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Die Beckerbrücke

    Plan des Areals um 1828

    Schon in früherer Zeit ist dieses Gebiet um die Beckerbrücke von Bedeutung gewesen.

    Die älteste Straße, die von Leipzig nach Böhmen führte, soll an dieser Stelle die Chemnitz überquert haben. An dieser Stelle stiegen die Ufer nur langsam an. So war eine Furth entstanden, die noch bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts benutzt worden sein soll. Das beweist uns auch ein Bericht vom 2. August 1851 aus dem Chemnitzer Anzeiger. Danach fuhr der Postillion Bauch mit einem kleinen, mit vier Pferden bespannten Kariolwagen durch den stark angeschwollenen Fluß. Er ertrank in den Fluten. Sein Begleiter, ein Soldat aus Hohenstein, konnte sich durch Schwimmen ans Ufer retten. Zwei Pferde konnten nur tot geborgen werden. Die zwei Anderen und der Wagen wurden bis ans Pfortenwehr getrieben, wo man sie mit übergeworfenen Seilen rettete.

    Wahrscheinlich im 18. Jahrhundert wurde neben dieser Furth eine schmale Brücke, ein Steg aus Holz, gebaut. Je nachdem man das Ziel auswählte, nannte man ihn Au- oder Schießhaussteg.
    Als solches wird er bereits um 1750 erwähnt. Er verband die Aue mit dem, auf dem ehemaligen Sauanger stehenden, gut frequentierten Schützen- bzw. Schießhaus.

    Anfang der 1860er Jahre setzte in Chemnitz eine rege Bautätigkeit ein. Auf dem Sonnenberg, zwischen der Zschopauer und Annaberger Straße und auch an der Beckerstraße wurden neue Gebiete für die Wohn- und Industriebebauung erschlossen. Das Stadtbild der ehemaligen Chemnitzer Vorstadt änderte sich in großen Schritten, neue Straßenzüge wie die Annen-, Logen- und Wiesenstraße entstanden. An der Beckerstraße wuchsen zahlreiche Fabrikanlagen empor.
    Jahrelang stritt man um die Notwendigkeit einer zusätzlichen Brücke an dieser Stelle, ehe von staatlicher Seite diese bestätigt wurde. Alsbald begann man mit der Planung dieser wichtigen Verbindung.

    Vergleich der beiden Brücken, im Hintergrund rechts die "Aue", links beginnt die Beckerstraße
    Vergleich der beiden Brücken, im Hintergrund rechts die "Aue", links beginnt die Beckerstraße

    Im Jahr 1863 wurde dann neben dem alten hölzernen Steg, der zu damaliger Zeit eine Überquerung der Chemnitz mit trockenen Füßen an dieser Stelle ermöglichte, eine neue Brücke zur Verbindung der Auevorstadt mit der Annaberger Chaussee gebaut. Im Frühsommer begannen die Arbeiten am etwa 18.000 Thaler teuren Bauwerk. In wenigen Monaten waren die aus pirnaischen Sandsteinquadern gebauten Brückenköpfe fertig. Den eisernen Brückenkörper lieferte die Firma Nestler & Breitfeld aus Erla bei Schwarzenberg. Am 23. November fand die Probebelastung der Brücke statt, in dem man in der Mitte derselben 750 Zentner steinerne Trottoirplatten aufstellte. Die Probebelastung fand unter Leitung des Professors Dr. Böttcher, Lehrer der Maschinenbaukunde an hiesiger königlicher Gewerbeschule, statt, durch dessen Gutachten und den Befund die erforderliche Tragfähigkeit des Brückenwerkes nachgewiesen wurde. Anschließend wurde sie dem allgemeinen Verkehr übergeben und erhielt den Namen zu Ehren des Chemnitzer Wohltäters Christian Gottfried Becker.

    Über 40 Jahre hat diese Brücke dem Verkehr gedient.

    1905 genehmigte man den Bau der Hauptfeuerwache und des städtischen Leihhauses auf einem städtischen Grundstück in der Aue. In Verbindung damit machte sich eine Verbreiterung der Beckerbrücke notwendig. Das Ratskollegium stellte im Juni 1905 für den Abriß und Neubau insgesamt 120.000 Mark zur Verfügung. Unverzüglich begann man mit den Planungen, am 25. Juli wurde der Brückenbau in Angriff genommen. Kieferne 3 m lange Rostpfähle wurden in den lehmigen Untergrund der Baugrubensohle zur Aufnahme des Fundamentbetons getrieben.
    Noch bis Jahresende waren die Gründungsarbeiten, der Aufbau der Lehrgerüste und die Wölbarbeiten abgeschlossen.

    Die Ausführung des Baues erfolgte durch die Chemnitzer Firma C.T. Steinert nach den vom Tiefbauamt erarbeiteten Einzelentwürfen.

    In einem einzigen Bogen von 23 m lichter Weite, 18 bis 22 m Breite und 1,80 m Pfeilerhöhe überspannte die neue Brücke den Fluß. Für das Mauerwerk wurde Röhrsdorfer Granulit in Zementmörtel verwendet. Quadermauerwerk aus Mittweidaer Granit diente zur Verkleidung der Bogenstirnen, während der zum übrigen Bau verwendete Sandstein den Postaer Brüchen entnommen wurde. Die Fahrbahn wurde mit australischem Hartholzpflaster belegt, für die Fußwege wurden Asphaltsteinplaten verwendet.

    Am 4. August 1906 wurde die Probebelastung mit 2 nebeneinander aufgestellten Dampfwalzen mit einem Gesamtgewicht von 28 Tonnen durchgeführt. Nach Verkehrsübergabe der neuen Brücke wurde unverzüglich mit dem Abbruch des eiserner Überbaus der alten Brücke begonnen und die aufgemauerten Ufer mit Eisengeländern bekrönt.

    1928 wird von einem Verkehrsunfall berichtet, bei dem ein Lastwagen auf Grund zu schnellen Fahrens das steinerne Brückengeländer durchbrach und in die Chemnitz stürzte, der Fahrer starb, zwei Mitfahrer wurden leicht verletzt.

    Die Brücke war bald dem enormen Verkehrsaufkommen  nicht mehr gewachsen. Schon Anfang Dezember 1935 mußte sie auf Grund von Baufälligkeit gesperrt werden. Das 1932er Hochwasser Anfang Januar, bei dem das Wasser auch an der Beckerbrücke das Ufer erreichte, hatte einen Teil dazu beigetragen. Da eine Instandsetzung nicht durchführbar war, kam nur ein Abbruch in Frage. Mit dem Neubau ca. 40 m flußaufwärts sollte unmittelbar im darauffolgenden Frühjahr begonnen werden. Zwischenzeitlich wurde etwa 15 Meter oberhalb eine provisorische Fußgängerbrücke errichtet.

    Doch die Finanzierung der neuen Brücke ließ bis Dezember 1936 warten, ehe die veranschlagten 360.000 Mark genehmigt wurden. Noch in der 2. Dezemberwoche begannen die Arbeiten. Zeitgleich mit dem Aufbau wurde auch die alte Beckerbrücke abgerissen. Dabei ereignete sich am 9. Februar 1937 ein Unfall. Als die Arbeiter die letzte Schicht der gewölbten Brücke abbrechen wollten, stürzte die mit Holzbanken gesicherte Brücke ein. Mehrere Arbeiter wurden dabei verletzt.

    Schließlich am 3. September 1938 konnte die Brücke dem Verkehr übergeben werden. Damit war diese für den Chemnitzer Verkehr dringend notwendige Verbindung zwischen dem Westen und Süden der Stadt wieder hergestellt worden.

    Unbeschadet überstand sie den 2. Weltkrieg und die darauffolgenden Jahre. Die Stahlbetonkonstruktion hält mit wenigen Instandsetzungsarbeiten bis heute. Der Fahrbahnbelag wurde zwischenzeitlich erneuert. In ihrem 83. Lebensjahr ist sie weiterhin Zufahrt für Feuerwehr- und Rettungsfahrzeuge.

    Und wir können sie nutzen, wenn wir zum Beispiel das Stadtarchiv besuchen, um nach weiteren Fakten zur Chemnitzer Geschichten zu suchen…

    Zur Einordnung ein Bildvergleich zur heutigen Zeit. Der Fotograf steht auf der Brücke der Reichsstraße kurz vor der Kreuzung Annaberger Straße
    Zur Einordnung ein Bildvergleich zur heutigen Zeit. Der Fotograf steht auf der Brücke der Reichsstraße kurz vor der Kreuzung Annaberger Straße

    (Quellen: Bericht der Chemnitzer Neuesten Nachrichten vom 7.12.1935, zahlreiche Artikel aus sächsischen Tageszeitungen, zu finden unter SLUB-Dresden.de; Berichte der Verwaltung der Stadt Chemnitz 1905/06; u.a. – Besonderer Dank gilt „Schneller Horst“ für die Bereitstellung diverser Dokumentationsstücke und Daniel Ludwig für die Überlassung der tollen Fotos.)