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Vom Roß auf den Tisch

    Im späten 19.Jahrhundert setzte sich, auf Grund der Versorgungslage, zunehmend der Verzehr von Pferdefleisch in Sachsen und Deutschland durch.

    Inserat für die 1893 eröffnete Roßschlächterei mit Wurstfabrik – 1895

    Prägend in dieser Zeit war der deutsch/französische Krieg 1870/71, der für die Soldaten und die Bevölkerung Not und Elend brachte. Erstmals wurden auch im größerem Maße Kriegsgefangene gemacht, über 300.000 Franzosen soll das Deutsche Reich damals inhaftiert haben. Die Lebensmittelversorgung geriet ins Stocken, Schlachtvieh war Mangelware. Verzehrt wurde auch das, was die Schlachten übrig ließen. Roßfleisch wurde als schmackhaftes Fleisch wiederentdeckt.

    Ende der 1870er und Anfang der 1880er Jahre entstanden nach und nach in den größeren Städten Roßschlächtereien, die unter amtlicher tierärztlicher Kontrolle arbeiteten. Sie verwerteten nicht nur alte Arbeitstiere, sondern verarbeiteten auch verunglückte und gezüchtete Tiere.
    Unter anderem dem Wirken der Roßfleischgourmands war es zuzuschreiben, die das Roßfleisch zum Volksnahrungsmittel machen wollten, das der Verbrauch stetig gesteigert wurde. Sie veranstalteten Festessen und boten reine Pferdefleischgerichte an, genau so gut, wie es Vegetarier gab, die für ihre Ansicht auch Propaganda machten.
    Zuerst waren es die Fleischer, die das Pferdefleisch mit verarbeiteten. Doch durch die unklare Deklaration und dem Vermischen mit anderen Sorten wurden schließlich gesetzliche Regelungen für Fleischer erlassen, die das gleichzeitige Anbieten von Fleischwaren und solcher mit Pferdefleisch untersagten.

    Infolge der allgemeinen Lebensmittelteuerung und des niedrigen Verdienstes öffneten vorwiegend in den Arbeitervierteln Verkaufsstätten für Roßfleischwaren, um die Bedürfnisse der ärmeren Bevölkerung zu befriedigen. Denn Pferdefleisch war billiger als Rind- und Schweinefleisch.

    Mai 1899 – Annonce von C.A.Schindler

    Pferde und -wagen waren damals das wichtigste Transportmittel. Sie gehörten zum Straßenbild wie die Autos heute. Entsprechend entwickelten sich die erforderlichen Gewerbe dazu: Schmiede, Sattler, Riemer, Tapezierer, Wagenbauer usw… Der Bedarf an Pferden war enorm. Jedes Industrieunternehmen hatte eigene Stallungen, für den Transport der Kohlen zur Energieerzeugung, zum Anliefern ihrer Rohstoffe und zur Abfuhr ihrer Güter zu den großen Güterbahnhöfen in verschiedenen Chemnitzer Stadtgebieten. Auch für die Droschkenbesitzer (1880 gab es bereits 94 zugelassene Droschken), Transportunternehmen, für die Post und das Militär sorgten zahlreiche Pferdehändler für den notwendigen Nachschub, sogar im Ausland wurde eingekauft.

    Die 1880 eröffnete Pferdebahn hatte 2 Jahre später bereits 59 eigene Pferde in ihren Stallungen stehen.

    Eigenständige Roßschlächter gab es ab ca. 1879 in Chemnitz. Oft waren es zuerst nur eben erwähnte Pferdehändler, die aus der Not heraus, auch die Verarbeitung übernahmen. Sie warben für Ihre Betriebe und boten neben dem Fleisch auch ihre Spezialitäten wie Salami- und Cervelatwurst an.

    Auch auswärtige Fleischereien kauften bei den Chemnitzer Firmen ein und versorgten die Bevölkerung mit dem preiswerten Pferdefleisch.

    Nachteilig für Ihren Ruf wirkten sich die teilweise ungenügenden hygienischen Zustände der Schlachtbetriebe aus. Probleme bereitete die Beseitigung der flüssigen und festen Abfälle. Erstere wurden häufig auf die Straße oder in Gräben geleitet, wo sie Tümpel bildeten, letztere auf die Misthaufen oder in beliebigen Ecken des Grundstücks gelagert, wo sie üble Gerüche entwickelten.

    Schon 1890 war das Hofmann’sche Grundstück an der Uferstraße deshalb ein Dorn im Auge der Stadtverwaltung, da sich die Beschwerden häuften.

    Zu den etabliertesten Firmen Ihrer Zunft gehörte neben dem bekannten „Pferde-Hofmann“ auch die Familie Schindler, die seit 1891 eigenständig Pferdehandel und Roßschlächterei, den Verkauf und Handel mit Pferdefleisch und Wurstwaren betrieb.

    Bei der Recherche zur Firmengeschichte bin ich auf 2 verschiedene „Schindler“s in Chemnitz gestoßen. Ob sie verwandt miteinander waren, wer weiß es heute noch?

    Annonce von Lina Olga Schindler – Oktober 1900

    Zum einen ist da Ernst Max Schindler, der 1891 noch eine Dampftischlerei in der Zimmerstraße 11 betreibt. Das Familienglück, die Ehe mit der Roßfleischhändlerin Lina Olga, zieht ihn im kommenden Jahr in die Jägerstraße 26. 1894 finden wir Ihn kurz als Roßfleischhändler in der Theresenstraße 1, am Ende des Jahres hat sich die junge Familie in der Oststraße 10 eingemietet. 1897 erfolgt ein weiterer Umzug, diesmal Sonnenstraße 7, 1898 ist er auf der Müllerstraße 26 zu finden, ehe er schließlich 1899 in der Peterstr. 9 eine Bleibe für die nächsten Jahre findet und dort mit seiner Frau eine Roßschlächterei und Wurstfabrik mit Motorbetrieb betreibt. 1902 übernimmt er das Verkaufslokal am Antonplatz 15 und 1903 eröffnete ein Weiteres in der Äußeren Klosterstraße 34 auf Grund der guten Geschäftsgänge. 1903 muß er aber am Antonplatz schon wieder ausziehen, da der neue Hauseigentümer, der Allgemeine Konsum-Verein von Chemnitz und Umgebung, dort ein neues repräsentatives Geschäftshaus errichten möchte. 1904 findet man dann weitere Zweiggeschäfte am Brühl 11, Ecke Karlstraße, und an der Oststraße vor der Bahnbrücke rechts. Noch 1904 zieht er wenige Häuser weiter in die Peterstraße 4. Bis 1907 verbleiben zudem beiden Filialen in seinem Besitz, ehe die Familie die Fabrik an Wilhelm Ernst Gustav Tietz verkauft. Dieser führte auch die Filiale am Brühl 11 fort. Ob es die gleichnamige Konkurrenz war, die Ernst Max Schindler zur Aufgabe bewog oder die wirtschaftlichen Umstände, bleibt offen.

    Mehr Erfolg hatte dagegen dieser Familienzweig:

    Seit 1891 betreibt C.A. Schindler mit seiner Ehefrau Bertha Clara eine Roßfleischerei in Altendorf Limbacher Str. 49. 1892 wird ein Geschäftslokal am Antonplatz 15 eingerichtet, das unter der Führung der Ehefrau verbleibt. 1893 stellt Schindler bei der Königl. Amtshauptmannschaft Chemnitz ein Gesuch zur Errichtung einer größeren Roßschlächterei mit Wurstfabrik in Altendorf auf seinem Grundstück, die auch das Wohlwollen der Beamten erhielt, Grundlage für den kommenden Geschäftsbetrieb. 1896 wird ein Lokal in der Annaberger Str. 35 eröffnet, 1898 in der Leipziger Str. 38. 1898 übernimmt Paul Emil Schindler (der Sohn?) die Roßfleischhandlung am Antonplatz mit den beiden Filialen.

    Ansicht der Häuserzeile am Antonplatz aus den 60er Jahren

    Am 1.Juli 1900 wurde Altendorf eingemeindet, die Limbacher Straße umnummeriert, das alte Grundstück Limbacher Str. 49 erhielt die Nummer 143. Die Roßschlächterei dort verkaufte Paul Schindler im selben Jahr an C. M. Schöne, blieb aber mindestens bis 1904 dort wohnen. Mit Roß und Werkzeug zog er anschließend auf den Brühl 23 als Fleischer und Roßfleischhändler. Die Filiale am Antonplatz 15 hatte er 1902 an seinen Namensvetter (oder vielleicht Verwandten?) abgetreten.

    Ab 1907 begann dann die lange und erfolgreiche Karriere am Antonplatz 8 als Pferdehändler samt Roßschlächterei mit seiner Ehefrau Antonie Emma. 1908 werden Teile des Hauses zu einer kleinen Speisewirtschaft umfunktioniert. Schmackhafte Pferdespeisen waren ab diesem Jahr dort erhältlich.

    die letzten Stunden des Hauses…

    1915 starb Paul Emil Schindler, seine Frau mit mehreren Kinder sind von nun an auf sich allein gestellt, und das auch noch zu Kriegszeiten. Dabei auch 3 Söhne, die alle in des Vaters Fußstapfen treten werden und das Fleischerhandwerk erlernen. 1918 bietet sich die Gelegenheit durch Ankauf des Hauses Antonplatz 7, das Geschäft zu erweitern. Friedrich wurde 1923 Geschäftsführer, Rudolf tritt 1928 ins Geschäft mit ein. Am 26. Juli 1928 wurde die Roßschlächterei mit Bier- und Speisehaus von Antonie Schindler, geb. Eidam auf Blatt 10309 ins Handelsregister der Stadt Chemnitz eingetragen. Später kam noch Sohn Alfred zum Geschäft als Inhaber hinzu. Von früh 9 bis abends 22 Uhr , so versprach die Werbung, wurden gute und preiswerte Gerichte angeboten. Der 2. Weltkrieg konnte den Gebäuden und der Familie wenig anhaben. Zwar nicht in größter Eleganz aber für den einfachen Geldbeutel bot man, bis in die 60er Jahre hinein, beim Pferde-Schindler noch die leckersten Speisen an. Legendär die Pferdebuletten und die große Portionen für wenig Geld.

    Doch mit der Neuplanung der Innenstadt kam für diese Häuserzeile 1968 mit dem Abriss das Aus. Ebenso für das Schindler’sche Bier- und Speisehaus.

    (Quellen: Adressbücher der Stadt Chemnitz, div. Zeitungsauschnitte sächs. Tageszeitungen, zu finden unter SLUB-Dresden.de; Bilder aus der Sammlung von Uwe Kaufmann, u.a.)