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Das neue Straßenbild am Goldnen Anker

    Ein Stück Alt-Chemnitzer Vorstadt im neuen Gewande – Die Verkehrsverhältnisse verbessert

    Annonce aus dem Chemnitzer Adressbuch 1867

    So titelte das Chemnitzer Tageblatt in Ihrer Ausgabe vom 28.Oktober 1936.

    An der verkehrsreichen Gabelung der Brücken-, Dresdner und Augustusburger Straße hatte man den alten „Anker“ abgerissen und ein neues großstädtisches Lokal errichtet. Die Verkehrsverhältnisse an dieser Kreuzung erfuhren dadurch eine erfreuliche Verbesserung.

    Mit den in diesem Beitrag enthaltenen Bildern möchte ich die Geschichte des „Goldnen Ankers“ vorstellen und Veränderungen an dieser Kreuzung erläutern.

    Leider ist über die Geschichte des „Ankers“ nur wenig bekannt. Wie oft sich im Laufe der Jahrhunderte sein Antlitz geändert haben mag, man weiß es nicht. Er soll aus einer alten Brennerei hervorgegangen sein, die wohl schon im 16. Jahrhundert existierte. Die alten Chemnitzer Chronisten haben sich immer nur mit den Gasthäusern beschäftigt, die innerhalb der Stadtmauern lagen, und der „Anker“ befand sich draußen in der Johannisvorstadt.

    Die vornehmen Reisenden dürften den Schutz der Stadtmauern vorgezogen haben. Die Verspäteten aber, die nach Toresschluß ankamen, werden sicherlich froh gewesen sein, vor den Toren der Stadt noch eine gastliche Stätte gefunden zu haben und ganz besondere Bedeutung dürfte der alte Gasthof an der Gabelung der Dresdner und Zschopauer Landstraße für die gehabt haben, die von Dresden kommend weiter ins Erzgebirge wollten oder die umgekehrte Richtung einschlugen und so nicht in die Stadt selbst herein brauchten. Ein lebhafter Botenfuhrwerksverkehr, der von hier ausging, ist ebenfalls vorstellbar. Der alte „Anker“ mag gerade in dieser Beziehung gleich dem „Stern“ vorm Klostertor und der „Laterne“ vor dem Nikolaitor ganz besondere Bedeutung gehabt haben.

    Seit Anfang der 1820er Jahre gehört des Haus Johann Gottfried Schimmel, der 1835 zum ersten Mal als Wirt erwähnt wird. Neben einer Genehmigung als Bier- und Branntweinschank besaß er bereits eine Kegelbahn und Billard. Damalige Grundstücksbezeichnung Dresdner Str. 415. Anfang der 40er Jahre erwarb er eine Konzession für den Gasthof, der ab 1843 unter dem Namen „Goldner Anker“ firmierte.  Schimmel unterstützte auch das Sommerturnen unter Leitung von Hrn. Ambrosius Weigand, dem Chemnitzer Turnvater, ab 1840 in seinem Garten.

    Ihm folgten 1850 Hr. Hartenstein und 1859 Franz B.H. Ewald, bei dem erstmals der Begriff „Zum goldenen Anker“ zu finden ist, Adresse Äußere Johannisgasse 20. Ab 1864 übernimmt Theodor H. Clauß das Lokal, jetzt unter der Adresse: Neue Dresdner Straße 27.

    Eine Anekdote ist dazu in der Geschichte der Tanzschule Köhler zu lesen: „Am 16. Dezember 1864 kam Karl May vermutlich aus Richtung Dresden nach Chemnitz, mietete sich im „Goldenen Anker“ zwei miteinander verbundene Zimmer und gab sich als Seminarlehrer Ferdinand Lohse aus. Als solcher ließ er sich Pelze im Geschäft des Pelzhändlers Oscar Bernhard Nappe zeigen und nahm einige zur Ansicht für seinen angeblichen erkrankten Direktor mit. Er verschwand mit den Pelzen, ohne zu bezahlen, und flüchtete nach Leipzig.“

    Ende 1869 übernahm der Gastwirt Friedrich Ernst Müller die Lokalität. Über 40 Jahre führte er das Restaurant. Dabei mußte er 1884 die Umnummerierung der Dresdner Straße miterleben. Die Geschäftsadresse lautete nunmehr Dresdner Straße 2. Am 7.April 1910 wurde noch unter seiner Leitung auf Blatt 6277 die Firma „Hotel Goldner Anker Ernst Müller“ ins Chemnitzer Handelsregister eingetragen. Nur kurze Zeit erlebte er diese Situation, schon im darauffolgenden Jahr übernimmt sein Sohn Woldemar Ernst nach dem Tod des Vaters am 21. Dezember 1911 die Firma. Herr Woldemar Müller blieb mindestens bis zum Kriegsende 1945 Eigentümer. Als tüchtiger Geschäftsmann erkaufte sich zudem im Laufe der Zeit die Häuser und Grundstücke in unmittelbarer Umgebung. 1940 gehörten Ihm neben dem „Anker“ auch die Häuser Augustusburger Str.1+3, sowie die Häuser Freiberger Straße 1-7.

    Das Chemnitzer Tageblatt schrieb zum gerade eröffneten Gebäude 1936:

    Die alten hölzernen Kolonnaden des Ankers, die längst nicht mehr in das Straßenbild passten, sind gefallen. Der in den Platz und in die Augustusburger Straße vorspringende Gebäudetrakt wurde abgerissen, der Verkehrsraum wurde nunmehr breiter und übersichtlicher.

    „Die neuen Gebäude haben in ihren Grundelementen wieder ganz das alte Gepräge erhalten. Unter der Bauleitung des Chemnitzer Architekten Dr.-Ing. K. Pötzsch ist der dem Platze vorgelagerte einstöckige Ladenbau eingerückt und nach neuzeitlichen Gesichtspunkten wirksam gestaltet worden. Der früher etwas kleinstädtisch wirkende Gebäudeteil hat dadurch ein großstädtisches Gepräge erhalten, das die Note des Platzes als verkehrsreicher Knotenpunkt einer Großstadt bemerkenswert unterstreicht. Verkehrstechnisch ist diese Neugestaltung von außerordentlicher Bedeutung. Nun ist er neu erstanden, als Gaststätte noch heute in vielen kleinen Einzelzügen an die lange und interessante Vergangenheit des Gasthofs erinnernd, harmonisch eingegliedert in das Straßenbild des 20. Jahrhunderts, kein störender Fremdkörper mehr in ihm und doch noch heute ein Stück Chemnitzer Vergangenheit, das uns lieb geworden ist.“

    Eröffnungsanzeige 1936
    Eröffnungsanzeige 1936

    Albert Borchers, der ehemalige Wirt des Kaufmännischen Vereinshauses, übernahm als erfahrener Pächter das Objekt. Bis zur Zerstörung durch alliierte Bombenangriffe 1945 gehörte das Restaurant mit angrenzendem Hotel zu den beliebtesten Gaststätten im Chemnitzer Stadtzentrum.

    Meine Leser werden den unaufhaltsamen Gang der Zeit verspüren, wenn sie diese Bilder betrachten. Ein lebhaftes pulsierendes Leben in der Chemnitzer Innenstadt, das wir heutzutage leider nicht mehr finden. Behalten wir diese Aufnahmen in Erinnerung. Schon bald wird die „Neue Johannisvorstadt“ dem Areal wieder ein anderes Gesicht geben. Derzeitige Grabungen fördern Überreste des „Goldnen Ankers“ hervor. Altes Inventar und Reliquien der Einrichtung wurden dabei gefunden. Diese sollen vielleicht später im Smac ausgestellt werden.

    Als Ergänzung möchte ich noch nachtragen: Bei den Ausgrabungen wurden archäologische Überreste einer alten jüdischen Mikwe gefunden. Dieser Fund eines Tauchbades stellt ein neues wertvolles Zeitzeugnis der Kulturgeschichte unserer Stadt dar. Mehr Infos unter Mikwe-Chemnitz.de

    (Quellen: Chemnitzer Tageblatt, 28.10. 1936, Chemnitzer Adressbücher zu finden unter SLUB-Dresden.de, Bilder aus der Sammlung von Uwe Kaufmann, Silvia Baum; Webseite: https://www.koehler-schimmel.de/ueber-uns/geschichte u.a.)