Nach meinem Beitrag zur Geschichte der Chemnitzer Pferdebahn möchte ich den Zeitraum 1892 bis 1894 näher beleuchten, in dem die Chemnitzer Straßenbahn erweitert und der elektrische Betrieb eingeführt wurde.
Die Stadtentwicklung und das wachsende Verkehrsbedürfnis führten damals zu dem berechtigten Wunsch, das Straßenbahnnetz auszubauen und die Wagenfolge der Pferdebahn zu erhöhen. Jedoch war dies für das Unternehmen, die Deutsche Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft, die seit 1882 den Pferdebahnbetrieb führte, wirtschaftlich nicht vertretbar.
Im Jahr 1890 trat man in geschäftliche Beziehungen mit der Allgemeinen Elektrizitäts-Gesellschaft. Nach der mehrheitlichen Aktienübernahme durch die AEG kam es zur Fusion und die neue Gesellschaft firmierte unter dem Namen „Allgemeine Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft“. Beide Unternehmen hatten sich zum Ziel gesetzt, schrittweise den elektrischen Betrieb einzuführen. In Chemnitz wurde damit begonnen.
Obwohl der Rat der Stadt Chemnitz das Projekt zur Einführung des elektrischen Betriebs wohlwollend aufnahm, zogen sich die Verhandlungen durch mehrere Jahre hin, bis die Zustimmung aller Instanzen erreicht wurde. Im März 1892 erteilte der Rat einstimmig seine Genehmigung, aber erst zum Ende desselben Jahres bestätigten die Königlich – Sächsischen Ministerien die Einrichtung des elektrischen Betriebs.
Mit der Einführung desselben auf den bestehenden Linien wurde der Bau einer neuen zweigleisigen Querlinie von Altendorf zum neuen Friedhof genehmigt bzw. vorgeschrieben.
Für die Realisierung dieses Projektes waren umfangreiche Gleisverlegungen und der Bau eines Kraftwerkes zur Stromversorgung notwendig. Bereits im Sommer 1892 wurde in der Aue mit dem Abbruch der Gebäude der alten Posthalterei begonnen, wobei man zuversichtlich auf die Zustimmung der königlichen Behörden hoffte. Im Herbst wurden Vermessungsarbeiten auf dem Gelände durchgeführt. Gleichzeitig wurden Vorkehrungen für die Neugestaltung im Depot Kappel getroffen. Im Dezember 1892 fanden zudem erste Verhandlungen mit den Hausbesitzern statt, um die erforderlichen Leitungsdrähte anzubringen. Das Ziel war es, die Drähte auf Kosten der Gesellschaft an den Hauswänden mit Haken (Rosetten) zu befestigen. Die städtischen Behörden wünschten, dass die Befestigung der Querdrähte an den Häusern nach dem Vorbild von Halle, Gera und Breslau erfolgen sollte, um den Verkehr auf den Fußwegen möglichst freizuhalten. Das Warten hatte schließlich am 11. Januar 1893 ein Ende, als die ministerielle Genehmigung eingetroffen war. Sobald es die Witterungsverhältnisse zuließen, sollte der Bau nun gemäß den inzwischen aufgestellten Plänen beginnen.
Von diesem Zeitpunkt an erschienen regelmäßig Berichte über den Fortgang der Arbeiten. Mitte Februar konnte man auf Grund der milden Witterung mit dem Anbringen der ersten Rosetten an den Häusern der Reitbahnstraße beginnen. Mit der Herstellung des neuen Bahnkörpers begann man am 5. April 1893, dazu wurde die Reitbahnstraße zwischen Ritter- und Kasernenstraße (heute Clara-Zetkin-Straße) für den Durchgangsverkehr gesperrt. Ende April war man stadteinwärts bereits an der Lange Straße angekommen.
Überall im Innenstadtbereich war man emsig am Wirken. Mitte Juni wurde über die Verlegung der Gleise in der Äußeren Klosterstraße und der Hartmannstraße berichtet. Aufgrund einer Vereinbarung mit der Sächsischen Maschinenfabrik wurde der damals übliche Transport von Lokomotiven per Pferdegespann über diese Straßen für fünf Wochen ausgesetzt. Das verlegte Pflaster und die Gleisanlagen mussten erst eine ausreichende Festigkeit erlangen. In der Aue war der Kesselhausbau im Gange und in der Zwickauer Straße war man dabei, mittels eines fahrbaren Leitergerüstes die Fahrdrähte anzubringen.
Mitte August war die Strecken nach Altendorf und Bernsdorf fertig, die Arbeiten in der Schillerstraße näherten sich dem Ende entgegen. Am Anschluß vom Johannisplatz über die Innere Johannisstraße, Markt und Innere Klosterstraße zur Theaterstraße wurde noch eifrig gearbeitet. Auch auf der Strecke nach Kappel war der zweigleisige Ausbau noch in Arbeit. An der Nikolaibrücke wurden ein Gleiswechsel eingebaut und ein Aufstellungsgleis eingebaut, sowie die zur Post- und Theaterstraße führenden Kurven ausgewechselt. Das Kabel für die Stromzuführung war von der Aue bereits bis zum Neumarkt verlegt. Die Bauarbeiten der Kraftstation in der Aue gingen ebenso rasch und planmäßig vonstatten.
Auch im Depot Kappel hatte sich einiges getan: Der alte Wagenschuppen wurde abgerissen und eine neue Wagenhalle für 28 Triebwagen mit Werkstätten errichtet, ein kleiner Pferdestall wurde zur Beiwagenhalle für 12 Fahrzeuge umgebaut und mit einer Schiebebühne versehen.
Mitte Oktober begannen erste Probefahrten auf den neuerbauten Strecken, am 25. Oktober 1893 wurde eine Probefahrt von der Post- durch die Reitbahnstraße zum Rosenplatz durchgeführt. Der Weiterbau sollte erst nach Verbreiterung des Bernsdorfer Weges (Straße) in Angriff genommen werden.
Mitte November war die Werkstatt im Kappler Depot so weit hergerichtet, das die Montage der 24 neuen Wagen vorgenommen werden konnte.
Am 25. November 1893 fand die erste offizielle Probefahrt nach der neuen Betriebsweise das öffentliche Interesse: „Benutzt wurden hierzu einer der neuen Motorwagen und ein an diesen angehängter Wagen der bisher verwendeten Art. Die Fahrt, welche ohne jede Störung von Statten ging, nahm für die Strecke Depot Kappel-Nikolaibrücke die Dauer von nur 7 Minuten in Anspruch. Auf der weiteren Strecke bis zur Schillerstraße ließ man mit Rücksicht auf den lebhaften Verkehr der hierbei berührten Straßen in der Fahrgeschwindigkeit eine Ermäßigung eintreten. Beide hierbei zur Verwendung gelangten Wagen waren voll besetzt und es erregte der durch die Straßen eilende kleine Eisenbahnzug das Interesse aller Nachtwandler. Im nächtlichen Dunkel sah man schon von fern sowohl an dem die Straßen überspannenden Leitungsdraht, wie besonders auch an den Schienen hell aufflackernde Funken sprühen und auch der in elektrischer Beleuchtung strahlende Wagen machte ans das Auge des Zuschauers einen fesselnden Eindruck.“
Am 19. Dezember 1893 wurde dann der Probebetrieb von der Betriebsverwaltung Chemnitz der „Allgemeine Lokal- und Straßenbahn-Gesellschaft“ auf der Strecke Altendorf – Markt – Bahnhof eröffnet. Eine weitere Neuerung war die Einführung von Zahlkästen im vorderen Wagen und die Einrichtung von festen Haltestellen ab diesem Zeitpunkt. Ab dem 6. Januar 1894 wurde auch die Strecke Nicolaibücke – Wintergarten Schönau befahren, jedoch wurden die Fahrscheine dort noch von „Conducteuren“ (Schaffnern) ausgegeben. Am 12. Januar wurde die Strecke Nicolaibrücke – Poststraße Wilhelmplatz und am 6. Februar 1894 die Strecken Nicolaibrücke – Theaterstraße — Königsplatz und Wilhelmplatz – Schlachthof für den Verkehr freigegeben. Damit war die Elektrifizierung abgeschlossen.
Die Bahnlänge des Netzes war durch den Umbau auf 12,1 km, die Betriebslänge auf 13,9 km, die Gleislänge auf 22,4 km gewachsen. Die Wagen folgten einander in Abständen von 7 ½ Minuten.
In der Kraftstation in der Aue sorgten 4 Kraftmaschinen von der Sächsischen Maschinenfabrik in Chemnitz als stehende Verbund-Dampfmaschinen mit Kondensation, die normal 150, maximal 220 PS leisteten, für den Antrieb der Generatoren.
Damit hatte Chemnitz als 12. deutsche Stadt eine elektrische Straßenbahn erhalten, nur wenige Monate nach Dresden (6. Juli 1893), aber noch vor Leipzig (20. Mai 1896).
Der Pferdebahnbetrieb wurde noch bis 1898 in verkehrsschwachen Stunden aufrechterhalten.
Dieser Bericht soll nur als Ergänzung der Chemnitzer Straßenbahngeschichte beitragen. Ausführlich wurde schon darüber publiziert, die Bücher von Heiner Matthes dürften bekannt sein. Online findet man ergänzende Dokumentationen zur Geschichte z. Bsp. Unter www.wikiwand.com/de/Straßenbahn_Chemnitz oder im Forum von www.drehscheibe-online.de. Empfehlenswert natürlich auch ein Besuch des Straßenbahnmuseums Chemnitz auf der Zwickauer Straße.
(Quellen: Ausschnitte div. Tageszeitungen zu finden unter SLUB-Dresden.de; Festschrift zur Versammlung deutscher Ingenieure 1898 in Chemnitz; Album von Chemnitz 1901; u.a.)