffen und sollte zur Entlastung des stark belagerten Bahnhofspostamtes beitragen. Die Nummerierung stand wohl vorher schon fest.

    Am 1. Oktober 1893 kam dann das Kaiserliche Postamt 7 in Altchemnitz, Sachsestraße 22, in unmittelbarer Nähe des Crusiusbades, hinzu. Altchemnitz wurde 1894 eingemeindet. Das Postamt, später Straßburger Str. 18 und als Nr. 48 geführt, schloß am 27. September 1991 für immer.

    Damit möchte ich vorerst die Entwicklung auf dem Immobiliensektor in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts abschließen. Weitere interessante Fakten folgen im nächsten Beitrag.

    *1 Sächsische Elle = 56,64 cm

    *Postscheine waren vorgedruckte amtliche Formulare, auf denen der Postbeamte mit seiner Unterschrift die Einlieferung eines eingeschriebenen Briefes, eines Wertbriefes oder eines Pakets dem Aufgeber bescheinigte, damit dieser im Falle eines Verlustes Ersatzansprüche geltend machen konnte.

    (Quellen: Artikel in der Festzeitung 1929 – 30 Jahre Philatelieverein Chemnitz; Buch „Chemnitz am Ende des 19. Jahrhunderts“; erster Verwaltungsbericht der Stadt Chemnitz 1855; Ausschnitte zur Postgeschichte in versch. Tageszeitungen; Adressbücher der Stadt Chemnitz, zu finden unter SLUB-Dresden.de, u.a.)