Zu Großvaters Zeiten war das Hinauswandern zum Nachmittagskaffee oder zum sonntäglichen längeren Verweilen in der einladenden Gaststätte „Sachses Ruhe“ schon ein „ausgedehnter Spaziergang“. Für uns würde die ehemalige Gaststätte am Stadtzipfel des Stadtparkes schon fast „mitten in der Stadt“ liegen. Wir werden Sie nicht mehr als Ruhepunkt am Chemnitzfluß nach einem Stadtparkbummel benutzen können, denn 1942 wurden ihre Gasträume für immer geschlossen.
Das Gebäude selbst war bis dahin in seiner neunzigjährigen Gestalt – von unwesentlichen Umbauten abgesehen – erhalten geblieben. Bis 1945 Brandbomben fast die komplette Anlage – mit üppig wachsenden Kastanien im Garten – einäscherte.
Den Namen „Sachses Ruhe“ erhielt das gastliche Haus von den von Bürgermeister Dr. Gotthold Leberecht Sachse geschaffenen Anlagen, zu denen dieser am Ende des 18. Jahrhunderts Tag für Tag hinaus wanderte. Er suchte und fand dort draußen Entspannung an dem mitten im freien Buschwald liegenden Wehr, kaufte schließlich um 1798 das Gelände um seinen Lieblingsplatz an und wandelte die Wildnis durch Anpflanzungen, Anlegen von Wegen, Aufstellung von Bänken und Steinfiguren in einen idyllischen Platz vor den Toren der Stadt um, der im Volksmunde in stiller Würdigung des beliebten Bürgermeisters „Sachses Ruhe“ genannt wurde.
Späterhin, als der Platz immer mehr Besucher anzog, wurden die Anlagen allerdings keineswegs wie ein Naturschutzpark behandelt, so dass Dr. Sachse in seiner Verärgerung den Plan faßte, die Anlagen eingehen, die schönen Eichenbäume niederschlagen zu lassen und den Boden anderweitig auszunutzen. Bürgermeister Müller, der auch für die Errichtung der Schloßteichanlagen eintrat, ist es zu danken, dass sein Amtsbruder doch noch von seinem Vorhaben Abstand nahm und das vor der Stadt gelegene Idyll als Zierde der Stadt erhalten blieb.
Eine Bedingung allerdings hatte Dr. Sachse gestellt: „dass die vielfache Belästigung und Beeinträchtigung sich mindere und eine angemessene Benutzung dieser Anlagen von Seiten des Publikums stattfinde.“
Der Rat der Stadt nahm sich der strikten Durchführung dieser Bitte an und gab der Einwohnerschaft kund: „bei Begehung der gedachten Anlagen jede Beschädigung zu vermeiden und Wahrnehmungen über Verletzungen sofort zu unserer Kenntniß zu bringen. damit die Uebertreter zur gebührenden Strafe gezogen werden können“ (Gegeben zu Chemnitz, am 11.Mai 1850).
Johann August Schaarschmidt errichtete 1862 am damaligen Fußweg nach Altchemnitz, gleich neben dem Wehr, wo heute die Treffurth- auf die Beckerstraße trifft, eine Restauration. Nach dem Tode des Vaters 1875 übernahmen die Töchter Auguste Minna und Marie Schaarschmidt das schon damals beliebte Etablissement mit Gartenwirtschaft. Als diesen die Durchführung des Betriebes zu beschwerlich wurde, kaufte 1882 ein guter Stammgast der Schwestern, Carl Oswald Hofmann die Gaststätte, in dessen Besitz sie lange verblieb. Er ergänzte den Garten mit einer Veranda und einer Kegelbahn und verhalf der Restauration, neben dem emporwachsenden Stadtpark, zu einem guten Ruf.
Wie das oberhalb des 1886 begonnen Stadtparks gelegene Restaurant „Wind“ entwickelte es sich schnell zu einem beliebten Ausflugsziel: „Bei einem Spaziergang durch die lauschigen Anlagen des Stadtparks, die hinreichend Gelegenheit zur Einathmung unverdorbener Luft bieten, kann man bei trefflicher Bewirthung im herrlichen schattigen Garten einen frischen Trunk und kräftigem Imbiss einnehmen. Die schöne Localität bietet angenehmen Aufenthalt.“ So wurde das Etablissement bereits 1890 gelobt.
Gar oft hatte das Gaststättengelände unter dem Hochwasser der Chemnitz zu leiden. Im Jahre 1897 trieb es der Fluß ganz toll, überflutete die Anlagen mit meterhohen reißenden Wellen, schwemmte Tische und Stühle fort und trug das Kinderkarussell bis hinab nach Furth.
In dem Wirt Carl O. Hofmann fanden auch die Fußballer des 1904 gegründeten SV Sturm einen Gönner, der ihnen ermöglichte, das Haus als Vereinslokal zu nutzen, ihre Versammlungen abzuhalten, den Spieler eine Umkleidemöglichkeit zu geben und ihre Utensilien wie Torstangen und Fahnen aufzubewahren. Die gegenüberliegende ehemalige Reitbahn an der Beckerstraße diente den Kickern als erster Spielplatz.
1906 übernahm der Kaufmann Max Bastanier die Restauration. Er war bis dahin Besitzer des Hauses Gustav-Adolf-Straße 6 in Chemnitz-Altendorf, das ab da Carl O.Hofmann als Privatmann gehörte. Wie der Tausch zustande kam, vielleicht auf Grund der Familienverhältnisse, bleibt offen.
1908 finden wir als neuen Geschäftsführer Ernst Bruno Vettermann mit seiner Frau Klara Martha als neue Schankwirtin im Adressbuch unter der Beckerstraße 45. 1910 übernahm Georg Alfred Schiefer bis zu seinem Tode 1921 „Sachses Ruhe“.
Der nächste Wirt, Alfred Kühn, gelangte durch folgende Zeitungsmeldung vom 22.04.1924 zu „trauriger Berühmtheit“:
„Ein Gastwirt erstochen.
In der Nacht zum Sonnabend in der zweiten Stunde kamen zwei Männer in die Schankwirtschaft „Sachses Ruhe“ an der Beckerstraße und forderten noch Bier, dessen Abgabe aber unter dem Hinweis, daß die Polizeistunde vorüber sei, verweigert wurde. Da die zwei trotzdem das Lokal nicht gutwillig verließen, wurden sie von den beiden erwachsenen Söhnen des Wirtes Kühn vor die Tür gebracht. Als die Rohlinge auch dort noch weiter lärmten und die Fenster einzuschlagen drohten, begab sich der Inhaber des Lokals, der 48 jährige Gastwirt Arthur Kühn, selbst vor die Tür und forderte die Ruhestörer zum Weitergehen auf. Bei der sich entspinnenden Auseinandersetzung wurde nun der Wirt von einem der Unholde mit einem Taschenmesser in das Herz gestochen. Kühn sen. verstarb nach kurzer Zeit an innerer Verblutung. Die beiden Söhne des Erstochenen nahmen sofort die Verfolgung der Täter auf und es gelang ihnen auch, sie festzunehmen und der Polizei zu übergeben. Dort ergab sich, daß der eine der 44 Jahre alte Weber Adolf Regus, aus Zdunska-Wola gebürtig, und der andere, der gleichaltrige Peter Graß, gebürtig aus Samara, waren. Die beiden Russen sind hier wohnhaft. Da in einer Hosentasche des Regus ein blutbeflecktes Taschenmesser gefunden wurde, ist er offenbar der Täter.“
Dem Verblichenen folgten, nachdem es noch kurzzeitig seine Witwe fortführte, von 1925-1931 Max Heinecke, von 1931-1939 Otto Müller und von 1939 bis zur Schließung 1942 Friedrich Diegel als Schankwirte.
Ab 1942 diente es als Heim für das Sattler-und Tapezierergewerbe, auch nachdem – durch die Zerstörung im 2. Weltkrieg – das Gebäude neu aufgebaut war. Die Familie Vogelsang betrieb bis in die 2010er Jahre hinein ein Geschäft als Raumausstatter darin.
Wenn nun bedauerlicherweise die Gaststätte schon lange nicht mehr Ziel von Spaziergängern ist, so wird doch der Name „Sachses Ruhe“ im Volksmunde erhalten bleiben und an den Natur- und Menschenfreund erinnern, der mit seinem Werk den Anfang unseres heutigen schönen Stadtparks schuf.
Der Name wurde auch dem Gartenbauverein „Sachses Ruh“ weitergegeben, der ab dem 1.November 1922 das Gelände zwischen Annaberger, Treffurth- und Beckerstraße (die oben bereits genannte ehemalige Reitbahn), zum Betriebe einer Kleingartenanlage von der Stadtgemeinde pachtete und heute noch viele Kleingärtner erfreut.
(Quellen: Artikel aus der Chemnitzer Tageszeitung vom 15.Mai 1942; Artikel im Chemnitzer Roland Heft 3/1998; Artikel aus der Elbgaupresse vom 22.04.1924; Adressbücher der Stadt Chemnitz und diverse Zeitungsausschnitte zu finden unter SLUB-Dresden.de; Chronik des KGV „Sachses Ruh“; u.a.)