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Das Heroldhaus

    Das imposante Gebäude an der Zwickauer Straße / Ecke Reichsstraße dürfte vielen Chemnitzern bekannt sein. Es beherbergt heute Abteilungen des Landesamtes für Familie und Soziales. In früheren Zeiten war das Gebäude der Sitz der Staatlichen Versicherung der DDR (SV).

    Planausschnitt der Nikolaivorstadt 1874 – rot umrandet die Fabrikanlagen von Theodor Peters

    Wenig dürfte aber zur Geschichte bekannt sein, ich möchte das Objekt und den Standort näher vorstellen.

    Seit 1810 befand sich auf dem Gelände die chemische Fabrik von Gotthelf August Peters. Sie galt als eine der ersten chemischen Fabriken Sachsens. In dieser Zeit gründete Peters auch die erste Badeanstalt für Chemnitz und Umgebung, das „Peters Bad“.

    1851 übernahm sein Sohn, Theodor Peters, nach Abschluss seiner pharmazeutischen Ausbildung die Fabrik und beschäftigte sich mit der Herstellung verschiedener chemisch-technischer Produkte. 1854 gründete er mit weiteren Partnern die Firma „Duvernay, Peters & Co.“, die sich auf die Herstellung von Farben zur Wollveredelung spezialisierte. 1859 errichtete Theodor Peters dann ein größeres Fabrikgebäude, postalisch noch Zwickauer Str.26 in der damaligen Nicolaivorstadt, in der über Jahrzehnte hinweg Anilinfarben für die Textilindustrie hergestellt wurden. Peters war später Kommerzienrat sowie Präsident der Handels- und Gewerbekammer und gehörte zu den Pionieren der synthetischen Farbenfabrikation in Deutschland. Er starb 1905, sein Sohn Wilhelm August Peters führte das Geschäft bis 1930 fort. Bei Nennung des großen Konzerns I.G. Farben darf man auch die Chemnitzer Familie Peters nicht vergessen. Freilich hatten die großen westdeutschen Werke das lokale Unternehmen bald überflügelt, und nach dem ersten Weltkrieg übernahm dieser Konzern auch einen Teil der Fabrikationsrechte.

    Die Grundstücke kamen 1932 in fremde Hände, und ein Versicherungsunternehmen erwarb sie dann im Jahr 1935. In Verhandlungen zwischen dem Oberbürgermeister von Chemnitz und dem Bauherrn gelang es, an dieser Stelle eine städtebauliche Lösung zu finden, die sowohl verkehrstechnische als auch architektonische Belange großzügig berücksichtigte. Im Frühjahr 1936 begannen sofort die vorbereitenden Arbeiten mit dem Abbruch der alten Fabrikanlagen. Die Fabrikruinen, die bald ein Jahr lang die Gegend beeinträchtigten, waren alsbald verschwunden, damit ein Teil Geschichte der Nicolaivorstadt und der Stadt Chemnitz.

    Die Kreuzung im Stadtbild um 1940

    1937 entstand in der kurzen Bauzeit von nur 137 Tagen an der Zwickauer/Ecke Friedrich-Schlegel- Straße – so hieß die Reichsstraße von 1937 bis 1945 – ein Verwaltungsgebäude im Stil der „Reichsarchitektur“, einer dem Klassizismus nachempfundenen Gestaltungsform, für die Volks- und Lebensversicherungs-Gesellschaft „Deutscher Herold“, jetzt postalisch Zwickauer Straße 46-48.

    Mit der Errichtung des architektonisch ansprechenden Gebäudes hatte die Straßenkreuzung ein wesentlich anderes Bild bekommen. Aus verkehrstechnischen Gründen ließ die Stadt gleichzeitig den längs des Neubaus fließenden Kappelbach überbrücken. Durch diese Überwölbung wurde für die verkehrsreiche Kreuzung viel Raum gewonnen.

    Besonders erwähnt werden muß, daß beide Bauvorhaben wesentlich zur Arbeitsbeschaffung in dieser Zeit beigetragen haben. Auf dem Bau fanden während einiger Wochen bis zu 200 Arbeiter Beschäftigung. Insgesamt wurden 51 000 Tagewerke von Facharbeitern und etwa 18 500 Tagewerke von Hilfsarbeitern geleistet.

    Das Äußere des Gebäudes mit seiner klaren symmetrischen Aufteilung, den rhythmischen Fensterachsen und der großen ruhigen Dachfläche gab dem ganzen Bauwerk eine besondere Note, die architektonische Hervorhebung der im Erdgeschoß liegenden Geschäftsräume wurde durch eine Sandsteinverblendung noch besonders unterstrichen. Im Hof wurden Grünflächen angelegt und einige Laubbäume gepflanzt. Das Innere des Neubaus war zweckmäßig aufgeteilt. Im Erdgeschoss befanden sich die Büro- und Verwaltungsräume der Versicherungsgesellschaft sowie eine Hausmeisterwohnung, in den Obergeschossen 28 Wohnungen mit allen modernen technischen und hygienischen Einrichtungen der Zeit. Das Stadtbild von Chemnitz hatte mit der Fertigstellung des Neubaus im Oktober 1937 eine wirkungsvolle Bereicherung erfahren, denn er dominiert seither die Auffahrt zum Kaßberg.

    Beim Luftangriff auf Chemnitz am 5. März 1945 wurde das Gebäude getroffen und brannte vollständig aus, eine Ruine blieb, nur die Außenmauern standen noch.

    Annonce 1950 – schon ist die VAS im Gebäude eingezogen

    1949 genehmigte der Rat der Stadt Chemnitz den „Wiederaufbau des Heroldhauses Zwickauer Straße 46-48 für die Versicherungsanstalt des Landes Sachsen (VAS)“, und bereits ab 1950 herrschte hier erneut geschäftiges Treiben. Eingezogen war die Filialdirektion der VAS, jetzt postalisch Reichsstraße 3. Später wurde es die Staatl. Versicherung der DDR, Bezirksverwaltung Karl-Marx-Stadt.

    Nach dem Tod des Chemnitzer Oberbürgermeisters 1960 wurde die Reichsstraße in „Kurt-Berthel-Straße“ umbenannt, bis sie 1990 wieder ihren alten Namen erhielt.

    Als mit dem Ende der DDR die Staatliche Versicherung von der Allianz-Versicherung übernommen wurde, stellte der Deutsche Herold einen Antrag auf Rückübertragung, die Immobilie wurde jedoch von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG) weiter verwaltet. Nachdem die TLG es sechs Jahre lang nicht schaffte, das Gebäude loszuwerden, ging es mit dem Vermerk „nachhaltig defizitär“ an das Bundesvermögensamt. Dort hatte man mehr Erfolg. Das Gebäude gehört seitdem der „Eigentümergemeinschaft Reichsstraße 3“. Die erhielt den Zuschlag, als im Jahr 2000 das Staatliche Vermögens- und Hochbauamt (SVHA) ein geeignetes Objekt für das Landesamt für Familie und Soziales suchte, deren damalige Unterbringung als unzureichend galt.

    20 Firmen aus Chemnitz und Umgebung waren an der Renovierung 2000-2001 beteiligt. Die Fassade wurde denkmalgerecht saniert, ebenso wurde das ursprüngliche Spitzdach aus der Vorkriegszeit wiederhergestellt und zusätzlich Gauben eingebaut. Am 30. Juni 2001 waren die Arbeiten abgeschlossen und das Gebäude bezugsfertig.

    Heute ist hier der Kommunale Sozialverband Sachsen Außenstelle Chemnitz zu finden.

    (Quellen u.a.: Artikel vom Oktober 1936 im Chemnitzer Tageblatt; in der Freien Presse im Juni 2001; Broschüre 5 Jahre demokratischer Aufbruch 1950, Bilder aus der Sammlung Chemnitzer Hobbyhistoriker)