Zum Inhalt springen

Oskar Freiherr von Kohorn zur Kornegg

    Einen wenig bekannten, jedoch geschäftstüchtigen Chemnitzer Unternehmer mit gesellschaftlichem Engagement und wirtschaftlichen Spürsinn möchte ich Euch in diesem Beitrag vorstellen.

    Als Sohn des Likörfabrikanten Markus Kohorn und seiner Frau Charlotta wurde er am 12.Oktober 1882 in Drmoul (Dürrmaul bei Marienbad /Tschechien) geboren. Was ihn bewegte, ein ganz anderes Metier zu lernen und nach Chemnitz überzusiedeln, werden wir nicht mehr in Erfahrung bringen können.

    Die ersten Spezialkenntnisse erwarb er durch ein Studium an der Chemnitzer Höheren Webschule, Logenstraße 28. Der 24jährıge Oskar Kohorn begann seine Chemnitzer Unternehmerkarriere im Jahre 1906 als Angestellter bei dem halbjüdischen Unternehmen Bachmann & Ladewig in der Straßburger Str.32. Diese renommierte Teppichfabrik gab genügend Spielraum für Unternehmerinitiative und zum Erwerb kaufmännischer Fähigkeiten. Sie stand in Chemnitz konkurrenzlos da. Auch in der Öffentlichkeit hatte diese Firma durch humanitäre Stiftungen einen guten Ruf. Auch ist anzunehmen, daß während dieser Zeit eine familiäre Freundschaft zur ebenfalls jüdischen Familie Göritz entstand. 1909 zieht Oskar Kohorn mit der Berufsbezeichnung Webereidirektor auf die Treffurthstraße 5.

    Siegmund Göritz kaufte 1909 die Grundstücke der ehemaligen Eisengießerei Uhlig an der Zwickauer 106-108, lies die alten Fabrikanlagen teilweise niederreisen und errichtete im selben Jahr einen vierstöckigen Neubau, den wir heute noch gegenüber des Industriemuseums finden. Erster Mieter war die „Chemnitzer Teppichfabrik Oscar Kohorn“, die am 14.12. 1909 ins Handelsregister eingetragen wurde. Gegenstand des Unternehmens war die Herstellung von Bouclé (Haargarn)-Teppiche, Marke „Hohenzollern“, die bis dahin in Deutschland wenig bekannt waren. Auf ca. 1.200 m² Fläche arbeiteten die anfänglich 25 Angestellten der Fabrik mit 10 Webmaschinen und den nötigen Hilfs- und Vorbereitungsapparaten. Mit der steigenden Nachfrage nach diesen neuartigen, haltbaren und schönwirkenden Teppichen ging die Vermehrung der Betriebs- und sonstiger Maschinen Hand in Hand.

    1913 waren ca. 100 Arbeiter und Arbeiterinnen, sowie 11 technische und kaufmännische Angestellte vorhanden, an die über 60.000 Mark an Löhnen und Gehältern gezahlt werden. Die Größe der Produktionsfläche war auf 3.000 m² angewachsen, der Maschinenpark auf 26 Webmaschinen, 2 Schlicht- und Appreturmaschinen, 5 Spul- und Kopsmaschinen erweitert worden. Belief sich die erste Jahresproduktion auf ca. 120.000 Mark, so erreichte sie 1913 das Fünffache, und zwar 600.000 Mark.

    Zwischenzeitlich erfolgte am 10.05.1912 die Umbenennung Firma in „Chemnitzer Teppichfabrik Oscar Kohorn & Co.“ Als Gesellschafter war sein Vetter Kaufmann Paul Oswald Pollak hinzugekommen, der aber 1916 wieder ausschied. Zusätzlich finden wir ab 1915 die von ihm gegründete Deutsch-Österreichische Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung auf der Zwickauer Str.108.

    Rückansicht der Villa Oscar Freiherr von Kohorn zu Kornegg

    Nach dem er also die wirtschaftliche Grundlage für eine bürgerliche Ehe geschaffen hatte, heiratete O.Kohorn am 22. Juni 1912 in Chemnitz die aus Wien stammende gleichaltrige Valerie Wirth. Am 25.Oktober 1913 kommt der erste Sohn, Heinz Horst Eduard, zur Welt, am 14.Dezember 1919 der 2.Sohn, Rolf Stephan. Seine Wohndomizile hatte er seit Ende 1910 auf dem Kaiserplatz 19 und ab 1913 auf der Roonstraße 35. Im April 1917 erwarb er die prächtige Villa auf der Parkstraße 35 vom Kaufmann Friedrich August Hempel. Sie steht auch heute noch, ohne die ehemals großzügige Parklandschaft mit Swimmingpool und eigenen Tennisplatz, und trägt seinen Namen: Villa Oscar Freiherr von Kohorn zu Kornegg.

    Weiter zum Geschäftlichen. Nicht nur in Deutschland fand man in allen großen Teppichausstellungen die prächtigen Bouclé-Teppiche, sie wurden auch nach der Schweiz, Dänemark, Schweden ‚ Niederlande, Amerika, Japan, Österreich-Ungarn, Italien usw. exportiert. Das Unternehmen unterhielt ständige Vertreter in Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt, Breslau, Kopenhagen, Amsterdam, Wien, Zürich, Mailand und New York. Oskar Kohorn setzte alles daran, einen internationalen Absatzmarkt für seine Produkte zu schaffen. Er unternahm mehrwöchige Auslandsreisen, oft war er in Österreich zu Gast, 1918 auch ins neutrale Schweden. Man kann annehmen, daß Oskar Kohorn bei seinen Reisen auch diplomatische Verbindungen knüpfte. Im Juni 1918 erhielt er in Wien vom Österreichischen Kaiser Karl den Titel „Kaiserlicher Rat” verleihen. Der Herzog Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha erhob ihn zudem im November des gleichen Jahres in den Freiherrenstand der Herzogtümer Coburg-Gotha samt seiner ehelichen Nachkommenschaft. Seitdem hieß er Oskar Freiherr von Kohorn zur Kornegg und erhielt dazu den Titel eines Barons.

    Haus Waldesruh in Dönschten bei Schmiedeberg


    Rohstoffmangel während des 1.Weltkrieges und Stagnation in der Wirtschaft, zwangen Kohorn zur Stilllegung seiner Teppichfabrik. Anfang der 20er beschäftigte er sich zunehmend mit einem neuen Industriezweig. 1922 findet man die Firma Oskar Kohorn & Co., Zwickauer Str.108 im Adressbuch. Spezialität: Komplette maschinelle Anlagen zur Kunstseidenfabrikation. Damit hatte er eine Marktlücke entdeckt. Kohorn entwickelte eigene Textilmaschinen zur Fabrikation der Kunstfaser, lies seine Erfindungen patentrechtlich schützen. Schon bald gab es internationale Aufträge.

    Seine soziale Ader erkennen wir in seiner 1922 gegründeten Stiftung. Er kaufte das Haus Waldesruh in Dönschten bei Schmiedeberg und lies es zu einem Heim mit einem Schlafsaal für 60 Kinder, einen geräumigen Spiel- und Turnplatz, eine Liegehalle, einen großen Garten und ein Planschbecken ausbauen. Dort entstand das erste Erholungsheim für Chemnitzer Kinder und Jugendliche. Jürgen Nitsche berichtet dazu in seinem Buch „Juden in Chemnitz. Die Geschichte der Gemeinde und ihrer Mitglieder“ und zitiert Kohorn in der Stiftungsurkunde: „Um der durch die Entbehrung des Krieges und der Nachkriegszeit in ihrer Gesundheit gefährdeten Jugend der Stadt Chemnitz ein Heim in Licht, Luft und Sonne als nie versagende Quelle von Kraft und Gesundheit zu schaffen, stifte ich hiermit der Stadt Chemnitz dasjenige Kapital, welches notwendig ist, den jetzigen Gasthof Waldesruh in Dönschten bei Schmiedeberg, Bezirk Dresden, käuflich für die Stadt zu erwerben und zu dem vorerwähnten Zweck einzurichten […] Mein Wunsch ist es, daß dieses Heim der erholungsbedürftigen Jugend aller Kreise unserer Chemnitzer Bevölkerung ohne Rücksicht auf Stand, Partei und Glauben der Eltern offen steht.“

    Ein Grundstock dazu wurde auch in Chemnitz gelegt, mit der Errichtung neuer Fabrikanlagen im Stadtteil Altchemnitz. Bei der Erschließung des Industriegebietes wurde auch der Bau einer Straße notwendig. Sie erhielt 1922 den Namen „Kauffahrtei“ – eine aus dem Mittelalter stammende Bezeichnung für Handel. Die Gebäude der Großeinkaufs-Gesellschaft Deutscher Konsumvereine, entworfen übrigens auch von keinem Geringeren als Erich Basarke, waren 1922 bereits im Bau. Kohorn sicherte sich das große Grundstück südlich daneben, das bis zum Mühlgraben reichte.

    Dort errichtete er bis zum Jahre 1924 seine neue Teppichfabrik. Die Gebäude des Betriebsgeländes wurden durch die Architekten Naumann und Kalitzki entworfen. 1922 wurde der Bauantrag für das Fabrikgebäude, ein Sheetbau, mit Lagerschuppen gestellt, dazu kamen ein Kesselhaus mit Schornstein, 1923 eine Färberei. Durch streikbedingte Unterbrechungen kommen die Bauarbeiten verzögert zum Abschluß, das notwendige Kesselhaus zur Wärme- und Energieerzeugung wird am 29.2.24 durch die Deutsche Dampfkesselgesellschaft abgenommen. 1924 kommt eine Werkstatt, 1925 ein Versandgebäude hinzu.

    1926 stellte der Baron von Kohorn einen Teil seines Grundstückes dem Tennisklub Chemnitz 1926 e.V. zur Errichtung von 3 Tennisplätzen und eines Clubhauses zur Verfügung.

    Firmensitz der Kohorn‘schen Unternehmungen bleibt weiter die Zwickauer Str. 108. Erst 1927 finden wir die „Oscar Kohorn & Co. Maschinenfabrik“ am neuen Standort Kauffahrtei 31.

    Aus dieser Zeit stammen auch die gesammelten Bilder, die mir netterweise von Hobbyhistorikern zur Verfügung gestellt wurden.

    Über den Chemnitzer Großindustriellen gibt es noch einiges zu berichten, demnächst mehr dazu.

    (Quellen: u.a. Stadt-Anzeiger Chemnitz 04-05/1991. Oskar Freiherr von Kohorn zu Kornegg und seine Chemnitzer Unternehmen; Museumskurier des sächsischen Industriemuseums Hefte 41+42/2018; Chemnitzer Teppichfabrik Oscar Kohorn Chemnitz in: Die deutsche Industrie. Festgabe zum 25jährigen Regierungsjubiläum seiner Majestät des Kaisers und Königs Wilhelm II. Berlin 1913, Chemnitzer Adressbücher zu finden unter SLUB-Dresden.de, Akten im VW-Motorenwerk)