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Die Geschichte eines Kraftfahrzeugpioniers

    Johann Gustav Hermann Michaelis (13.05.1839 – 10.09.1911)

    Wenn wir 2021 den 110.Todestag von Hermann Michaelis begehen, ist es nur eine kleine Erinnerung an einen weitestgehend unbekannten Chemnitzer Unternehmer. Dieser jedoch war mit seinen selbstentwickelten Dampfwagen zum Transport von Fracht und Personen ein Wegbereiter des heutigen Nutzfahrzeugbaues. Mit dieser kleinen Chronik möchte ich verschiedene Stationen seines Lebens nachzeichnen und bisher unbekannte Fakten und Berichte zu den Unternehmungen und Fahrten wiedergeben.

    Erste Fabrikansicht von Hermann Michaelis – 1874 Beckerstraße

    Im Jahre 1867 kommt der ideenreiche Techniker nach Chemnitz.

    Mit C. Louis Müller als Teilhaber gründete er in diesem Jahr die Maschinenbau-Werkstatt Michaelis und Müller in der Brauhausstraße 1042 (spätere Hausnr. 8), unweit des Stadtzentrums. Lange Zeit befanden sich an dieser Stelle die Reste der ehemaligen Minol-Tankstelle an der Annenstraße. Mit einem Arbeiter, einem Lehrling sowie zwei Drehbänken und einer Feldschmiede wagten sich die Unternehmer an die Fertigung von Zahnrädern und Maschinen bis hin zu Zahnradfräsmaschinen.

    1868 kauft er das Grundstück Annaberger Str. 28 und gründet mit seinem Kompagnon dazu eine Handelsgesellschaft, und lässt diese als Haus- und Grundstücksbesitzer eintragen. Im Parterre hat die neue Maschinenfabrik Michaelis & Müller ihr Kontor, darüber wohnen beide Firmeninhaber.

    1871 erweitert er sein Geschäftsfeld und baut den ersten Dampfkran mit 1500 kg Tragkraft.

    Die Geschäftsentwicklung zwingt ihn 1872, sich nach einem größeren Grundstück umzusehen, das er in der Beckerstraße 17D bei Kaufmann Gustav Weyermann findet. Mit ihm gründet er die Maschinenfabrik Michaelis und Weyermann und erweitert seine Produktpalette mit dem Bau von Bergwerksmaschinen, Mühlenanlagen, Textil- und Werkzeugmaschinen. Auch wird in diesem Jahr eine eigene Gießerei als Basistechnologie jener Zeit in Betrieb genommen. Es konnten Teile bis zu einem Stückgewicht bis 2,5 to. gegossen werden. Weyermannn zieht alsbald nach Dresden und scheidet aus der Firma aus. Ab 1873 dann finden wir sie nur noch als „Räderfabrik, Maschinenbauanstalt und Eisengießerei Hermann Michaelis“ geführt, nach der Neunummerierung jetzt Beckerstraße 6b.

    1874 wird ein Lokomotiv-Dampfkran mit 40PS und der gewaltigen Tragkraft von 26.000 kg gebaut.

    1875 erlischt die Firma vorerst, er zieht auf die Logenstraße ins Haus Nr.18.

    In diese Zeit fallen auch die ersten Kontakte mit Justus Heinrich Kluge, seinerzeit stellvertretender Generaldirektor der Chemnitzer Werkzeugmaschinenfabrik auf der Rochlitzer Straße.

    Seitenansicht seines Frachtwagens aus der Patenschrift 1878 – Quelle: Journal Dampf Heißluft-2008

    Herrmann Michaelis avancierte in diesen Jahren zu einem angesehen Bürger und Geschäftsmann und wird 1875 ebenso wie J.H. Kluge zum Direktor des Maschinenbau-Vereins Chemnitz ernannt, der seinen Sitz in der Zschopauer Straße 21 hat. Auf dem Gelände steht auch die ehemalige Maschinenfabrik von C.F.Schellenberg (Maschinen, Räderfabrik und Eisengießerei) die der Maschinenbau-Verein vorübergehend weiterführt. Dort findet Michaelis beste Möglichkeiten zum Experimentieren, und entwickelt erste dampfgetriebene Verkehrsmittel. 1876 geht auch dieser Verein in Konkurs und Hermann Michaelis übernimmt gemeinsam mit Julius Heinrich Kluge als Teilhaber die Fabrik. Auf 3000 Quadratmetern wurde jetzt produziert, 8 Lauf- und Drehkräne standen zur Verfügung, eine Schmiede kam hinzu und die bestehende Gießerei vergrößert.

    Neben Dampfmaschinen werden jetzt auch „Dampf-Frachtwagen zum Fahren von allerhand Lasten auf den Straßen” gebaut, insgesamt wohl 12 Stück dieser stählernen Ungetüme entstehen an der Zschopauer Straße bis etwa Ende der 1880er Jahre. Die Gesamtleistung der Wagen betrug 400 PS für einen Kesseldruck von 8-16 Atm. gebaut. Es waren die ersten modernen Lastkraftwagen, Michaelis wurde damit zum Pionier des Nutzfahrzeugbaus in Deutschland. Modern heißt: im Fahrzeug integrierte und durchgehende Ladefläche, hohe Nutzlast, kompakter Antrieb, Bedienung durch eine Person. Jeder Wagen war eine Weiterentwicklung des Vorgängers.

    Annonce 1882 Wiener Vorstadt-Presse

    Im Mai 1878 wird Hermann Michaelis „seitens des sächsischen Ministeriums des Innern und der Finanzen für einen Straßendampfwagen auf Grund der vorgelegten Zeichnung und Beschreibung die Erlaubnis zur Benutzung der öffentliche Wege“ erteilt.

    Am 9.September 1878 hatte die Leipziger Bevölkerung Gelegenheit, ein neues Transportmittel in Augenschein zu nehmen. Eine von Hermann Michaelis gebaute „Straßenlokomotive zum Lastentransport“ fuhr an diesem Tage vom Marstallhofe, wo sie über Nacht eingestellt war, unter persönlicher Leitung des Erbauers durch die Stadt nach dem Ort ihrer Bestimmung, Groß-Salze bei Schönebeck, woselbst sie zum Transport von Braunkohlen des dortigen Braunkohlenwerkes dienen soll.“  Die erste offizielle Auslieferungsfahrt eines mit einem 6 Kubikmeter (100 Zentner) großen Laderaum ausgestatteten Frachtwagens mit 100 Zentnern Eigengewicht! Er erreichte auf freier Chaussee eine Geschwindigkeit von 80-120 m pro Minute.

    Mit seinem eigenen Frachtwagen mit 50 Zentnern Ladefähigkeit transportierte er in diesem Jahr bereits Güter aller Art zur eigenen Fabrik und im Auftrag für andere Unternehmen. Weiterhin tüftelt er an der Verbesserung seines Konzeptes und stellt 5 verschiedene Frachtwagen mit unterschiedlichen Zuladungstonnagen her.

    Im März 1879 erhält er rückwirkend das Patent Nr. 5452 „Neuerungen an Straßendampfwagen“ , das er am 28.August 1878 eingereicht hat. Seinen Wohnsitz verlegt er 1879 auf die Bernsbachstraße 20.

    Ab 1880 bot Michaelis zwei Baureihen von Frachtwagen an, zum einen Wagen für gewöhnliche Straßen und zum anderen Fahrzeuge mit „Kraftmultiplikatoren“. Eines seiner weiteren Patente.

    Annonce 1885 mit einem neuen Typ von Frachtwagen

    Die Riesaer Zeitung „Elbeblatt und Anzeiger“ schreibt am 16.September 1880 von Probefahrten auf Chemnitzer Straßen:

    Berlin hat seine Dampfkalesche, aber wir dürfen wohl darauf aufmerksam machen, daß Chemnitz, und zwar länger schon, seinen Dampffrachtwagen hat, daß er sich, in aller Stille, gar trefflich bewährt und seinem Herrn seit Monat Juli, wo er erbaut ward, bereits 184.396 Kilogr. Güter in 44 Fahrten bequem und leicht und — billig befördert hat. Er geht leicht auf allen Straßen, überwindet jede Steigung, lenkt in den schwierigsten Kurven sicher um und folgt seinem Lenker so sicher und pünktlich, daß er z. B. nicht blos in den Hof der sächsischen Maschinenfabrik, wohin er Guß liefert, glatt im Bogen ein-, sondern auch, wie am Lineal abgemessen, auf die große Waage auffährt.

    Der Erbauer und Besitzer ist Hr. Michaelis. Die Construction ist außerordentlich sinnreich, namentlich auch insofern, als die eigentliche Last über den hinteren Rädern aufgeschichtet ruht und so den Druck auf den Straßenkörper mit vermehren, dadurch aber die Fortbewegung erleichtern hilft. Der Wagen arbeitet ohne sonderliches Geräusch und ohne große Rauchentwicklung. Er weicht begegnendem Fuhrwerk leicht und sicher aus und stört weder dieses, noch sonst Jemanden. Sachverständige versichern, daß der Wagen eine Zukunft haben könne. Bisher durchfuhr er ca. 220 Kilometer in den verschiedensten Straßen der Stadt. — Demnächst wird der Wagen auch zur Personenbeförderung auf den Straßen in der Umgebung von Chemnitz verwendet werden.“

    Michaelis hatte speziell auf die Funktion des Lastentransports zugeschnittene Straßendampfwagen, ein Lastwagen mit allen grundlegenden Merkmalen heutiger Fahrzeuge entwickelt, gebaut und zum Einsatz gebracht. Und mit der Einmannbedienung hatten seine Fahrzeuge ein sehr wichtiges und neuartiges Merkmal erhalten, „da nun auch die Kesselheizung, die Handhabung des Speiseapparates und die Beobachtung der Aggregate und Anzeigen vom dem Stande des Führers aus geschieht, so kann der der letztere ganz allein den Wagen dirigieren.“

    Über die ersten Versuche von Hermann Michaelis mit Dampfomnibussen lesen Sie in diesem Artikel.

    (Quellen: Sächsischer Landesanzeiger, Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote, Riesaer Elbeblatt und Anzeiger, Wochenblatt für Zschopau, u.a. Adressbücher der Stadt Chemnitz alles zu finden unter SLUB-Dresden.de; Museumskurier 39/2017 des Industriemuseums Chemnitz, Chemnitzer Roland 01/2008; Journal Dampf und Heißluft Heft 4/2008 – Artikel von Dr.Ing. Heinrich Schmidt-Römer; Webseite: http://dampf-selbstfahrer.de)