Zu Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Verkehrsverhältnisse auf den südwestlichen Zubringerstraßen Annaberger und Zwickauer Straße dermaßen unbefriedigend, das man seitens der Ratskollegien wiederholt Erörterungen und Verhandlungen über deren Verbesserung veranlaßte. Die noch aus alten Zeiten stammenden engen Straßenführungen stellten für den zunehmenden Verkehr auf Straße und Schiene ein Hindernis dar. Die Anwohner an der Annaberger Straße waren zwar einsichtig, jedoch scheiterten die Verhandlungen mit den Anliegern über eine Verbreiterung dieser Strecke an der außerordentlichen Höhe der Entschädigungsforderungen.
Das Tiefbauamt wurde schließlich beauftragt, Pläne zur Herstellung einer Verbindungsstraße zwischen der Annaberger Straße und der Theaterstraße, sowie Verbreiterung des – seit 1907 so genannten – Falkeplatzes zu erarbeiten.
Anfang des Jahres 1912 erhielt diese Planung die Genehmigung der städtischen Kollegien in der Ratssitzung vom 26. Februar und in der Stadtverordnetensitzung vom 7. März.
Sie sah vor, eine Entlastung der Annaberger Straße in dem vorderen Teile dadurch herbeizuführen, daß von dem Grundstück „Stadt Rom“, Annaberger Straße 22, aus eine neue Straße über dem Chemnitzfluß nach der Auebrücke gebaut wird; durch weitere Überdeckung des Chemnitzflusses von der Auebrücke bis zur Nikolaibrücke (unter Abbruch der beiden alten Brücken) und durch eine Überwölbung bzw. Verrohrung des Meliorationsgrabens von der Schadestraße bis zur Einmündung in den Chemnitzfluß weiter ein neuer, großer Verkehrsplatz geschaffen wird.
Zur Durchführung der Planung machte sich eine rund 280 m lange Überdeckung des Chemnitzflusses (Spannweite im Mittel 18 m) und eine rund 130 m lange Überwölbung bzw.·Verrohrung des Nikolaimühlgrabens erforderlich.
Mit dem Bau der Ufermauern konnte am 29. Mai 1912 begonnen worden. Die Ufermauern wurden in Stampfbeton hergestellt. Nur auf dem rechten Ufer ist in der Strecke von der Auebrücke bis zur neuen Nikolaibrücke die gut erhaltene Bruchsteinmauer beibehalten worden. Die alte Nikolaibrücke wurde abgerissen und durch einen pfeilerlosen Neubau ersetzt. Temporär fuhr die Straßenbahn dabei über eine Behelfsbrücke.
Die Überdeckung selbst erfolgte aus insgesamt 158 Eisenbeton-Gitterträgern nach System Visintini, die in der Nähe der Baustelle hergestellt und mittels eines besonders konstruierten fahrbaren Gerüstkranes an Ort und Stelle bewegt wurden. Zwischen den in Abständen von im Mittel 1,50 m verlegten Balken wurde dann eine Eisenbetonplatte, die mit dem fertigen Balken durch darin einbetonierte Bandeisenbügel verspannt wurde, auf einer an den Balken angebrachten Schalung eingestampft.
Der 1.Visintini-Balken ist am 1. Juli gestampft und am 30. August auf die Ufermauern verlegt worden. Bis 31. Dezember waren 66 Stück Balken gestampft, davon 47 Stück auf die Ufermauern verlegt worden. Von der Eisenbetondecke waren bereits rund 60 lfdm. hergestellt worden. Das Stampfen der Balken und der Decke erfolgte mit Preßluft. Man kann sich heute den Lärmpegel gar nicht mehr vorstellen, der tagtäglich auf der Baustelle herrschte. Die Ausführung der Eisenbetonüberdeckung erfolgte durch die Firma Gottreich Lohse, Chemnitz, die sich auf den Beton- und Brückenbau spezialisiert hatte.
Die übrigen Stampfbetonarbeiten sowie die Herstellung der Ufermauern und Überwölbung des Nikolaimühlgrabens erledigte die Firma Alban Vetterlein & Co., auch aus Chemnitz.
Wegen des erforderlichen Abbruchs der Auebrücke mußte der Verkehr über diese Brücke am 17.Juni gesperrt werden. Zur Aufrechterhaltung des Fußgängerverkehrs wurde ein provisorischer, 1,50 m breiter Holzsteg hergestellt, der am 11. Juli dem Verkehr übergeben wurde. Die Sperrung der Auebrücke wurde am 12. Dezember wieder aufgehoben, nachdem auf der fertigen Eisenbetondecke durch Aufbringen von alten Eisenbahnschwellen eine provisorische Fahrbahn geschaffen worden war.
Mit den Arbeiten für die Herstellung der Überwölbung des Nikolaimühlgrabens zwischen dem Chemnitzfluß und dem Regenauslaß der Stollberger Straße wurde am 9. August begonnen; die Arbeiten wurden bereits am 11. September 1912 beendet. Anschließend begann man die alte Nikolaibrücke abzureißen. Sie wurde durch einen pfeilerlosen Neubau ersetzt. Temporär fuhr die Straßenbahn dabei über eine Behelfsbrücke.
Noch während der Bauarbeiten starb am 20.Juni 1913 im Alter von 45 Jahren der verantwortliche Stadtbaurat Harms, dem die Planung und Leitung des Vorhabens oblag. Dieser errichtete u.a. 1909 bereits die Brunnenanlage der Schillingschen Figuren auf dem Theaterplatz und zeichnete für den Bau der Neunzehnhainer Talsperre verantwortlich. Nichtsdestotrotz gingen die Arbeiten zügig voran. Die Verbindungsstraße, zwischen der Aue und Poststraße zur Annaberger Straße führend, erhielt 1913 bereits den Namen „Falkestraße“.
Im Frühjahr 1914 wurde das alte Gasthaus „Stadt Rom“ abgerissen und die fehlende Anbindung an die Annaberger Straße hergestellt. Im Dezember 1914 war die Überdeckung des Chemnitzflusses abgeschlossen.
Im Zuge diese Überbrückung entwickelte sich die Zwickauer Straße und der Falkeplatz zu einer der verkehrsreichsten Anlagen in ganz Sachsen. Der zunehmende Verkehr, der sich über den Brennpunkt täglich ergoß, zeigte zusehends, das sich die wenige Jahre alte Überdeckung als zu schwach für die Riesenlasten der Kraftwagen und Straßenbahnen erwies. Schon 1931 wurden die Gleisanlagen weiter nach der Poststraße verlegt und die Straßenbahnverbindung über die Falkestraße zur Annaberger Straße ganz aufgegeben.
So zweckmäßig der ca. 400m lange Deckel für die Verkehrsverbesserung war, hatte die Überdachung aber auch eine Negativseite. So führte die Chemnitz insbesondere ausgangs des Winters auf Grund der Schneeschmelze teilweise sehr hohe Wasserstände. All dies musste unter der langen Überdeckung hindurch.
In den ersten Januartagen 1932 richtete ein Hochwasser so erhebliche Schäden an, dass umgehend mit Sicherungsmaßnahmen begonnen werden musste.
Die Wiederlager unter der Straßenbrücke des Falkeplatzes waren teilweise hinterspült worden. Sie musste für den Fahrzeugverkehr gesperrt werden.
Ende Januar 1932 wurde dem Stadtrat bereits vom Tiefbauamt der Kostenvoranschlag in Höhe von fast 1,5 Millionen Reichsmark zur Erneuerung der Chemnitzüberbrückung vorgelegt und ein Teilbetrag in Höhe von 425.000 RM zur Bewilligung vorgeschlagen. Ende Februar wurde diese Summe genehmigt und bereits am 25.März 1932 konnte eine stählerne 26m lange Notbrücke für die nach Schönau-Siegmar führende Straßenbahnstrecke in Betrieb genommen werden.
Doch die enormen Schäden, die das 1932er Hochwasser anrichtete, waren noch längst nicht behoben. Die Stadt Chemnitz versuchte, im Rahmen des zum 1. Juni 1933 in Kraft tretenden Arbeitsbeschaffungsgesetzes, Mittel aus dem für Sachsen stehenden Kontingent von 42 Mill. RM zu erhalten und für die Instandsetzungsarbeiten der Überbrückung und der Ufermauer des Falkeplatzes zu erlangen. Im Juli 1933 war die neue Chemnitzbrücke fertiggestellt und der Straßenbahnverkehr lief wieder normal.
Nur mit diesen Mitteln und den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen war es schließlich gelungen, den Platz zu erhalten, dem auch der bald folgende 2. Weltkrieg wenig anrichten konnte.
Fortsetzung im folgenden Beitrag: „Die Chemnitz kommt ans Licht“
(Quellen: Verwaltungsberichte der Stadt Chemnitz für 1912 und 1914, „Straßenbahnen in Karl-Marx-Stadt“ 1988 – Buch von Heiner Matthes; u.a. Tageszeitungen zu finden unter SLUB-Dresden.de)