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Die alte Synagoge in Chemnitz

    Synagoge Chemnitz
    Synagoge Chemnitz

    In der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 brannten in Deutschland zahlreiche Synagogen. Die Nationalsozialisten setzten in der Pogromnacht (auch Reichskristallnacht) ein Zeichen, und verübten zahlreiche Gewaltakte an der jüdischen Bevölkerung, ihren Geschäften und zerstörten ihre Religionsstätten. Diese Aktion galt – getarnt – als spontaner Akt der öffentlichen Empörung über die Ermordung von Ernst vom Rath (Botschaftsbeamter an der deutschen Botschaft in Paris), der 2 Tage zuvor von einem polnischen Juden erschossen wurde.

    Auch in Chemnitz wird alljährlich am 9.November am Stephanplatz diesen Ereignissen gedacht.

    Was aber bisher kaum recherchiert und veröffentlicht wurde, sind Daten zur Baugeschichte der alten Chemnitzer Synagoge, ihrer Ausstattung und dem Aussehen. Ich versuche hiermit Licht ins Dunkel zu bringen und neue Details zu präsentieren.

    Die Israelitische Religionsgemeinde, die sich Mitte der 1870er Jahre in Chemnitz gründete, traf sich bis zur Einweihung u.a. in den Räumen des Kaffee Bienenstocks, des Deutschen Krugs, später in Mietsräumen der Neugasse 3 und des Neumarktes. An den hohen Feiertagen mussten sie sich mit Filialgottesdiensten in verschiedenen Sälen der Stadt, u.a. im Handwerkervereinshaus, behelfen. Was fehlte war ein eigenes Gotteshaus. Am 30.März 1896 wurde von der Gemeinde der Beschluss gefasst, das repräsentative Grundstück Stephanplatz 3 am Kassberg zum Bau einer Kirche zu erwerben. Die Gesamtsumme für Ankauf und Bau der Synagoge wurde aus Spenden, Überschüssen des Gemeinde-Etats, Darlehen und Krediten aufgebracht.

    Der Wettbewerb zur Synagogen-Konkurrenz war im Frühjahr 1897 ausgeschrieben worden. Unter 78 Bewerbern setzte sich einstimmig der Entwurf des jungen Chemnitzer Architekten Wenzel Bürger durch, der mit 2.000 Mark prämiert wurde. Auch erhielt er unmittelbar den Auftrag zur Bauausführung. Vor allem Chemnitzer Firmen wurden mit den Arbeiten beauftragt. So übernahm der Baumeister Ernst Heidrich die Erd-, Maurer- und Zimmermannsarbeiten. 

    Grundriss der Synagoge

    Das Gebäude erreichte man durch eine im Vorgarten liegende Granitfreitreppe und eine Anfahrtrampe. Man betrat es durch ein dreiteiliges Portal mit kleinen Windfängen. Der Synagoge vorgelagert war ein geräumiges Vestibül, von welchem man direkt in die Hauptsynagoge, ebenso aber zu den Männergarderoben und den Emporentreppen gelangen konnte. Die Männergarderoben hatten einen eigenen Vorraum und eine geräumige Klosettanlage.

    Die Hauptsynagoge bestand aus einem Lang- und einem Querschiff. Die Bestuhlung mit Klappsitzen aus Eichenholz für mehr als 400 Männer war in drei Gruppen angeordnet, welche durch breite Gänge getrennt waren. Das Allerheiligste mit der Estrade wurde direkt nach Osten gelegt. Hinter demselben lagen zwei symmetrisch angeordnete Zimmer für den Geistlichen und den Cantor, mit eigenen kleinen Vorräumen und Klosetts, und direkter Verbindungen nach der Estrade.

    Zu den Emporen gelangte man auf 4 Treppen, welche jede einen eigenen Eingang besaß. Über dem Vestibül lag die Vorsynagoge, welche als Betsaal benutzt wurde. Seitlich davon waren Garderoben und Klosetts in der gleichen Weise wie im Erdgeschosse angeordnet. Die Sitze auf den Emporen waren erhöht, so dass von jedem Platze aus die Kanzel sichtbar war Auf den Emporen fanden 282 Frauen und bis zu 42 Sänger Platz. Der Chorraum über dem Allerheiligsten diente zur Aufstellung der Orgel, die aus der Schweidnitzer Fabrik von Schlag & Söhnen hervorging.

    Die Fundamentmauern waren aus Bruchsteinmauerwerk, alles Übrige aus Ziegelmauerwerk hergestellt. Der Sockel war grünen Bruchsteinen fugenrein verblendet und mit Granitsims abgeschlossen. Das aufgehende Mauerwerk mit dunkelroten Ullersdorfer Blendsteinen, die Abwässerungen mit grünglasierten Schrägsteinen verblendet. Die Simse und Fenstergerüste fertigte man aus Formsteinen aus Elbsandstein, alle Stufen wurden in Granit ausgeführt. Das Innere der Haupträume war in einfacher aber würdiger Ausführung hergestellt worden. Die Säulen der Emporen bestanden aus polierten Labrador, alle Schäfte und Gewölberippen aus Formsteinen, ebenso die Brüstungen der Empore. Alle Wandflächen waren glatt geputzt und mit farbenreichen Malereien versehen. Als Fußbodenbelag waren Mosaikplatten mit Rücksicht auf die Heizkanäle in mehrfärbiger Ausführung, auf den Emporen dagegen Estrich mit Linoleumbelag, in den Zimmern und der Vorsynagoge Eichenriemenfußboden projektiert. Eichene Holzwandbekleidungen schmückten zudem die Wände. Als Bedachungsmaterial wurden glasierte Falzziegel verwendet. Sämtliche Dachrinnen, Kehlen und Abfallrohre waren aus starkem verzinktem Eisenblech hergestellt worden.

    Alle Fenster und Türen, ebenso aus Eichenholz gefertigt, erhielten üppige geschmiedete Beschläge, die Fenster außerdem mit bunter Bleiverglasung versehen. Sämtliche Klosetts wurden in freistehender englischer Ausführung mit Wasserspülung Installiert. Als Zentralheizung diente eine Dampfniederdruckheizung. Der Kesselraum (aus dem Längsschnitt ersichtlich) lag unter der Estrade. Von hier aus führten die Dampfleitungen in gemauerten Kanälen unter die Sitze. Andere Dampfleitungen erwärmten die Emporen, Kleiderablagen und die Vorsynagoge. Leicht regulierbare Zu- und Abluftkanäle sorgten für ausreichende Belüftung. Das Gotteshaus wurde elektrisch beleuchtet. Mächtige, bronzene, monumental ausgeführte Leuchter auf den Emporenbrüstungen, zusätzlich einzelne Wand- und Deckenbeleuchtungskörper erhellten die Hauptsynagoge, in den einzelnen anderen Räumen reichten einfache Deckenbeleuchtungen aus.

    Der Kostenanschlag sah folgende Ausgaben vor:


    Erd- und Maurerarbeiten, Einfriedung, Schleusen Mark und Aschengrube

    105.300,-

    Zimmermannsarbeit

    11.500,-

    Sandsteinarbeit

    4.700,-

    Granit- und Labradorarbeit

    8.100,-

    Eisenkonstruktionen

    15.040,-

    Klempnerarbeiten

    2.600,-

    Wasserleitung und Klosettanlage

    2.300,-

    Dachdeckerarbeiten mit grünglasierten Strangfalzziegeln in Musterung

    11.000,-

    Verschiedenes, als Gitter, 2 eiserne Treppen, Blitzableitung etc

    4.400,-

    Gemalte Fenster

    5.900,-

    Eichene Türen

    3.300,-

    Geschmiedete Türbeschläge

    5.400,-

    Zentralheizung

    5.100,-

    Elektrische Beleuchtung, Installierung

    1.600,-

    Bronzene Beleuchtungskörper

    6.000,-

    Modell- und Steinbildhauerarbeit

    3.000,-

    Malerarbeiten mit reicher Vergoldung

    8.500,-

    Gestühl in Eiche

    9.800,-

    Orgel mit Gehäuse

    8.000,-

    Venezianisches Glasmosaik

    3.500,-

    Summe

    225.040,-


    exklusive Architekten- und Bauführerhonorar, sowie Grundstückskosten. Die Gesamtbaukosten wurden letztendlich auf 300.000 Mark beziffert.

    Der Bau wurde im August 1897 begonnen und hatte im Juli 1898 bereits Erdgeschosshöhe erreicht. Die vorgesehene Einweihung am Ende des Jahres 1898 konnte nicht eingehalten werden.

    Am 7. März 1899 wurde das erste jüdische Gotteshaus in Chemnitz mit einer festlichen Weihefeier der israelitischen Gemeinde übergeben. Zugegen waren neben kirchlichen und städtischen Abgesandten auch Deputationen der Brudergemeinden in Dresden, Leipzig, Annaberg und Plauen.

    Die Synagoge wurde eine Sehenswürdigkeit der Stadt, eine Zierde des Kassbergs und Zentrum des jüdischen Lebens in unserer Stadt. Aber eben nur bis zu dieser Novembernacht. Tage später war sie abgetragen.

    Immer wieder lesenswert und empfehlenswert sind die Publikationen und Vorträge von Jürgen Nitsche zur jüdischen Geschichte.

    (Quellen: „Der Bautechniker -Centralorgan für das österreichische Bauwesen“, 15.Juli 1898; Festschrift zur Einweihung des neuen Rathauses 1911; Buch „Juden in Chemnitz“ von Jürgen Nitsche; Artikel zur Einweihung der Synagoge aus dem „Generalanzeiger für Chemnitz“ vom 9. März 1899, zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)