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1899 – Die Auffahrten der Ballonführer

    Bereits am 11. Januar des Jahres fand die Generalversammlung des Vereins zur Förderung der Luftschiffahrt in Sachsen (Sitz Chemnitz) statt. Neben der Vorstellung des Jahres- und Kassenberichtes, wurde auch ein neuer Vorstand gewählt. Neuer 1. Vorsitzenden war Dr. phil. H. Hoppe – Lehrer an den Techn. Staatslehranstalten, der Fabrikant und rührige Ballonfahrer Paul Spiegel wurde als Stellvertreter in den Vorstand berufen, nachdem er zuvor den Vorsitz inne hatte.

    Ein Vortrag am 26. Januar im Saal der „Börse“ ergänzte das Vereinsleben. Redakteur Max Halfter, Mitglied des Vereins, schilderte seine Erlebnisse bei der 24-stündigen Freifahrt mit dem französischen Luftfahrtspezialisten Louis Godard und sechs weiteren Passagieren in einem Riesenballon am 19.Oktober 1897 von Leipzig aus.

    Die gern gesehenen Ballonauffahrten fanden auch 1899 ihre Fortsetzung.

    Mit dem neuen Besitzer des „Wintergartens“, Herrn Clemens Fischer, hatte Paul Spiegel die ersten beiden Auffahrten vom Garten des genannten Etablissements Mitte April vereinbart. Im Frühjahr hatte er sich mit dem Bau eines neuen Ballens beschäftigt, den er zu diesen Auffahrten präsentieren wollte.

    Am 23. April erhob sich Spiegel das erste Mal, der Ballon, welcher südöstliche Richtung einschlug, war bei klarer Witterung lange zu beobachten. Die mit Schwierigkeiten verbundene Landung erfolgte bei Wolkenstein. Bereits eine Woche später sollte die 2. Auffahrt vom Wintergarten stattfinden. Sie wurde ebenso wie die geplante Auffahrt des Leipzigers Richard Feller mit dem Ballon „Odol“ vom Thiergarten Scheibe auf Grund ungünstigen Wetters abgesagt.

    Paul Spiegel war unermüdlich, seine Ballonfahrten auch andernorts anzubieten und durchzuführen. Am 11. Juni kam die Bevölkerung von Hof in Bayern in den Genuß, am 25. Juni stieg er von Lommatzsch auf.

    Zur Auffahrt am 2. Juli in Riesa hatten Spiegel und sein Assistent wieder mit den Unbilden der Witterung zu kämpfen. Der einsetzende Regen erschwerte die Befüllung, der leichtere Oswald Lische stieg allein in die Gondel, um die verspätete Auffahrt vor dem zahlreich erschienenen Publikum dennoch auszuführen.

    Die nächste Woche war Spiegel in Halle an der Saale zu Gast, mit dabei sein neuer Ballon. Die ersten beiden Auffahrten vom Pleißnitzufer gingen reibungslos vonstatten. Als eine der gefahrvollsten wurde die am 16. Juli von der Schloßbrauerei Giebichstein ausgeführte Ballonfahrt beschrieben. „Bei Entladung von heftigen Gewittern wagte Herr Spiegel allein den Aufstieg; leider hatte sein Assistent törichterweise die Gondel im Augenblicke des Aufstiegs durch einen Sprung aus 8 Meter Höhe verlassen. Pfeilschnell schoß das Luftschiff in die Höhe, und nur dem festen Material des Ballons und der Geistesgegenwart des Herrn Spiegel war es zuzuschreiben, daß ein Platzen durch die plötzliche Erleichterung und den starken Auftrieb vermieden wurde. Infolge der furchtbaren elektrischen Entladungen war die Situation des Aeronauten nun geradezu entsetzlich; doch der Umsicht, Ausdauer und Körperstärke des Herrn Spiegel gelang es, das Luftschiff und sich zu retten, was sich besonders wegen der mit jedem Gewitter sich ändernden Luftbewegung, durch welche der Ballon bald nach Osten, bald nach Westen getrieben wurde, sehr schwierig gestaltete.“ So das Chemnitzer Tagblatt, vom 18.Juli 1899. Der Ballon erreichte eine Höhe von 3400m bei -2° R, sowie bei Hagel und Schneegestöber. Die sehr schwere Landung erfolgte bei dem Städtchen Schafstädt.

    Am Freitag, den 21.Juli unternahm Paul Spiegel noch einmal von der Schloßbrauerei Giebichstein eine Auffahrt, eine der bis dahin seltenen Nachtfahrten. Bei fast Windstille blieb er über 5 Stunden in der Luft, erreichte bei 3 ° Kälte, eine Höhe von 4200 m und landete glatt bei Zörbig.

    Nach einer kurzen Pause erfahren wir von weiteren Aufstiegen am 13. August in Dessau und am 20. August in Großenhain. Ende August weilten die beiden Luftschiffer zu 2 Auffahrten in Nürnberg, anlässlich des Nürnberger Volksfestes. Über diese Fahrten ist der  fränkischen Metropole ist bisher noch nichts zu finden.

    Am 3. September konnten die Chemnitzer wieder eine Auffahrt bewundern. Vom „Gasthaus zur Linde“ stiegen Spiegel und sein Assistent Lische auf, landeten nach 65 Minuten unweit von Lippersorf bei Reifland im Erzgebirge.

    Auch Richard Feller wollte in Chemnitz am 10. September anlässlich des Großen September-Festes im Thiergarten Scheibe noch einmal aufsteigen. Das Wetter machte der Veranstaltung auch diesmal einen Strich durch die Rechnung und einen Aufstieg unmöglich.

    Am 17. September versuchte Paul Spiegel wieder sein Glück. Bei ungünstiger Witterung stieg er abends 17:00 Uhr vom Garten des „Gasthauses zur Linde“ auf und landete nach einer über dreistündigen Fahrt, da er vorher kein zum Landen günstiges Terrain fand, bei Jonsbach in der Nähe von Tetschen (Decin), abends 8 Uhr, bei Mondschein. Die erreichte Höhe betrug 4.600 Meter mit 5 bis 6 Kältegraden. Die Fahrt diente astronomischen Studien.

    Die geplante Auffahrt am 25. September vom Freiberger Schützenhaus fand mit Rücksicht auf die wenig günstige Witterung nicht statt.

    Letztmalig lesen wir in diesem Jahr von einer Auffahrt Spiegels am 15. Oktober von Gera aus. Mit seinem Assistenten Lische stieg er bei einer Doppel-Ballonfahrt vom dortigen Turnhallengarten auf. Beide Ballons landeten nach 1 ¾-stündiger Fahrt glatt bei Blankenhain bzw. Kahla in Thüringen. Die erreichte Höhe Spiegels betrug 4.100 Meter.

    Ein ereignisreiches Jahr ging damit für die beiden Chemnitzer Ballonfahrer zu Ende, glücklich überstanden sie die zahlreichen Auffahrten, die sie enthusiastisch Woche für Woche planten. Interessant immer wieder, wie selbstlos Menschen am Landeort halfen, den sperrigen bis zu 300 kg wiegenden Ballon samt Korb wieder zu verpacken und zur nächstgelegenen Bahnstation beförderten, damit Spiegel und sein Gefährte alsbald die Rückreise antreten konnten.

    (Quellen: Div. Ausgaben des Chemnitzer Generalanzeigers März-Okt 1898 – zu finden unter SLUB-Dresden.de; Deutsche Luftfahrt, Ausgabe 1899, div. Ausgaben des Chemnitzer Tageblattes – auf Mikrofilm in der Stadtbibliothek Chemnitz zu finden)