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Die Postpferde gehen in den Ruhestand

    Postpferdewagen vor dem Hauptpostamt um 1905

    Vor der Dominanz der Eisenbahn und des Automobils war das Pferd die einzige zuverlässige „Antriebsquelle“ an Land. Die Postverwaltungen (in Deutschland vor allem die Deutsche Reichspost ab 1871) unterhielten ein dichtes Netz von Routen, die von Pferdewagen bedient wurden. Diese Wagen transportierten nicht nur Briefe, sondern auch Pakete, Zeitungen, Geld und oft auch Personen (in den berühmten Postkutschen).

    Mit der Industrialisierung und dem Ausbau des Eisenbahnnetzes wuchs natürlich auch der Warenaustausch allerorten, was zu einem Anstieg des Handelsvolumens führte. Hierbei übernahmen die Postpferdewagen eine entscheidende Rolle. Es handelte sich dabei weniger um die romantisch verklärten Postkutschen, sondern vielmehr um robuste, geschlossene ein- bzw. zweispännige Paketzustellwagen. Ihre Aufgabe war klar definiert: Sie bildeten das logistische Bindeglied zwischen dem Fernverkehr per Eisenbahn und der Zustellung vor Ort. Nach einem strengen Fahrplan pendelten die Pferdewagen zwischen den Bahnhöfen/Güterbahnhöfen und dem städtischen Hauptpostamt oder brachten die Sendungen zu den Stadtteilpostämtern und umgekehrt. Ferner gehörte zu Ihren Aufgaben die Beförderung von Paket- und Briefposten nach und von umliegenden Orten. Auch das Abholen von großen Paketmengen bei Firmen gehörte zu den Verbindlichkeiten der beauftragten Kutscher. Bis in die späten Abendstunden waren sie unterwegs.

    Die letzte Fahrt 1925 – noch einmal haben die Postillione ihre Uniform angelegt. Links bereits ein neuer Kraftwagen

    Die letzte Tour

    Anlässlich der letzten Fahrt eines Postpferdewagens am 30. Juni 1925 möchte ich Euch einen Rückblick präsentieren. Nach der Einführung des Postkraftwagenbetriebs in jenem Jahr fuhr am Dienstagabend um 18 Uhr der letzte Postwagen aus dem alten Tor an der Chemnitzer Straße des Hauptpostamtes. Die Postillione hatten noch einmal volle Paradeuniform angelegt, die Pferde trugen, mit Rosen geschmückt, die alten Geschirre aus der Zeit von 1866. Der Wagen wurde auf den Straßen, die er durchfuhr, überall auf das Freudigste begrüßt und hinterließ einen wehmütigen Eindruck, so in einem Zeitungsartikel Anfang Juli beschrieben.

    Gleichzeitig wurde die seit ca. 1834 in der Aue bestehende Posthalterei aufgelöst, auf deren Geschichte ich hier, fortführend auf die erschienenen Artikel Das Chemnitzer Postwesen in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts“ und „Das neue Postamt und seine Filialen“, eingehe.

    Die Posthalterei und ihre Standorte

    Das Grundstück der Posthalterei befand sich seit 1818 am Rossmarkt und seit ca. 1834 rechtsseitig in der Aue (von der Poststraße gesehen). Mehrfache Umnummerierung macht die Lokalisierung schwer, erst seit 1840 ist sie im Adressbuch zu finden. Vorher war sie bis 1838 der Posthalterei am Rossmarkt 316/317 zugeordnet.

    Während des Ersten Weltkrieges übernahmen Frauen ersatzweise den Zustelldienst

    Chronologisch diese Aufstellung dazu:

    1838: Hausnr. 581 – Advokat Nanjie

    1840: Hausnr. 581 – Aue 7 – Neue Brandkat.Nr. 972 – Posthalter Stengel

    1857: Aue 7 – Brandkat.Nr. 972 – Neue Fol.Nr. 1290 – Posthalter Stengel

    1860: Aue 28 – Fol.Nr. 1290 – Posthalter Stengel

    1866: Aue 28 – Fol.Nr. 1290 – Posthalter Stengel – G.A. Wolle – Posthaltereiverwalter

    1873: Tod Stengels – Übernahme durch den Schwiegersohn Linus Bruno Heymann, gleichzeitig Pächter des Rittergutes Lichtenwalde.

    1877 erfolgte die offizielle Verlegung der Posthalterei nach Aue 5 – seitdem waren nur noch Pferdeställe (für bis zu 120 Pferde) und Wagenschuppen hier untergebracht, nach dem Ersten Weltkrieg belief sich die Zahl derer noch auf 63, davon waren 50 Pferde regelmäßig im Dienst. Im Hintergebäude hatte die Schmiede der Posthalterei, die aufgrund des hohen Pferdebestandes stets viel zu tun hatte, ihre Werkstatt. 1905 dann der Abriss der alten Stall- und Wirtschaftsbauten, auf dem Grundstück entstanden anschließend das neue Leihamt und die Städt. Hauptfeuerwache.

    Bereits vor 1855 erwarb der Posthalter Stengel ein linksseitiges Grundstück in der Aue vor dem Gesellschaftshaus Eintracht:

    1855: Aue 8b – Brandkat.Nr. 973b – Postmeister Stengel

    1857: Aue 9 – Brandkat.Nr. 974 – Neue Fol.Nr. 1565 – Posthalter Stengel

    1860: Aue 5 – Fol.Nr. 1565 – Postmeister Stengel

    1866: Aue 5 – Fol.Nr. 1565 – Pferdestall & Holzschuppen

    1878: Aue 5 – Fol.Nr. 1565 – L. B.Heymann, Posthalterei – Rich. Hennig, Oecon. Verwalter

    1893: Aue 11- Fol.Nr. 1565 – L. B.Heymann, Posthalterei – Rich. Hennig, Posthalterei-Inspector

    Auf diesem bis an den Chemnitzfluß reichenden Grundstück an der Aue 11 gab es einen langen Hof, beiderseits dieses Hofes waren Pferdeställe und die Wagenremisen untergebracht. Über den Ställen im linken Hintergebäude waren zwei Aufenthaltsräume und drei Schlafräume, denn die zumeist ledigen Postillione schliefen ausnahmslos mit in der Posthalterei. In den anderen Gebäuden waren die Remisen mit der Wagenschmiede untergebracht, darüber die Futterböden.

    Etwas zurückgesetzt von der Straße, stand quer zum Hof das erst um 1900 erneuerte, zwei Stock hohe Hauptgebäude. In diesem befand sich Parterre das Kontor sowie die Sattlerei und im 1. Stock wohnte der jeweilige Inspektor.

    Am 23. Juni 1906 starb der Posthalter Linus Bruno Heymann, worauf für kurze Zeit seine Witwe, Wilhelmine Sophie Heymann (geb. 1829, verst. 1929) als Posthalterin tätig war. Ihr zur Seite stand der Inspector Albert Lehmann. Der Sohn Curt Heymann übernahm ab 1908 den Betrieb der Posthalterei bis zum Ende 1925. Die Inspektoren Franz Hermann Heberlein (bis 1910), Georg Maximilian Striegler (bis 1924) und sein Neffe Werner Voigt (1924-1925) übernahmen die weiteren Aufgaben in der Posthalterei.

    Die Posthalter hatten in diesen Jahren für die Beschaffung und Unterhaltung der Stallungen, Wagenschuppen und Futterböden etc. der Posthalterei selbst zu sorgen. Die Gepäck- und Briefbeförderungswagen werden zum größten Teil für Rechnung der Postkasse eingestellt und unterhalten. Die aufgezählten Verwalter und Inspektoren wohnten mit ihren Familie stets direkt mit in der Posthalterei. Sie übernahmen die Aufsicht über die Postillione, Geschirrführer und Pferde, erledigten auch die schriftlichen Angelegenheiten für die Durchführung aller Dienste. Aber auch viele weitere fleißige Händen halfen, den Betrieb aufrecht zu halten. Da gab es Wagenmeister, Schirrmeister, Futtermeister, Postwagenreiniger, Spengler, Schmiede, Sattler, dazu entsprechende Gesellen. Sogar ein Straßenkehrer wohnte in unmittelbarer Nähe, denn die Vielzahl der Pferde hinterließen nicht nur auf dem Gelände, sondern auch auf der Straße zu Ihrem Einsatzort auf der Poststraße im Postamt 1 ihren Mist.

    Mehr als die Hälfte der Wohnhäuser und sonstigen Gebäude des Flurstückes Aue fielen noch kurz vor dem Ende des zweiten Weltkrieges im Jahr 1945 anglo-amerikanischen Luftangriffen zum Opfer. Die Gebäude Aue Nr. 11 waren nach Beseitigung von Brandschäden im Wesentlichen noch bis Anfang der 1990er Jahre vorhanden.

    Der Wendepunkt: Die „Kraftpost“ übernimmt

    Der Zeitraum nach dem Ersten Weltkrieg markiert den entscheidenden Wendepunkt. Es begann der unaufhaltsame Siegeszug des Automobils. Die Reichspost investierte zunehmend in motorisierte Lastwagen und Busse, die sogenannte „Kraftpost“. 1920 hatte die Deutsche Reichspost in Sachsen den Kraftomnibusverkehr eingeführt. Durch die schnelle Entwicklung des Kraftfahrwesens konnte sie bald danach in den größeren Städten auch den bisherigen Postfuhrbetrieb mehr und mehr unter eigener Leitung durch den Kraftwagenbetrieb ersetzen.

    Dazu wurden für die Reichspost von der Fa. Hansa-Lloyd in Bremen batteriebetriebene Postautos gebaut und in Zittau stellte man Dreiräder der Marke „Phänomen“ mit Benzinmotor her. Die Vorteile waren erdrückend: Kraftfahrzeuge waren schneller, konnten mehr laden und waren unabhängig von den Bedürfnissen der Pferde nach Futter und Ruhe. Im Bereich der Stadt Chemnitz wurden ab dem 1. Juli 1925 sämtliche Postfahrten durch 20 posteigene elektrisch betriebene Kraftwagen und 12 der genannten Kraftdreiräder verrichtet.

    (Quellen u.a.: „Die Posthalterei im damaligen Chemnitz“ – mehrteiliger Bericht in den Mitteilungen des Philatelistenverbandes Bezirk Karl-Marx-Stadt – 1986; Adressbücher der Stadt Chemnitz sowie Ausschnitte sächs. Tageszeitungen, zu finden unter SLUB-Dresden.de)