Die Geschichte des Stadions an der Gellertstraße
ein Gastbeitrag von Frank Neubert
In diesem gleichzeitig letzten Teil wird die Geschichte der Fischerwiese ab 2010 betrachtet, Pläne zur Errichtung einer Arena nehmen Gestalt an und werden schließlich ab 2014 umgesetzt.
Fortsetzung der bereits in 3 Teilen erschienenen Aufarbeitung.
Teil 4: Vom alten zum neuen Fussballtempel an der Gellertstraße
Im Jahr 2009 hatte man mit dem Errichten eines neuen Haupteingangs an der Heinrich-Schütz-Straße und dem Einbau einer Rasenheizung die alte Fischerwiese in ihrem Umfeld und unter der Grasnarbe zwar enorm aufgewertet, aber die alten Traversen und die Haupttribüne blieben auf dem Vorwendestand von 1989 stehen. Die Vorstellung der Studie „Vision 2020“ hatte Appetit auf mehr gemacht, und in der Saison 2010-11 schickte sich der CFC an, den Ligafavoriten RB Leipzig nicht nur zu ärgern, sondern ihm ab dem 6. Spieltag eine besonders lange Nase zu drehen. Tabellenführer CFC! Der Aufstieg in die 3. Liga winkte! Aber würde der DFB für die alte Fischerwiese eine Lizenz erteilen? Äußerst fraglich. Forderungen wurden laut, dass Chemnitz ein neues und modernes Stadion bräuchte. Aber aus dem Rathaus kamen völlig andere Signale.
In einem Interview der Freien Presse mit Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig aus dem März 2011 heißt es:
„Freie Presse: Der CFC marschiert Richtung dritte Liga. Dem Verein fehlt aber ein zeitgemäßes Stadion. Warum sind neue Arenen in Magdeburg oder Halle möglich, in Chemnitz jedoch nicht?
Barbara Ludwig: Der CFC spielt seit Saisonbeginn erfolgreichen Fußball. Dennoch kommen nach wie vor nur 3.000 bis 4.000 Besucher. Außerdem ist das Stadion weitestgehend drittliga-tauglich, seit wir 2009 rund 1,5 Millionen Euro investiert haben. Wenn sich die Mannschaft in der dritten Liga etabliert, werden wir mit den CFC-Verantwortlichen reden, um eine Lösung zu finden. Und was andere Städte angeht: Ich staune über die Hallenser, dass sie sich trotz hoher Verschuldung ihrer Kommune ein neues Stadion leisten. In Chemnitz wäre das nicht möglich, weil die Landesdirektion so ein Projekt gar nicht genehmigen würde.“
Der CFC packte den Aufstieg 2011, und bei der Meisterfeier auf dem Markplatz wurde die Forderung nach einem neuen Stadion lautstark vorgebracht. Was zu diesem Zeitpunkt viele nicht ahnten: Hinter den Kulissen wurde längst darüber debattiert. Denn schon am 28. Juni 2011 gab es im Rathaus einen Termin, wo ein funkelnagelneues Stadion am Standort Gellertstraße zusammen von Barbara Ludwig und CFC-Chef Dr. Mathias Hänel präsentiert wurde. Komplett überdacht, ca. 15.000 Plätze, davon 7.900 als Sitzplatz, Kostenpunkt ca. 23 Mio. Euro. Als Gegenprobe wurde eine Multifunktionsarena (mit Leichtathletik) am Standort Reichenhain durchgerechnet, aber die Kosten dafür wären 1,5mal so hoch gewesen. Ab dieser Vorstellung glänzte die Oberbürgermeisterin als mutige Kämpferin für das neue Stadion, für dessen Neubau nun Mehrheiten im Stadtrat organisiert werden mussten.
Von himmelblauer Seite wurden mehrere Aktionen gestartet, u.a. die Initiative „Lasst uns nicht im Regen stehen“, bei welcher überall in der Stadt Unterschriften für die neue Fiwi 2.0 gesammelt wurden. Am Ende kamen über 21.000 Unterschriften zusammen, bereits die Hälfte hätte für ein Bürgerbegehren in Chemnitz ausgereicht. Moralisch flankiert durch diese Sammlung, trat am 5. Oktober 2011 der Stadtrat zusammen und beschloß nach dreistündiger Debatte mit 35 zu 19 Stimmen, dass das neue Stadion gebaut werden soll. Gut 1.000 Fans verfolgten die Debatte live auf dem Neumarkt und bejubelten den Beschluß. Bäckermeister Wolfgang Meyer, FDP-Stadtrat und bekennender Club-Fan, rannte auf den Rathausbalkon am Neumarkt und schwenkte sein mitgebrachtes CFC-Shirt. Aber denkste! Einmal im Leben wichtig sein, dachte sich die Kleinstpartei der Piraten und monierte die Teilnahme CFC-naher Stadträte an der Abstimmung und trug dies bei der Landesdirektion vor. Diese sah sich den Fall an und empfahl – zur Rechtssicherheit – einen neuen Entscheid ohne die angeblich „befangenen“ Stadträte. Am 9. November 2011 wurde noch einmal abgestimmt und mit 33 zu 21 Stimmen der Neubau nochmals beschlossen. Ätsch.
Nach umfassenden Baumfällarbeiten – das alte Stadion sah ohne die gewohnte Pappelumrandung äußerst kahl und leer aus – folgte am 17. Mai 2013 nach dem Heimspiel gegen Unterhaching die Abschiedsparty von der liebgewonnenen Fanhalle. Am 15. Januar 2014 gab es das offizielle „Fiwi-Abschiedsspiel“ gegen den vierfachen Deutschen Meister 1. FC Kaiserslautern (u.a. mit Chris Löwe), welches torlos endete. Nach dem Spiel wurde das Flutlicht mit Beteiligung der Zuschauer unter dem Motto „Drei – Zwei – Eins – Licht aus“ ausgeknipst und mit einem Feuerwerk Abschied von der altehrwürdigen Sportstätte genommen. Acht Tage später erfolgte am 23. Januar 2014 mit einem Bagger-Aushub hinter der Südkurve der offizielle „Spatenstich“ für den Umbau bei laufenden Spielbetrieb. Der grobe Plan war: Die alten Tribünen nacheinander abreißen, die vier Flutlichtmasten umsetzen, und stets Platz für ca. 10.000 Zuschauer gewährleisten.
Zuerst wurde die Südkurve von den Baggern beseitigt, dann folgte die Nordkuve. Dritte Großbaustelle sollte die Gegengerade werden, als vierter Bauabschnitt würde die neue Haupttribüne folgen. Gesagt, getan. Am schnellsten wuchsen die neuen Ränge in der Südkurve empor, so dass am 2. August 2014 zum Heimspiel gegen Osnabrück (2:0) erstmals der Mittelblock der neuen Südkurve für 2.500 Fans (noch ohne Dach) geöffnet werden konnte. Beim spektakulären 10:9 n.E. im DFB-Pokal gegen Mainz 05 war die neue „Süd“ erstmals mit 5.000 Fans besetzt. Die Eröffnung der neuen Nord-Tribüne datiert vom Heimspiel gegen den SC Preussen Münster am 4. Oktober 2014. In diesen Monat fällt auch der Abschied von der alten Haupttribüne, wobei die dortigen Sitzplatz-Inhaber, Reporter und Stadionsprecher vorläufig auf die neue „Nord“ umziehen mussten. Die ersten Fans auf der neuen Gegengeraden wurden am 31. Januar 2015 (CFC – Fortuna Köln 3:1) begrüsst.
Ein Jahr später: An der neuen Haupttribüne wurde am 31. März 2016 an der Glasfront das 36 Quadratmeter große CFC-Wappen montiert, welches aus dem Schilderwerk Beutha stammte und bis heute ein erhebender Blickfang an der Gellertstraße ist. Am 18. Juni 2016 erfolgte dann im Beisein von OB Ludwig die Stadion-Eröffnung mit einem „Tag der offenen Tür“, wo die neue Fiwi 2.0 offiziell in Betrieb genommen wurde. An diesem Tag fand auch das erste Spiel im neuen Tempel statt, der CFC siegte gegen eine bunt gemischte (unterklassige) Chemnitzer Stadtauswahl mit 10:1. Für das standesgemäße Eröffnungsspiel wurde die Borussia aus Mönchengladbach verpflichtet, welche am 2. August 2016 auf der Fiwi 2.0 antrat und in der Nachspielzeit vor 14.486 Zuschauern mit 1:0 siegte.
Aber, genau einen Tag vor dem Eröffnungsspiel gegen die Elf aus dem Rheinland waberten Gerüchte umher, dass die neue Spielstätte einen Sponsor-Namen bekommen sollte. Einen ziemlich sperrigen Name, noch dazu mit „Arena“ als Zusatz, hieß es in der Gerüchteküche. Es stimmte. Noch vor dem Spiel gegen Borussia Mönchengladbach wurde eine Chemnitzer Software-Firma eilig als neuer Namenspate vorgestellt, und die neu erbaute Fischerwiese hieß ab sofort „community4you-Arena“, was unter vielen Fans auf herzlich wenig Gegenliebe stieß. Aber es brachte Geld in die himmelblaue Kasse. Nach nur zwei Jahren verfloss der ungeliebte Name in der Geschichte, denn mit dem Abstieg des CFC aus der 3. Liga im Sommer 2018 löste sich der Vertrag auf.
Mein Beitrag „Chemnitz – An der Zietenstraße“ zeigt das Stadion und seine Umgebung im Sommer 2018 aus der Drohnenperspektive.
Die Chemnitzer Wohnungsgesellschaft GGG, die das neue Stadion im Auftrag der Stadt mittlerweile betreute, kehrte leider nicht ad hoc zum historischen Begriff „Stadion an der Gellertstraße“ zurück, sondern nannte ihr Objekt „Stadion Chemnitz“. Der zu dieser Zeit rigoros schaltende und waltende Insolvenzverwalter Klaus Siemon witterte seine Chance und schlug der Stadt vor, das Stadion tatsächlich in „Arena für Weltoffenheit, Toleranz und Fairness“ umzubenennen, und forderte vom Rathaus ganz nebenbei 750.000 Euro als Unterstützung für dieses tolle Vorhaben und den sich ergebenden „demokratischen Werbewert“ des Vereins. Das Rathaus ging nicht darauf ein. Die GGG als Stadionbetreiber tat nun einen vernünftigen Schritt – es wurde eine Kommission zur Namensfindung einberufen, bestehend aus dem GGG-Vorstand, einigen Stadträten – und zum Glück – drei Fanvertretern. Genau dieses Trio plädierte dafür, trotz interessanter Vorschläge wie z.B. die Namen von Erwin Helmchen, Jürgen Bähringer oder sogar Michael Ballack, den alten und bundesweit bekannten Name „Stadion an der Gellertstrasse“ zu verwenden. Mit einem Zusatz: Die Eigenschreibweise soll „Stadion – An der Gellertstraße“ lauten, damit man im Falle eines zahlungskräftigen Sponsors dessen Name voranstellen kann und es trotzdem beim Stadion „an der Gellertstraße“ bleibt.
Die Geschäftsführerin der GGG, Simone Kalew, verkündete am 7. Dezember 2018:
„Ich freue mich, dass wir uns in konstruktiven Sitzungen auf den Namen „Stadion – An der Gellertstraße“ verständigt haben. Der territoriale Bezug „An der Gellertstraße“ hat in der Fangemeinde des CFC eine rund 26-jährige Tradition, wird dem fußballerischen Thema gerecht und greift die territoriale Lage auf. Gleichzeitig erlaubt das Wort „Stadion“ die Ergänzung um einen wirtschaftlichen Bezug, wenn ein Sponsor künftig wieder bereit ist, dass Namensrecht zu erwerben. Darüber hinaus war es den Fanvertretern sehr wichtig, dass die Spielstätte nicht als Arena sondern als Stadion bezeichnet wird.“
Damit hatte die traditionsreiche Chemnitzer Sportstätte nach dem Neubau ihren alten Name zurück. Im Juli 2019, kurz vor Beginn der Saison 2019-20, wurde der neue Schriftzug auf das Dach der Haupttribüne montiert. Und somit bleibt es beim namentlichen Bezug zur Gellertstraße, die an der Stadionzufahrt im Knick zur Zietenstraße endet. Die längere Stadionachse liegt eigentlich an der Zietenstraße, aber wer möchte schon nach einem preußischen General benannt sein. Dann doch lieber nach Christian Fürchtegott Gellert, dem Heimatdichter aus dem nahen Hainichen, welches bekanntlich zum himmelblauen Einzugsgebiet zählt. Und wer weiß, hätte es diesen Sport schon 150 Jahre früher gegeben – vielleicht wäre Herr Gellert zu seiner Zeit einmal nach Chemnitz zum Fußball gefahren, und hätte darüber ein schönes Gedicht verfasst.
(Bildquellen: Magazin „11 Freunde“, Peggy Schellenberger, CFC-Fanpage, Bilder aus der Sammlung von Frank Neubert)