Der Chemnitzer im ausgehenden 19. Jahrhundert war ein begeisterter Ausflügler, der der unaufhörlich wachsenden Industriestadt während seiner verbleibenden freien Stunden, wochentags wie feiertags zu entfliehen versuchte. Glücklicherweise fügte es sich, daß findige Wirte eine Reihe prächtiger Ausflugspunkte erschufen, um der nach Natur und frischer Luft strebenden Bevölkerung ein Ziel für Ihre Wanderungen zu geben.
Beliebt waren damals – neben den mit einem Garten ausgestatteten Restaurationen in den Vorstädten – die Aussichtstürme um Chemnitz.
Wie Wehrtürme auf einer von der Natur geschaffenen riesigen Stadtmauer krönten sie die Stadt rings im Kreise: 1886 entstanden am östlichen Chemnitzer Standrand der Adelsbergturm und im Westen auf dem Totenstein bei Grüna der Maria-Josepha-Turm. 1887 wurde der Beutenbergturm am nahen Zeisigwald errichtet, den 1892 errichteten Friedrich-August-Turm im Südosten habe ich Beitrag zum Restaurant Wind bereits vorgestellt. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts wurde im Nordwesten der Bismarckturm 1906 auf der Bornaer Höhe gebaut.
Zu diesen Ausflugszielen gesellte sich der Turm auf dem 508 Metern hohen
Geiersberg bei Eibenberg
der ebenfalls bereits ab 1886 die Anhöhe zum lohnenswerten Ausflugsort machte und den ich heute mit diesem Beitrag vorstellen möchte.
Eine der ersten Erwähnungen finden wir in einem Reiseführer schon 1878: Die Wanderung von Einsiedel nach Burkhardtsdorf führte über Eibenberg und den Geiersberg: „Eine Schenke, die ehemals auf der Höhe begründet wurde, ist leider eingegangen, soll aber wieder eröffnet werden.“ heißt es in der Beschreibung.
1883 erwarb der Eibenberger Gottlob Friedrich Clauß(ner) das Grundstück am Geiersberg mit einem kleinen Birkenwald und dazugehörigen Feldern. Er ließ neben seiner Restauration im Jahre 1886 einen 18 m hohen hölzernen Aussichtsturm errichten. Der Turm, von den Gebrüdern Uhlig aus Burkhardtsdorf mit einem Kostenaufwand von 1.200 Mark erbaut, bestand aus 5 Etagen, die mit bequem zu steigenden Treppen (83 Stufen) miteinander verbunden waren. Die oberste Etage als Plattform gewährte ein prächtige Rundumsicht, zu den Gipfeln des Erzgebirges bis hin zum Rochlitzer Berg. Den Besuchern stand bereits ein Fernrohr zur Verfügung. Das Restaurant auf dem Berg wurde als einfach, gut und äußerst billig beschrieben.
Um 1900 übernahm, nach dem Tod des ersten Besitzers, Carl Oswald Pährisch die Restauration und den Betrieb des Aussichtsturmes.
Am 21.November 1903 wütete über dem Erzgebirge ein von Schneeschauern begleiteter Sturm, der sich nachts zu einem mächtigen Orkan entwickelte, und an verschiedenen Orten bedeutende Schäden anrichtete. Auch der Turm auf dem Geiersberg stürzte in dieser Nacht zusammen. Glücklicherweise fiel das hohe Bauwerk nicht auf das danebenstehende Restaurant, Menschen kamen nicht zu Schaden. Im Frühjahr 1905 war der von Carl Pährisch in Auftrag gegebene neue 22 m hohe Turm fertiggestellt.
Ab 1911 wurde die Restauration und der Turm am Geiersberg von Paul Lasch aus Harthau und seiner Tochter Gertrud Sommer weitergeführt.
Gleichzeitig wurde die Gegend vom Chemnitzer Skiclub als Wintersportgebiet entdeckt. Einem Sprunghügel, der Weiten bis zu 20 m ermöglichte, folgte 1913 die Errichtung einer kleinen Schanze, die vom aufstrebenden Chemnitzer Verein für Fremdenverkehr mit 400 Mark bezuschusst wurde. Sie wurde bis ca. 1930 dort genutzt.
Immer wieder setzten Stürme und Orkane dem hölzernem Turm zu. Im Herbst 1919 vermochte das Holzwerk einem starken Sturm nicht recht standzuhalten, ein Stockwerk wurde abgetragen aber vom örtlichen Erzgebirgsverein, der sich mittlerweile auch um den Turm kümmerte, wieder erneuert. Am 29.Oktober 1921 fiel der Aussichtsturm einem weiteren Orkan, der über die Höhe brauste, endgültig zum Opfer und mußte abgetragen werden.
Versuche des Erzgebirgsvereines, einen neuen Turm zu errichten, scheiterten auf Grund der misslichen Lage nach dem 1.Weltkrieg. Bemühungen gab es, dabei gleichzeitig eine Jugendherberge zu errichten. Man ersuchte so 1925 sächsische Gemeinden um eine Beihilfe, man versuchte 1926 über den Vertrieb von 10.000 Bausteinen zu je 1 Mark finanzielle Mittel dafür aufzutreiben, leider vergeblich. Ein Neubau kam nicht zu Stande.
Zu Beginn der 1950er Jahre erfolgte im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes die Aufforstung des Geiersbergs und die Wiedererrichtung der Schanze, die bis Ende der 50er Jahre genutzt wurde. Die Restauration, bis dahin von Familie Sommer geführt, wurde 1961 an den VEB „Fleischwerke Dresden“ verkauft und später als Ferienlager weitergeführt. Nach 1990 ging das Gelände in Privatbesitz über.
Bei einer Wanderung lohnt es sich heute, im Hintergrund die Fakten zum Areal kennend, die Gegend selbst einmal zu besuchen. Vielleicht nutzt ihr dabei meinen Tourenvorschlag „Rundweg zum Hammerberg“.
Weitere Infos zur Geschichte und der Umgebung finden Sie ausführlicher unter https://kemtau.jimdofree.com.
(Quellen: Beiträge in der Schriftenreihe „Glückauf“ des Erzgebirgsvereines ab 1886, Artikel versch. sächsischer Zeitungen zu finden unter SLUB-Dresden.de, Wintersportführer durch Chemnitz und das Erzgebirge – 1911; u.a.)