Schon zu Beginn des 20.Jahrhunderts wuchs unter dem städtischen Kollegium der Gedanke, zur Förderung des Ansehens der Fabrik- und Handelsstadt Chemnitz ein Schiff mit dem Namen der sächsischen Industriemetropole zu versehen und ihn sichtbar über die Meere zu tragen. Man nahm Kontakt mit der damals größten deutschen Handelsreederei, dem 1858 gegründeten Norddeutschen Lloyd (NDL) auf, um das Vorhaben umzusetzen. Im Gegenzug wurden örtliche Reisebüros mit der Vermarktung von Schiffsreisen des NDL beauftragt. Schauen wir uns die Geschichte dieser Schiffe an:
Der Passagier- und Frachtdampfer Chemnitz I
Der Stapellauf und Namensgebung erfolgte im Beisein des Chemnitzer Oberbürgermeisters Dr. Heinrich Beck und weiteren Stadtverordneten am 27. November 1901 auf der Schiffswerft und Maschinenfabrik Joh. C. Tecklenborg AG in Geestemünde, heute ein Stadtteil von Bremenhaven. Der Norddeutsche Lloyd Bremen hatte es als eines von 8 Schiffen gleicher Bauart für seine Transatlantikfahrten in Auftrag gegeben.
Das Schiff besaß bei einer Länge von 136,40 Metern und eine Breite von 16,55 Metern 2 Masten, einen Schornstein und konnte mit den beiden Expansionsmaschinen, die insgesamt 3400 PS leisteten, eine Geschwindigkeit von 13,6 Knoten erreichen. An Bord konnten 104 Passagiere 2. Klasse und bis zu 1935 Zwischendeckspassagiere beherbergt werden. Nach erfolgter Probefahrt startete am 21. März 1902 die „Chemnitz“ zu ihrer Jungfernfahrt von Bremerhaven nach Baltimore. Die 118 Mann starke Besatzung kümmerte sich um das Wohl während der bis zu 14 Tage dauernden Schiffspassage nach Nordamerika. Hauptsächlich waren es Auswanderer, die in Amerika ihre Chance für einen Neuanfang suchten. Auf den Rückfahrten wurden die großen Zwischendeckräume mit Baumwolle für die Textilindustrie aber auch Tabak u.a. Kolonialgüter beladen.
Bremen war der Heimathafen der „Chemnitz“, von dem das Schiff aus hauptsächlich für den Liniendienst nach Nordamerika eingesetzt wurde. Am 30. November 1902 unternahm sie ihre erste Reise über New York nach Galveston in Texas, dem damals wichtigsten Umschlagplatz in den amerikanischen Südstaaten. Am 1. Dezember 1910 befuhr sie erstmals die Strecke über Philadelphia nach Baltimore. Vor dem 1. Weltkrieg lag sie nach ihrer letzten zivilen Fahrt am 11. Juni 1914 in Bremen vor Anker.
Ab dem 11. August 1914 wurde die „Chemnitz“ als Lazarettschiff der Kaiserlichen Marine im Zuge des 1.Weltkrieges eingesetzt. Am 5. Januar 1915 kam das Schiff zurück zum Norddeutschen Lloyd. Am 9. September 1917 wurde es erneut für die Kaiserliche Marine eingesetzt, diesmal als Truppentransporter. Nach dem Ende des Weltkrieges wurde sie gemäß den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages an Großbritannien übergeben, kam aber bereits am 21. September 1919 zu ihrer Reederei zurück. Am 17. April 1921 kam sie zum britischen Shipping Controller, der die Handelsschiffe verwaltete und wurde an die Reederei Thompson & Co abgegeben. 1921 wurde das Schiff an die Ellerman’s Wilson Line verkauft und schließlich im November 1923 in Holland abgewrackt.
Der Frachtdampfer Chemnitz II
6 Jahre später, am 22. Juni 1929, erhielt zum zweiten Mal ein Schiff des Norddeutschen Lloyd den Namen „Chemnitz“. Es sollte auf den Ostasienlinien der Reederei zum Einsatz kommen. Die Taufe des auf der Vulkan-Werft in Bremen-Vegesack erbauten Frachtdampfers von 5600 Bruttoregistertonnen, vollzog Oberbürgermeister Walter Arlart in Anwesenheit des Stadtverordnetenvorstehers Georg Landgraf, Stadtrat Dr. Otto Härtwig und dem Vertreter der Industrie- und Handelskammer Otto Stecher. Als Patengeschenk überreichte die Delegation 2 Gemälde Chemnitzer Künstler. „In Gegenwart der Vertreter der Stadt Chemnitz, des Generaldirektors des Norddeutschen Lloyds und den Direktoren der Bauwerft erfolgte am 8.August 1929 die erste Fahrt des fertigen Schiffes. Auf der bis nördlich Wangeroog ausgedehnten Probefahrt lernten die Teilnehmer die vorzüglichen Einrichtungen und Eigenschaften des neuen Schiffes kennen, das mit seinen riesigen Ladeluken, dem ungemein starken Ladegeschirr, ebensolchen Anker und Ladegeschirr als Mustertyp eines neuzeitlichen rentablen Frachtdampfers gelten kann“.
Seine Länge betrug 133,72 m, seine größte Breite 17,07 m, die Höhe bis zum Hauptdeck 11,18 m. Das mit einer Kolbenmaschine in Verbindung mit einer Dampfturbine ausgerüstete Schiff entwickelte eine Geschwindigkeit von bis 13,5 Knoten bei einer maximalen Tragfähigkeit von 9.000 Tonnen, die Laderäume verfügten über 13.076 m³ Rauminhalt. Nach Überholung der Unterwasserteile und Erneuerung des Bodenanstriches ging, genau wie vorgesehen, das Schiff auf seine 1. Reise nach dem fernen Osten. Die Jungfernfahrt verlief auf der Ostasienroute ab 29. August 1929 bis Yokohama, wo das Schiff nach 49 Tagen anlandete. Die Rückkehr nach Bremen erfolgte am 3. Januar 1930. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde das Schiff ebenfalls von der Kriegsmarine übernommen, diente als Versorgungsschiff. Über den weiteren Verbleib gibt es keine genauen Erkenntnisse.
MS Karl-Marx-Stadt I
Die deutsche Seerederei Rostock, nach Gründung der DDR Betreiber der Handelsschifffahrt im sozialistischen Teil Deutschlands, vergab 2 Schiffen den Namen „Karl-Marx-Stadt“, die auf allen Weltmeeren zu Hause waren.
Am 28. Mai 1960 taufte der damalige Oberbürgermeister Fritz Scheller in Rostock ihr zehntes Schiff der Typ IV-Serie auf den Namen „MS KARL-MARX-STADT“.
Das Schiff war 157,60 m lang, hatte eine Breite von 20 m, erreichte mit 4 einfach wirkenden 8-Zylinder-Viertakt-Dieselmotoren mit Abgas-Turboaufladung eine Leistung von 8.200 PS und war bis zu 16,5 Knoten bei einer Nutzlast bis zu 9.600 BRT schnell. Unter dem Kommando von Kapitän Karl-Friedrich Witzke begann die erste Rundreise mit einer Besatzung von 72 Personen in Rostock mit dem Ziel Indonesien, welches sie nach 35 Seetagen ohne Zwischenhäfen erreichte. Mit 10.000 t Ammonsulfat Ladung war sie gestartet, ihre Ladehäfen auf der Rückreise waren Dairen mit 2.000 t Borax-Erz, Rangoon mit 3.000 t Reis und Port Sudan mit Baumwolle. Der Reis und die Baumwolle waren für Bristol in England bestimmt. Weitere Häfen waren Hull und Rotterdam, bevor sie Ende Oktober 1960 wieder in Rostock einlief. In den folgenden Jahren erschlossen sich für die „KARL-MARX-STADT“ mit Kuba und Südamerika neue Fahrtgebiete inklusive neuer Erfahrungen mit Navigation trotz fehlender Seekarten und/oder fehlerhafter Seezeichen sowie Havarie wegen Lotsenfehlers und gegnerischer, aber erfolgreich abgewehrter Anklage.
Auch die „KARL-MARX-STADT“ überschritt die geplanten sechs Monate für eine Ostasienreise durchaus. So wird von einer Reise vom 23. April 1976 bis zum 4. Februar 1977 berichtet – 288 Tage! Solche Reisedauern entstanden oftmals bereits durch lange Liegezeiten in Vietnam, dem durch den langen Krieg sehr geschädigten Land, das deswegen auch große Probleme mit dem Abtransport der angelandeten Güter vom Hafen weiter ins Hinterland hatte.
Noch 1979/1980 absolvierte sie nachweislich Fernostreisen, nach 20 Jahren DSR-Dienstzeit wurde sie am 19. Juli 1980 außer Dienst gestellt und nach dem Verkauf 1983 in Indien abgebrochen.
MS Karl-Marx-Stadt II
Das letzte Schiff in der Aufzählung: Im VEB Warnowwerft Warnemünde wurde 1977 ein Kühlfrachter der Meridian Serie gebaut, von der insgesamt 25 Stück hergestellt wurden, und als „MS Condor“ in Dienst gestellt. Die Technischen Daten dazu: Länge: 156.84 m – Breite: 21.80 m – Seitenhöhe bis Hauptdeck:11,90 m. Mit dem Zweitakt-Dieselmotor, Leistung 8240 kW, konnte das Schiff eine Geschwindigkeit von 18 Knoten erreichen.
1980 erhielt dieses Schiff den Namen „KARL-MARX-STADT“, 1990 in „Chemnitz“ umgewandelt, wurde dieses Schiff 1996 an eine ägyptische Reederei verkauft und letztendlich im April 2009 in Indien abgewrackt. (Quelle: www.nok-schiffsbilder.de)
Vielleicht wird es wieder einmal ein stolzes Schiff geben, das den Namen unserer Heimatstadt trägt und Chemnitz im Ausland Achtung und Ehre verschafft.
(Quellen u.a.:http://www.schiffe-maxim.de/; www.seeleute-rostock.de; Chemnitzer Kalender 1930; VS-Aktuell Heft 02-2014 Autor: Wolfgang Bausch)