Mit diesem Beitrag möchte ich die Entstehung der 1. großen Bürgerschule in unserer Stadt nachzeichnen.
Das Chemnitzer Schulwesen war vor 200 Jahren arg zersplittert. Nicht alle öffentlichen Schulen – es gab die Stadtschule nahe der Jakobikirche, die Vorstadtschule neben der Johanniskirche und die 1.Mädchenschule in der Webergasse – waren imstande, alle schulfähigen Kinder aufzunehmen. Oftmals war das fehlende Schulgeld ein Grund, daß nach dem 7jährigen Krieg sich sogenannte Winkel- und Fabrikschulen gründeten, die diese Aufgabe mit übernahmen, teils aber von Unberufenen geführt wurden. Die Qualität war entsprechend.
Die Erkenntnis, daß diese Zersplitterung dem Schulwesen schädlich sei, führte zu einer Wandlung. Dazu kam noch, daß die Gelehrtenbildung der alten Stadtschule (dem Lyceum) den Bedürfnissen der rasant wachsenden Industriestadt nicht mehr genügte. Durch die Entwicklung zur Fabrik- und Handelsstadt ging das Lyceum zurück. Schon 1801 wurde die Umwandlung der Stadtschule in eine Bürgerschule verlangt. Doch dieser Ruf verhallte ungehört. Erst 25 Jahre später, 1826, findet ein abermaliger Ruf nach einer Bürgerschule Beachtung.
Der Advokat Moritz August Richter veröffentlichte in der ersten Nummer des „Allergnädigst bewilligten Chemnitzer Anzeigers“ von 1826 einen ausführlichen Aufsatz und einen Appell an die Chemnitzer, der mit dem Wunsch endete: „daß das kommende Jahr dir eine zeltgemäße und zweckmäßige Bürger- oder Elementarschule mitbringen möge“. Für die Chemnitzer Einwohner, die zum größten Teil von ihrer Industrie leben, findet er, daß „eine Bürger- oder Elementarschule, in welcher alle Fähigkeiten des Geistes und alle Eigenschaften des Herzens in den Kindern beiderlei Geschlechts schnell und vollständig entwickelt und gebildet werden, die wesentlichste Grundlage ihres Glückes und Wohlstandes sei…“
Dieser Aufruf hatte eine Wirkung, wie sie der Verfasser wohl kaum selbst gehofft hatte. In Nr.3 des Anzeigers erschien ein neuer Artikel mit der Überschrift: „Die künftige Bürgerschule in Chemnitz“. Es heißt da am Anfang: „Der in Nr.1 dieses Blattes ausgesprochene Neujahrswunsch einer Bürgerschule für hiesige Stadt ist kein totes Samenkorn geblieben. Ein Privatverein von Bürgern verschiedensten Stände hat sich freiwillig mit Genehmigung der hochverehrten hiesigen Kirchen und Schulinspektion zur Förderung dieser guten Sache gebildet.“ Am 13.1. meldete der Viertelsmeister Karl Heinrich Schmidt an Ratsstelle die Entstehung des Privatschulvereins am 12. Januar an. Mit staunenswertem Eifer und treuer Hingabe bearbeitete ein 20gliedriges Komitee die nötigen Vorlagen. Erstmals mußte ein Schulplan ausgearbeitet werden. Auch das Ökonomische (Bauten, Ausmittelung der Fonds, Entwurf des Aktien- und Tilgungsplanes) spielte dabei eine Rolle.
Von 8 Mitgliedern wurden die schulfähigen Kinder im damals 18.000 Seelen zählenden Chemnitz erfasst. 2.622 Schulkinder im Alter zwischen 5 und 14 Jahren wurden ermittelt, davon besuchten 308 die unteren Klassen des Lyceums, 513 die Vorstadtschule und 356 die Mädchenschule, während 259 ohne Unterricht aufwuchsen. Es galt also „ein zweckmäßiges und wohlanständiges Gebäude für 3.000 Schulkinder zu errichten, welches groß und geräumig für die erwähnte Kinderzahl, außerdem Parterre 2 Stock hoch und massiv bis unters Dach gebaut wird“. Als Bauplatz wurde der Platz im Zwinger beim Ausgang der Webergasse gewählt. Architekt Johann Traugott Heinig fertigte den Riß und Plan der neuen Schule, der im Juli 1826 angenommen wurde. Die veranschlagten Kosten beliefen sich auf ca. 26.000 Taler. 10.000 Taler sind durch den Schulverein gesammelt worden, 4.000 Taler wurden als Erlös aus den der Kommune zuständigen entbehrlichen beiden Schulhäusern errechnet, 1.500 Taler sind von den Landständen bewilligt worden. Es fehlen noch ca. 10.000 Taler. Baumaterialien erhielt der Verein von bereits abgetragenen Kommungebäuden und von den bald abzutragenden Stadttoren und -mauern. Am 9. März 1827 wird durch ein allerhöchstes Reskript die Errichtung einer Bürgerschule genehmigt und vom Schulverein ein Bauausschuß gewählt. Da noch Geld fehlte, wurde der Vorschlag gemacht, vom König einen Vorschuß von 12.000 Taler auf 10 Jahre zu erbitten. Am 30. Juli 1828 wurde vom Hohen Kirchenrat in Dresden das vom Schulverein in Vorschlag gebrachte Gebäude mit tunlichster Kostenersparnis genehmigt. Außerdem bewilligte König Anton aus der Hilfskasse einen Vorschuß von 10.000 Taler. Die ersten 5 Jahre sollte er zinslos, die anderen 5 Jahre zu 4% Zinsen gegeben werden. Aus den Königl. Waldungen wurden außerdem 400 Stämme Bauholz bewilligt. Im September begannen die Vorarbeiten auf dem Bauplatze zwischen Webergasse und Plan. Durch die Bauvorsteher und Bauaufseher wurde der Bau so gefördert, daß die Legung des Grundsteines schon Ende 1828 hätte erfolgen können, wenn nicht die Beschaffenheit des Bauplatzes und das plötzlich eintretende rauhe und nasse Herbstwetter dies verhindert hätte. So mußte die Grundsteinlegung aufs Frühjahr 1829 verschoben werden.
Am Dienstag, den 12. Mai 1829, fand die Feier der Grundsteinlegung statt, bei der eine Messingbüchse, die ein Nachrichten-Pergament, ein vom Buchbinder Anger gebundenes Exemplar des „Entwurfs einer allgemeinen Bürgerschule in Chemnitz“ 1827 und schließlich einige Silber- und Kupfermünzen enthielt, in das Fundament versenkt wurde. 60 Personen aller Stände vereinigten sich anschließend im Hotel zum Römischen Kaiser zu einem gemeinschaftlichen Mittagsmahl. Dem früheren Vorsitzenden und eifrigen Förderer Buchhändler und Buchdrucker Kretschmar, der auch die älteste Chemnitzer Zeitung herausgab (er starb am 9. Januar 1829), wurde mit liebevollem Andenken ein Glas geweiht. Er war es auch, der die Lehrpläne für die allgemeine Bürgerschule bearbeitet hatte.
Der Bau schritt nun schnell vorwärts. Da der Bau im neu aufgefüllten Stadtgraben und Zwinger stand, so befürchtete die Baudeputation Risse im Gebäude. Deshalb wurde der Vorschlag gemacht, erst das Erdgeschoß zu bauen, damit sich die Last gehörig senken könne. Im folgenden Jahre sollten dann die oberen Stockwerke aufgesetzt werden. Das Erdgeschoß war schon im Herbst 1828 fertig. 1829 wurden die übrigen Stockwecke ausgeführt. Im Juli 1830 war das stattliche Gebäude vollendet. Es fehlten nur noch Kleinigkeiten. Doch konnte die Einweihung noch nicht erfolgen, weil die Allerhöchste Genehmigung fehlte. Außerdem war der Schulplan über die Einrichtung dem Oberkonsistorium noch nicht vorgelegt und der neue Direktor noch nicht gewählt und bestätigt. So zog sich die Einweihungsfeierlichkeit noch hin. Im Oktober 1830 genehmigte das Kirchenrats- Kollegium die eingereichten Vorschläge. Jetzt konnte man auch die Direktorwahl vorbereiten. Die Schulkommission hatte den Beschluss gefasst, den Direktor mindestens ¼ Jahr vor Eröffnung der Bürgerschule anzustellen, damit er die neue Schule einrichte und den Schulplan abfasse. Zum Direktor wurde der Seminardirektor Leberecht Traugott Pomsel in Bautzen gewählt. Er galt als ein ausgezeichneter Pädagoge, am 1. Februar 1831 trat er sein Amt an.
Ostern 1831 sollte die Einweihung stattfinden. Sie erfolgte jedoch erst am 15. August mit einem Gottesdienst und einer würdigen Feier, bei der alle Zöglinge und Lehrer sowie die Schulinspektion und Bauvorsteher anwesend waren. Kurz vor der Einweihung wurde zudem der Vorschlag unterbreitet, die neue allgemeine Bürgerschule „Friedrich August Bürgerschule“ zu nennen. Er wurde aber nicht ausgeführt.
2 Tage später begann der Unterricht im neuen Gebäude. Die Gesamtkosten betrugen ca. 29.000 Taler. Die Schule enthielt 22 Lehrsäle, die mit erwärmter Luft geheizt wurden. 29 Lehrer unterrichteten ca. 2.500 Kinder. Der Direktor bezog ein Gehalt von 1.100 Talern, die 4 ständigen Lehrer erhielten zwischen 500 und 800 Taler, 2 von ihnen waren vom Lyceum, die anderen beiden von den Mädchenschulen herüber genommen worden. Die übrigen Lehrkräfte waren Hilfslehrer. Sie waren auf Stundenlohn angewiesen und erhielten durchschnittlich 250 Taler.
Es entstanden eine höhere und niedere Abteilung mit je 6 Klassen und eine Selekta mit 2 Klassen. In Ersteren betrug das Schulgeld je nach Klassenstufe bis zu 8 Taler, in der Selekta bis 18 Taler jährlich. Kurze Zeit nach ihrer Eröffnung zeigte sich jedoch schon die Unzulänglichkeit dieser Einrichtung. 1832 wurde noch eine mittlere Abteilung mit 6 Klassen eingerichtet.
Unter Direktor Pomsel hatte sich in 25 Jahren die Schülerzahl, die Anzahl der Lehrer und Klassen enorm erhöht, ebenso die Chemnitzer Einwohnerzahl. Sie betrug 1855 ca. 36.500. Das einst bestaunte Bürgerschulgebäude an der Theaterstraße war längst zu klein geworden, weshalb das frühere Lyceum und verschiedene Privatgebäude zu Schulzwecken eingerichtet worden waren.
1855 werden im Verwaltungsbericht genannt: „Die allgemeine Bürgerschule, an welcher mit Einschluß des Direktors 51 Lehrer, 2 Expedienten, 4 Schulgeldeinnehmer, 1 Schulbote und 4 Hausleute angestellt sind, zerfällt in das Progymnasium, die höhere Bürgerschule, die mittlere Bürgerschule, die niedere Bürgerschule, die Abendschulabteilungen und in die Notschule. Die Gesamtzahl der Schüler beträgt in 103 Klassen 5.293 Kinder.“
Eine Teilung der Schule war zur unbedingten Notwendigkeit geworden. Im selben Jahr suchte man nach einem Bauplatz, den man in der Poststraße fand. 1857 bezog die aus dem Progymnasium entstandene Realschule 1. Ordnung in Gemeinschaft mit der ebenfalls abgesonderten Bürgerschule das für damalige Zeit prächtige Schulgebäude, das wiederum ab 1879 als neues Rathaus diente.
Aber auch für die im alten Gebäude zurückgebliebenen Abteilungen wurde das Haus bald zu klein, schon nach 3 Jahren mußte das an der Waisenstraße erbaute Doppelschulhaus in Gebrauch genommen werden. Weitere Entlastung bei der rasant steigenden Einwohner- und Kinderzahl brachte die Eröffnung des Städtische Realgymnasium an der Reitbahnstraße 1869. Weitere Bezirksschulen folgten in den 1870er Jahren.
Über 60 Jahre hat das Bürgerschulgebäude an der Theaterstraße für schulische Zwecke gedient. Am 10. April 1892 wurde es als Schuleinrichtung geschlossen. Die letzten Klassen der 1. Bezirksschule bezogen ihr neues Heim an der Kastanienstraße, wo ein wenig verspätet am 2. Mai der Unterricht begann.
Im September 1892 waren die Umbaumaßnahmen für die zukünftige Nutzung soweit abgeschlossen, daß mit der Übersiedelung der Stadtbibliothek begonnen werden konnte. Anfang Januar 1893 konnte sie dann in den alten Gemäuern zur Benutzung für das Publikum geöffnet werden. Dazu im nächsten Beitrag mehr.
(Quellen: u.a. Mitteilungen des Vereins für Chemnitzer Geschichte, Jahrbuch 1929-30 – Seiten 47-53; Festschrift anlässlich der Deutschen Lehrerversammlung Pfingsten 1902 in Chemnitz Seiten 68-77, versch. Ausgaben des Chemnitzer Anzeigers zu finden unter SLUB-Dresden.de; u.a.)