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Weihnachten 2023

    Auch in diesem Jahr möchte ich meine Besucher zum Weihnachtsfest mit einem historischen Text erfreuen. Das Wochenblatt für Zschopau veröffentlichte im Jahr 1923 diesen Text, ohne zu ahnen, dass er 100 Jahre später eine ähnliche Situation beschreiben würde:

    Weihnachten!

    Wie lieb und traut klang uns als Kindern das Wort in die Ohren! Wie glänzten die Augen, schlug das Herz vor Freude, wenn die geheimnisvolle, selige Weihnachtszeit nahte! Jeder Tag barg ein neues Wunder. Es roch nach frisch gebackenem Kuchen und Weihnachtsstollen. Wie oft kamen die Eltern mit großen und kleinen Paketen beladen nach Hause, und dann knisterte und raschelte Papier hinter verschlossenen Türen. Es war so heimlich und gemütlich im Hause. So froh und sorglos waren wir da; so ganz der Freude hingegeben genossen wir frei und unbekümmert den Zauber des herrlichsten der Feste.

    Und heute! Wie ganz anders sehen wir dem Weihnachtsfeste entgegen! Es fehlt uns der jauchzende Frohsinn des kindlichen Herzens. Düster und trübe ist der wirtschaftliche Himmel umwölkt, so daß auch nicht der kleinste Strahl einer goldenen Winterhoffnungssonne sich durchstehlen kann. Mit bangen Sorgen sahen wir dem Fest entgegen. Kein strahlender Weihnachtsbaum kann die Finsternisse unseres wirtschaftlichen Tiefstandes verdrängen. Die Not guckt aus allen Ecken unseres Vaterlandes immer drohender hervor. Rhein und Ruhr schmachten unter der Fremdherrschaft. Lauter neugeprägte, ungewohnte Ausdrücke schwirren an unser Ohr, — Worte, die dem Nichteingeweihten nichts zu geben vermögen als ein Schaudern vor ihrer unbekannten Tragweite. Beamtenabbau, Abbau und Sparsamkeit überall, selbst auf Kosten alles dessen, was uns früher lieb und wert war; Stabilisierung der Mark, Rentenmark, Goldmark, Goldmarkbanken, Kredite im Auslande, neue Verhandlungen vor der Reparationskommission und andere Schlagworte tönen in unser Ohr. Hunger und Entbehrungen recken ihre Fangarme in immer weitere Kreise unseres Volkes. Hast und Unruhe haben die Menschen ergriffen und peitschen sie ruhelos durchs Leben, so daß selbst das liebe Weihnachtsfest seinen goldenen Schimmer verliert. Es hat niemand mehr Zeit, die Poesie und den Zauber des Weihnachtsfestes auf sich wirken zu lassen. Jeder treibt haltlos im Strome der Zeit, und keiner ist da, der sich der Flut kommenden Elends entgegenwerfen und den Sieg gewinnen will. Überall drücken und zwicken die Sorgen des Tages. Und die zermürben Körper und Geist und nehmen die frohe Schaffenskraft und Arbeitslust. Und ist sie uns nicht vor allem andern dringend vonnöten? Müssen wir uns nicht erst den Platz an der Sonne wieder erobern? In dieses Wirrnis von Gefühlen erklingen nun bald die Weihnachtsglocken. Wollen wir da nicht versuchen, wenigstens am Weihnachtsfest einmal froh und sorglos zu sein wie die Kinder, und uns ganz seinem Zauber hingeben. Die Freude wird uns neue Kraft und neuen Tatendrang schaffen.

    Ich wünsche allen von Herzen ein frohes, gesegnetes Weihnachtsfest!

    Und dann mit frischem Mut und kraftvoller Seele ins neue Jahr starten! Egal, ob es Gutes oder Böses bringt – wir werden es meistern.

    Bitte lest auch meine Beiträge zum Thema, die ich 2018 und 2022 veröffentlicht habe. Sie beschreiben die schwierigen Nachkriegsjahre und die Umstände vor 100 Jahren.

    (Quelle: Wochenblatt für Zschopau 25.12.1923 zu finden unter SLUB-Dresden.de)

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