Ein Rückblick auf den Buchdruck und die älteste Buchhandlung in Chemnitz.
Es war am 13. April 1661, als beim Rat zu Chemnitz ein Schreiben von Johann Gabriel Güttner aus Freiberg einlief, worin dieser bat, in Chemnitz, das bis dahin keine Buchdruckerei besaß, eine solche errichten zu dürfen. In seinem Gesuch erläuterte Güttner, daß er die Buchdruckkunst, die „Schwarze Kunst“, bei seinem Schwager Georg Beuther in Freiberg erlernt habe. sei dann nach ehrsamen Handwerksbrauch auf die Wanderschaft gegangen, habe danach noch acht Jahre in der alten Bergstadt Freiberg gearbeitet und schließlich geplant, sich ebenfalls dort selbständig zu machen. Das aber habe sein Schwager Beuther durch Erwerb eines „Kurfürstlichen Druckprivilegs“ vereitelt. Da infolgedessen eine zweite Druckerei in Freiberg nicht aufgetan werden durfte, wandte sich Güttner nach Chemnitz. Freilich gebrauchte er zum Inbetriebsetzen seines Unternehmens noch 80 Taler Vorschuß.
An welchem Tage und in welchem Hause über 360 Jahren diese erste Chemnitzer Buchdruckerei ins Leben trat, läßt sich leider nicht mehr feststellen. Im Sommer des Jahres 1661 erschien aus der Güttnerschen Druckerei das erste, dem Chemnitzer Rate dankbar gewidmete Werk, das eine Beschreibung der Buchdruckerkunst enthielt und die Aufschrift trug: „DrVCkerey zV KeMnltz erste BLätter“. Mag diese Aufschrift auch merkwürdig aussehen, sie hat dennoch einen besonderen Sinn. Es war ein im 17. Jahrhundert oft vorkommender Brauch, in den Aufschriften oder Titeln durch lateinische Buchstaben. die ja auch gleichzeitig Zahlenzeichen waren. das Entstehungsjahr des Wertes kenntlich zu machen. Wenn wir also bei der Aufschrift des ersten Chemnitzer Druckwerkes die lateinischen Buchstaben MDCLVVI zusammenfügen, so ergibt sich die Jahreszahl 1661. Güttner hat sich jedenfalls die größte Mühe gegeben, seine Druckerei vorwärts zu bringen. Leider vereitelten widrige Verhältnisse sein eifriges Bemühen. Besonders war es die damals obwaltende strenge geistliche Zensur, die dem jungen Buchdrucker sehr schadete. Auch der von Güttner mit betriebene Buchhandel konnte ihn nicht retten. Sein so freudig begonnenes Unternehmen stand vor dem Untergang. Er bot dem Rate seine Druckerei zum Kaufe an, in der Hoffnung, Ratsdrucker zu werden. Vergebens!
Später ging diese Druckerei an den Gelehrten Johann Conrad Stößel über, der am 15. Oktober 1693 die erste Buchhandlung gründete. Der Verlagskatalog der Firma wies zuerst eine große Reihe meist lateinischer Werke streng wissenschaftlicher Richtung auf.
Ein Sohn Stößels, ebenfalls Conrad, der beim Vater erst den Buchhandel und dann die Druckerei erlernte, heiratete die Tochter des Dresdners Druckers Johann Riedel und übernahm 1716 die Dresdner Hofbuchdruckerei. Er druckte meist Regierungsarbeiten und starb 1733.
Conrad Stößel Sen. nahm im Jahre 1724 einen weiteren Sohn – Johann Christoph – in die Firma auf, die von da an „Stößel & Sohn“ lautete. Stößel scheint sich neben seinem Geschäft auch mit kommunalen Angelegenheiten beschäftigt zu haben, denn er wurde im Jahre 1738 als Ratsherr von Chemnitz genannt. Mannigfache Änderungen hat die Firma erfahren; so finden wir in den in der Bibliothek in Dresden aufbewahrten Meß-Jahrbüchern, daß sie von 1745 an, nachdem ein weiterer Sohn – Johann David – ins Geschäft aufgenommen wurde, als „Gebr. Stößel“ firmierte. Beide Söhne verbanden Buchhandel mit der Druckerei und schafften sich 3 weitere Pressen zur eigenen Herstellung ihrer Verlagswerke an. Nach dem Tode der Brüder teilten die beiden Schwiegersöhne und Erben, Putscher und Härtwig, sowohl die Buchdruckerei und Buchhandlung, und jeder setzte es für sich allein fort.
1781 verkaufte Putscher seinen Geschäftsanteil an Carl Friedrich Gebhard, das 1790 wiederum der Hamburger Buchdrucker J.C. Wesselhöft übernahm. Im Beitrag „Die älteste Chemnitzer Zeitung“ habe ich bereits den weiteren Werdegang geschildert.
Zurück zur Buchhandlung: sie hieß, vermutlich unter Härtwig, zwischenzeitlich „Stößels Erben“, gegen 1793 war ihr Name „Stößels Buchhandlung (Hoffmann)“ und dann bis 1812 „Stößels Buchhandlung (Mauke)“. In letzterem Jahre wurde der Buchhändler Wilhelm Starke Inhaber der Firma, der eine lebhafte Tätigkeit entfaltete und auch als Bürger und Ratsherr für Chemnitz viel getan hat. Das Geschäft, in der damaligen Langgasse 47 blieb bis 1857 in seinen Händen, und er hat nicht nur den Verlag bereichert, sondern auch das Sortiment lebhaft zu gestalten vermocht. Er nahm Kunstobjekte und Musikalien in sein Geschäftsfeld auf und gründete zuerst einen Lesezirkel, später eine Leihbibliothek, dazu konnten antiquarische Schriften erworben werden.
1857 ging das blühende Geschäft an den Buchhändler Otto May über, er verlegte es in die Chemnitzer Straße 1. Jedoch schon 1864 verkaufte May Dieses, daß jetzt als „Buch- und Kunsthandlung O. May“ firmierte, an Ernst Friedrich Roeder. In dessen Familie blieb es über 30 Jahre. Nach seinem 1889 erfolgten Tode kam es in den Besitz von Frau Johanna Sophie Roeder geb. König, die am 5.März des Jahres ins Handelsregister eingetragen wurde, als Prokurist wurde Hugo Adolf Alberti genannt. Nach dem Ableben Albertis im Jahr 1900 erhielt ein Zögling des Hauses, Herr August Richard Giebner, am 5. Juni 1900 Prokura erteilt.
Nach dem Ableben von Johanna Roeder im Jahre 1905 übernahm es Giebner im Mai des Jahres in selbständigen Besitz und führte es unter der bisherigen Bezeichnung fort. Er nahm sich ebenso mit Eifer des Geschäftes an. Wegen seines vorgerückten Alters nahm er im Jahre 1913 Herrn Richard Weiß als Teilhaber auf. Am 1. Juli des Jahres begann die neue Gesellschaft unter dem Firmennamen „O. May’s Buch- und Kunsthandlung E. Röder. Inh. Giebner & Weiß“.
Weiß mußte schon im folgenden Jahre den Ruf zur Fahne Folge leisten mußte und konnte während des 1. Weltkrieges wenig zum Gelingen der Firma beitragen. Die Firma, die von Beginn an nach idealen, streng sittlichen Grundsätzen geführt worden ist, stand damals in hohem Ansehen und zählte Behörden, Bibliotheken, Schulen und höhere Lehranstalten, sowie die besten Kreise der Stadt zu ihren Kunden.
Am 8. August 1919 wurde die offene Handelsgesellschaft aufgelöst, Giebner war ausgeschieden, Weiß führte fortan das Handelsgeschäft allein fort.
1937 zog Weiß noch einmal um, das Lokal in der Chemnitzer Straße 1 wurde aufgegeben, in der Lange Straße 43 fand er bis zum Kriegsende 1945 eine neue Adresse. (Die Lange Straße durchquerte das Stadtzentrum in etwa vom Falke- bis in Richtung Johannisplatz.) Bei dem Luftangriff am 5. März 1945 wurde die Buchhandlung schwer zerstört.
Nach Kriegsende nahm die Buchhandlung erst im provisorisch hergerichteten Gebäude, später auf der Augustusburger Str.22, schon bald ihre Geschäftstätigkeit wieder auf. Doch dann kam der 7. Januar 1949, der das Ende der Buchhandlung besiegelte.
Nach 1945 hatte der Alliierte Kontrollrat einen Zeitungsaustausch zwischen den Besatzungszonen gestattet. Doch ein rapid wachsender Vertrieb westlicher Zeitungen in der Sowjetzone führenden zu einer ansteigenden Beeinflussung der Bevölkerung. Das wollte die sowjetische Militäradministration verhindern und erließ am 19. Juni 1948 den Befehl Nr. 105, wonach keine westlichen Zeitungen mehr vertrieben werden durfte. Bei einer Haussuchung durch die politische Abteilung K 5 der deutschen Polizei, dem Vorläufer des MfS, wurden in O. May’s Buch- und Kunsthandlung westlich lizensierte Zeitungen wie „Neue Zeitung“, „Telegraf“, „Tagesspiegel“ und „Kurier“ gefunden. Die Buchhandlung wurde sofort geschlossen. Der Besitzer Richard Weiß wurde vor Gericht gestellt.
Damit fanden zweieinhalb Jahrhunderte buchhändlerischen Wirkens der ersten Chemnitzer Buchhandlung ihr Ende.
(Quellen: gleichnamiger Bericht vom 08.05.1941 in der Chemnitzer Tageszeitung, Beitrag von W. Bausch in der FP 2003 „Letztes Kapitel Haussuchung“, diverse Zeitungsauschnitte im Generalanzeiger für Chemnitz, dem Börsenblatt des Deutschen Buchhandels, Eintragungen in den Chemnitzer Adressbüchern – zu finden unter SLUB-Dresden.de; Buch „Jubiläumsfirmen des Handelskammerbezirkes Chemnitz“ 1926; u.a.)