Es galt lange Zeit als eines der Ehrwürdigsten der Stadt. Der älteste Teil daran, aus dem Jahre 1559 stammend, das Judith-Lucretia-Portal, habe ich Euch bereits vorgestellt. Das Patrizierhaus aus dem 16.Jahrhundert blickt auf eine interessante Geschichte zurück. Lange Zeit der Kaufmannsfamilie Neefe gehörend, beherbergte die Unterkunft ab 1815 hohe und höchste Gäste unserer Stadt.
Merten Groß, Tuchmacher und -händler, der Mitte des 16. Jahrhunderts einer der reichsten Bürger von Chemnitz war, lies das Haus gegenüber des alten Rathauses um 1552 errichten. Bis mindestens 1579 in dessen Besitz, werden ab 1583 Agricolas Erben als Besitzer erwähnt, ehe es 1589 in die Hände von Paul Neefe übergeht. Um das Jahr 1686 gehört es Theodor Neefe, ihm folgen Johann Adolph (seit 1702), Johann Wilhelm Christoph (seit 1763), Johann Christian August Neefe, Kaufmann. Er ist am 3. Oktober des Jahres 1803 als letzter Grundstückseigentümer der Familie Neefe eingetragen worden. Die Familie Neefe, deren Mitglieder sich auf verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens ehrenvoll betätigten, erwarben Ruhm als Ärzte und Rechtskundige und leiteten seit dem 16. Jahrhundert lange Zeit hindurch als Bürgermeister oder Ratsmänner die Geschicke unserer Stadt.
Im Juli 1815 eröffnete dann Johann Gottfried Schilling nach zähen Verhandlungen und Einwänden der Chemnitzer Wirte in dem geräumigen Bürgerhaus das erste Hotel der Stadt und nannte es „Zum Römischen Kaiser“, Adresse Markt 20. Es galt im 19.Jahrhundert als Vornehmstes der Stadt Chemnitz.
Damit begann die Einkehr vieler hoher und bekannter Gäste in seinen Mauern. Die meisten der Gäste aus der vornehmen Welt gehörten der Familie des sächsischen Herrscherhauses oder ihrem Verwandtenkreise an. Da kehrte am 9. August 1815 die Prinzessin Kunigunde von Sachsen und die verwitwete Herzogin von Zweibrücken, Schwester des damaligen Königs, nebst zahlreichem Gefolge auf ihrer Reise nach Dresden hier ein. Dabei waren die Tore, durch welche die Herrschaften ein- und ausfuhren, mit Blumengebinden und frischem Grün verziert.
Großen Jubel gab es im Jahre 1818, als die 3 sächsischen Prinzen Friedrich August, Klemens und Johann am 28. Mai im „Kaiser“ abstiegen und dann von hier aus u. a. die Beckersche Fabrik besichtigten. Als nächsten Eigentümer des Hauses finden wir um 1822 einen Hr. Küstner erwähnt.
Im Oktober 1827 traf König Anton in Chemnitz ein, wohnte hier, und ließ sich die Behörden vorstellen und hielt auch Tafel daselbst ab.
Eine größere Reisegesellschaft sah der Gasthof am 8. Juni 1830. Damals wohnten in ihm die regierende und die verwitwete Großherzogin von Toskana und drei junge Prinzessinen nebst Gefolge. Dazu kamen die sächsischen Prinzen Maximilian, Friedrich und Johann, die der Gesellschaft bis Lungwitz entgegengeritten waren und hier gemeinsam übernachteten. Am anderen Morgen nahmen die hohen Herrschaften den Bau der neuen Bürgerschule in Augenschein und reisten nach Pillnitz weiter.
Von besonderer Bedeutung war die Anwesenheit eines Mitgliedes des Königlichen Hauses, des Prinzmitregenten Friedrich August, nach den Unruhen des Jahres 1830. Unter dem Geläut der Glocken hielt er seinen Einzug in den „Kaiser“, vor dem die Kommunalgarde aufgestellt war, in dem der Prinzregent die Behörden der Stadt und Abordnungen aus den Dörfern empfing.
Im Jahre 1833 verlegte auch die Post ihre Passagierstube in das Haus. Die Postkutschen hielten auf dem Markt, die Wartenden und Ankommenden fanden im hier oder auch im „Blauen Engel“ gleich nebenan entsprechende Einkehr.
Am 21. April des Jahres 1833 kehrte die bayerische Prinzessin Maria, Braut des Mitregenten Friedrich August, im „Römischen Kaiser“ ein, unter dem festlich geschmückten Eingange durch Mädchen und durch den Amtshauptmann feierlich begrüßt.
Im Jahre darauf, am 6. Mai 1834, beehrte Maria, diesmal aber an der Seite ihres Gemahls, wieder das Haus. Beide waren auf der Rückreise nach Dresden begriffen, blieben aber einige Zeit hier und besuchten von ihrem Absteigeort aus Fabriken, die Bürgerschule an der Theaterstraße und das Kasino. Dieselben Herrschaften wohnten am 8. September 1838 als König und Königin im „Römischen Kaiser“. Sie sahen von den Fenstern des Hauses aus einen Fackelzug sich zum Viereck aufreihen.
Um diese Zeit gehörte das Haus Herrn G.H. Heumann, den wir bis 1847 in den Adressbüchern als Eigentümer finden.
Die Sächsischen Könige Johann, Albert, Georg und Friedrich August — alle sind sie hier eingekehrt, bald allein, bald mit Begleitung aus der Familie, die meisten auch schon als Prinzen des Königlichen Hauses.
Mit der Erstellung des Brandkatasters 1844 wurde aus dem Haus jetzt die Adresse Markt 15. Friedrich Anton Eichhoff führte ab 1847 das Hotel bis 1857 und konnte im Jahre 1852 vom 4.-9. Oktober zur Manöverzeit König Friedrich August und Prinz Johann hier empfangen. Am 22. August 1853 konnte Kronprinz Albert mit seiner jungen Gemahlin Carola von Wasa im Hause Markt 15 begrüßt werden.
Den König Johann sah der „Römische Kaiser“ als Landesherrscher zum ersten Male im Jahre 1855 vom 23. bis 26. und am 30. August, als der Fürst auf der Huldigungsreise begriffen war. Dann kam Johann 1858 am 27. August, 1860 am 31. Juli, 1863 am 2. September, 1867 am 24. Juni und 1868 am 6. September wieder.
König Albert übernachtete vom 29.Juni bis zum 1.Juli 1874, am 10. und 11. Juli 1880, vom 25. bis 27. Juli 1885, vom 11. bis 15. September 1890 und am 13. Juni 1893 im „Römischen Kaiser“, in den Jahren 1874 und 1890 von der königlichen Gemahlin begleitet.
Weitere Besitzer des Hauses waren ab 1858 Gustav Buschmann, ab 1871 Georg Ruff und schließlich 1881 Emil Hartenstein, der auch die Weinhandlung im Nachbarhaus eröffnete. 1885 wurde der Kaufmann Tonndorf, bis dahin auch Mitbesitzer von Hartensteins Weinhandlung, alleiniger Besitzer, lässt aber die Weinhandlung unter dem bisherigen Namen weiterlaufen. Er kaufte gleichzeitig das Eckhaus zur Bretgasse und erweiterte das Hotel. In der 1. bis 3. Etage der Häuser Markt 14 und 15 finden wir ab jetzt Gasträume des „Römischen Kaisers“. Mit seiner Ehefrau, die als Betreiberin des Hotels die nächsten Jahre geführt wird, wurden weiter hochrangige Gäste begrüßt.
Zum Beispiel General Prinz Georg und weitere Kommandierende der Sächsischen Armee , die am 29.August 1898, nach den Manöverbesichtigungen im Hause einkehrten. König Georg durften sie dann am 10. und 11.September 1902 die gastlichen Tore öffnen, nachdem derselbe Herr als Prinz kurz vorher, zur Manöverzeit des Jahres 1900, und zwar vom 6. bis 8. September hier über Nacht geblieben war.
Als Würdigung des Königshauses hing seit dem Jahr 1902 über der Tür das Wappen mit dem Rautenschild, gehalten von zwei Löwen und unterschrieben mit dem Wettiner-Sinnwort: Providentiae memor. (Der Vorsehung eingedenk – Devise der Sachsen, die an die Verteidigung des Landes im Krieg 1806 erinnern sollte). Der Wirt Joh. Arnold Franz Schunke (seit Ende 1897) durfte sich zudem Königlicher Hoflieferant nennen.
Auch manch anderer hochgestellter Gast ist durch das Tor des Hauses geschritten. Erinnert sei an den Generalfeldmarschall Moltke, der im Jahre 1876 im „Kaiser“ abstieg und vom 20. bis 22. August mit Offizieren vom Großen Generalstab hier wohnte. Am 11. November 1900 begegnet uns in der Fremdenliste des „Römischen Kaisers“ u. a. der Name des Staatssekretärs von Podbielski. Aus der Reihe der Gäste fremder Herkunft erwähne ich den damaligen Kronprinzen, späteren König Carlos von Portugal, der Anfang September des Jahres 1883 den „Römischen Kaiser“ als Absteigequartier benutzte. Der Landesherrscher König Friedrich August, ist am 1. und 2. März des Jahres 1905 und am 10. und 11. April 1907 Gast des Hauses gewesen.
Mit Stolz konnte so das Haus auf seine Vergangenheit zurückblicken. Auch in manch anderer Hinsicht war es von Bedeutung für das Leben unserer Stadt geworden. Hier wurde im Jahre 1816 die angesehene Gesellschaft „Harmonie“ gegründet; hier tagte in den 1820er Jahren der erzgebirgische ökonomische Kreisverein; hierher wurden andere wichtige Versammlungen berufen; hier wurde manch fröhliche Hochzeit gefeiert; hier kam manches Geschäft auf Lieferung Chemnitzer Gewerbeerzeugnisse zum Abschluß — und was man sonst noch aufzählen könnte.
Ab 1906-1919 finden wir Auguste Ernestine Hecht, Ehefrau, als Hausbesitzerin verzeichnet. 1908 endet schließlich der Geschäftsbetrieb des Hotels mit 40 Zimmern. Ein großes Kapitel ging zu Ende.
Bis 1909 wurden die beiden Häuser komplett umgebaut, im Erdgeschoß entstanden neue Läden, das Lucretia-Portal wurde an die Westseite des alten Rathausturms versetzt. Die Fassade behielt den alten Schriftzug, der weiterhin das Marktbild prägte. In den oberen Etagen entstanden Büros und Praxen. Erster Mieter war u.a. der Chemnitzer Automobilclub. Einzig die Weinhandlung mit Weinstube blieb erhalten.
1920 wurde die Kammerlichtspiele GmbH unter ihrem Direktor Leo F. Spelthahn Besitzerin der beiden Häuser, die ab April 1922 in die „Römischer Kaiser“ Hotel- und Theater AG überführt wurde. Aktien der neugegründeten Gesellschaft blieben jedoch in festem Besitz und wurden nicht gehandelt.
Ein Ereignis brachte das Gebäude noch einmal in die Schlagzeilen. Am 23. Januar 1921 brannte der Dachstuhl der beiden Häuser Markt 14 und 15. Die AG renovierte die Häuser erneut, entkernte den Hofbereich und errichtete bis Anfang 1925 die Kammerlichtspiele, ein großes Kino, das selbst in einem eigenen Beitrag betrachtet wird. Erst 1929 öffnete nebenan in der Bretgasse 2 wieder ein „Römischer Kaiser“ als Schankwirtschaft unter der Führung von Oscar Born seine Türen.
Die ganze Häuserreihe am Markt wurde leider 1945 zerstört. Zeugnisse einer wechselvollen Geschichte verschwanden für immer.
(Quellen u.a.: Bericht im Chemnitzer Tageblatt vom 1. Januar 1909, Adressbücher der Stadt Chemnitz – zu finden unter SLUB-Dresden.de)