Derzeit finden wir auf dem ehemaligen Parkplatz neben dem „Tietz“, der für die kommende Bebauung vorbereitet wird, noch Gebäudereste der alten Wiesenstraße.
Vielleicht fragen sich manche, was befand sich eigentlich früher dort, wo heute das monumentale „Tietz“ steht. Bekannt dürfte sein, daß es 1913 als größtes Kaufhaus eröffnet wurde. Dieser Sache bin ich nachgegangen und berichte über das Zentrum der Unterhaltungskunst im damaligen Chemnitz. An der seinerzeitigen Poststraße stand von 1879 bis 1912 auf diesem Areal neben verschiedenen Häusern der
Mosella - Saal.
Längst schon hatte man in Chemnitz, deren Einwohnerzahl sich in diesen Jahren rasch vermehrte (ca. 90.000 Bewohner), das Bedürfnis empfunden, ein Etablissement zu besitzen, welches, in eleganter Art errichtet, sich nicht nur zur Abhaltung von Festlichkeiten, sondern auch zu Schaustellungen von Künstlern etc. sowie zu Konzertaufführungen eigne und den Versammlungsort der vornehmen Welt bilden könne. 1877 erfaßte Friedrich Bernhard Beyreuther, ein Chemnitzer Kaufmann und ersten Delikatessenhändler unserer Stadt die Idee, ein Hotel zu erbauen und bei dieser Gelegenheit zugleich dem erwähnten Bedürfnis der Chemnitzer zu entsprechen, nämlich einen Konzert- und Theatersaal daran anzugliedern.
Bis 1879 errichtete Beyreuther „diesen prächtige Bau, der nicht nur eine Zierde von Chemnitz und des ganzen Sachsenlandes, sondern auch ein glänzendes Zeugnis von der vollendeten deutschen Baukunst ist“ schrieb damals sichtlich beeindruckt die Leipziger Illustrierte Zeitung, und setzt ihren Bericht fort: „Die Fassade des Hotels ist nach der Art mancher Wiener Neubauten mit einem mächtigen, von modern ionischen Säulen eingerahmten, oben halbkreisförmig abgeschlossenen Eingang ausgeführt. In diesem Halbkreisbogen befindet sich ein schmiedeeisernes ornamentales Transparentgestell mit einem aus geschliffenen Glaskrystallen zusammengesetzten Drahtnetz, auf welchem der abends zu erleuchtende Name des Etablissements, „Mosella“ mit schwarzen Emaille-Buchstaben prangt.“
Gleichzeitig wurde erstmals ein Saal elektrisch beleuchtet. „Die Wirkung dieser Beleuchtung war, wie das ‚Tageblatt‘ schrieb, eine Vorzügliche. Traten doch bei derselben die durch die gelben Flammen des Gases schwer zu unterscheidenden blauen und grünen Farbtöne in deutlich erkennbarer Weise hervor. Einige Störungen, wie das Flackern der Flammen, werden sich bei längeren Vertrautsein mit dieser neuen, jedenfalls brillanten Beleuchtungsweise doch sicher auf ein Minimum reduzieren lassen.“
Die festliche Einweihung erfolgte am 30. März 1879. Dazu hatte Beyreuther im „Chemnitzer Tageblatt und Anzeiger“ eingeladen: „Den geehrten Einwohnern von Chemnitz und Umgebung beehre ich mich ergebenst anzuzeigen, dass ich heute, Sonntag den 30. d. M. mit einem vom hiesigen gesamten Stadtorchester, unter Leitung des Musikdirektors Herrn Hans Sitt, auszuführenden Matinee-Concert mein neues Etablissement unter dem Namen MOSELLA-Saal eröffnen werde“. Zur Eröffnung erschienen die Spitzen der königlichen und städtischen Behörden und natürlich die ersten Gesellschaftskreise. Das Publikum war, wie es in einem zeitgenössischen Bericht hieß, „ganz entzückt von der märchenhaften Pracht“.
Der Mosella-Saal wurde zu einem überaus geschätzten Zentrum der Konzertfreunde. Das Verlangen nach neuen Unterhaltungsformen griff der Besitzer auf, und wandelte den Saal regelmäßig in eine „Varieté-Bühne“ um. In den Veranstaltungen traten Artisten ersten Ranges auf. Selbst Zirkus mit Tieren bot der Saal eine Auftrittsstätte.
1893 erfolgte im Mosella-Saal die Uraufführung des historischen Festspiels zur 750-Jahrfeier von Chemnitz, „Chemnitzia“, von Robert Hertwig mit 90 Mitwirkenden. Erstmalig im September 1897 und ab 1898 bis zum Beginn des neuen Jahrhunderts fanden hier täglich Vorführungen von „lebenden Riesen-Photographien“, Originalaufnahmen des Chemnitzer Filmpioniers Clemens Seeber, mit „höchst interessanten localen Aufnahmen“ statt. Die Reihe der Veranstaltungen liese sich beliebig fortsetzen. Renommierte auswärtige und einheimische Kapellen konzertierten, auch kamen wissenschaftliche Vorträge zu Gehör.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verdrängte die starke Konkurrenz den Mosella-Saal vom ersten Platz in der Stadt. Der Wintergarten Schönau hatte mit dem neuen Besitzer Clemens Fischer einen bedeutenden Aufschwung genommen. Das bis 1900 errichtete Kaufmännische Vereinshaus, hatte einen großen Saal erhalten. Das Central-Theater an der Zwickauer Straße war in Rekordzeit als reines Varieté-Theater gebaut worden.
1907 gönnte man dem Gebäude in der Poststraße 27 eine Verjüngungskur. Die etwas kitschige, in die Jahre gekommene Ausstattung wurde entfernt und ein freundliches Theater mit neu gestalteter Bühne, Tagesrestaurant und freundlicher Gesellschaftsräume entstand. Am 17. August 1907 wurde das „Apollo-Theater“ als volkstümliches Varieté für das bürgerliche Familienpublikum mit einer „Grossen Elite-Vorstellung“ eröffnet, bereits unter der artistischen Leitung von Albert Halberfelder, der es schließlich kurze Zeit später erwarb.
Als sich der Druck durch die neuentstandenen Unterhaltungs-Einrichtungen enorm verstärkte, im September 1909 kam das Neue Stadttheater (heutiges Opernhaus) dazu, wurde das Apollo-Theater in ein Kinomategraphen-Theater „als eine Stätte der Anregung, Unterhaltung und Belehrung für alle Volksklassen und für jedes Alter“ umgestaltet, das am 15. Januar 1910 eröffnet wurde.
1913 erfolgte schließlich der Abriss des gesamten Areals an der Ecke Wiesenstraße/Poststraße, um Baufreiheit für das Warenhaus Tietz zu schaffen.
Beyreuther, der übriges auch 1883 den Kesselgarten auf dem Chemnitzer Schloßberg erwarb und zum „Miramar“ umbaute, starb am 26. Februar 1909 an einem Herzschlag im Alter von 71 Jahren.
(Quellen: VS-Aktuell 04/2004 Beitrag von Wolfgang Bausch, verschiedene Chemnitzer Zeitungsartikel und Adressbücher, zu finden unter SLUB-Dresden.de, u.a.)