Ein etwas ungewöhnliches Objekt, das sich einst am Schloßteich befand, möchte ich heute vorstellen, den Eiskeller der 1857 errichteten „Actien-Lagerbier-Brauerei zu Schloß-Chemnitz“.
Lange Zeit stand er als Charakteristikum am Schloßteichufer, der zur winterlichen Eiszeit die Chemnitzer Jugend anlockte, die interessiert dem Transport der riesigen Eisplatten von der Schloßteichdecke in die geheimnisvollen Tiefen des Eishauses zuschaute. Wie lange hat der Eiskeller oder das Eishaus nun bestanden?
Um das wohlbekömmliche Getränk auch in unserer Gegend in größeren Mengen herzustellen, war es notwendig, eine nicht unbedeutende Menge Eis zum Kühlen und Lagern zur Verfügung zu haben. Auch unter diesem Aspekt war das Grundstück des Rittergutes Schloßvorwerk 1856 ausgewählt worden, nah am Schloßteich, der dieses Natureis in den Wintermonaten lieferte.
Aus den alten Akten der Schloßbrauerei geht hervor, dass im Jahre 1857 der damalige Besitzer des Schloßteiches, Junghänel, den Käufern des ihm gehörenden Rittergutes Schloßvorwerk bei Chemnitz gestattete, gegen ein jährliches Entgelt von 75 Talern so viel Eis aus dem unmittelbar unter seinem Gelände gelegenen Schloßteich zu entnehmen, wie für den Betrieb der auf dem auch als „Erb- und Allodialgut“ bezeichneten Grundstück zu errichtenden Brauerei erforderlich war. Zur Abfuhr des Eises durfte der dem Verkäufer gehörende frühere Schloßteichdamm als Fahrweg benutzt werden. Ein erster Eiskeller zur Lagerung entstand also unmittelbar mit der Errichtung der Brauerei.
Bereits 1866 musste er für einen außergewöhnlichen Umstand herhalten: Zur Unterbringung der Leichen des Unglücks Anfang Dezember, als das Eis des Schloßteiches einbrach und 13 Personen im eiskalten Wasser ertranken. Lest dazu meinen Beitrag: Das tragische Unglück auf dem Schloßteich…
1870 finden wir dann im Bericht der Aktiengesellschaft der Brauerei einen Posten auf dem Immobilienkonto in Höhe von 8.700 Taler zum Neubau eines Eishauses, geschuldet der geplanten Erhöhung der Produktion. 1870/71 wurden ca. 16.100 Hektoliter des edlen Gerstensaftes hergestellt, 1871/72 wird dann bereits ein Ausstoß von ca. 34.600 Hektoliter in den Geschäftsberichten verzeichnet. Wir können also von der Errichtung des abgebildeten Gebäudes in dieser Zeit ausgehen, dessen eigenartiger Stil mit den 4 Türmchen – als Abzüge zur Entlüftung – dem damaligen Geschmack entsprach.
Bei seinem Bau wurden links und rechts vom Eingang zwei alte Wappensteine eingemauert, die als bemerkenswerte Zeugen aus der Geschichte unserer Stadt galten. Der eine Stein stammte aus dem Jahre 1532, also noch aus der Zeit des Benediktinerklosters. Er trug neben dem verwitterten Wappen des Abtes Hilarius von Rehberg in fast unleserlich gewordenen Buchstaben eine Aufschrift, die wohl auf dessen zehnjährige Amtszeit als Abt des Bergklosters hinwies. Abt Hilarius, der den weltlichen Freuden keineswegs abgeneigt gewesen sein soll, trat bekanntlich nach Aufhebung des Klosters im Jahre 1541 zum lutherischen Glauben über, heiratete später die Tochter des Chemnitzer Bürgermeisters Heintze und starb im Jahre 1551.
Auf dem anderen Stein waren das kursächsische Wappen und die Jahreszahl 1648 sowie Buchstaben gemeißelt, die bedeuten: „Von Gottes Gnaden Johann Georg Herzog zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg, Churfürst.“ Er erinnerte also an Kurfürst Johann Georg I., der von 1611 bis 1656 regierte. Wo die beiden Wappensteine früher angebracht waren, lies sich schon 1939 nicht mehr feststellen.
Nachdem der Schloßteich in städtischen Besitz übergegangen war, wurde im September 1875 ein ähnlicher Vertrag zwischen dem Rat der Stadt Chemnitz und der Brauerei abgeschlossen, in dem die Stadt das Verfügungsrecht über das Eis, das sich innerhalb einer bestimmten Grenze an dem nach dem Brauereigebäude zu gelegenen Ufer bildete, an die Brauerei abtrat. Während der Wintermonate durfte die Brauerei zur Gewinnung und zum Transport des Eises, dessen Verkauf an Fremde ihr nicht gestattet war, die notwendigen technischen Vorrichtungen aufstellen.
Die Eisbildung auf dem Schlossteich war selbstverständlich von der Witterung im Winter abhängig. Zudem gab es bei Natureis hygienische Probleme, da es sich um ungereinigtes Oberflächenwasser handelte, und selbstverständlich Bakterien und Keime enthielt. Nach warmen Wintern reichte das Eis mehrfach nicht aus, um den Bedarf zu decken, und so wurde es unumgänglich, neue Möglichkeiten der Eisgewinnung zur schaffen. Im Laufe der Jahre 1891 bis 1899 kaufte die Actien-Brauerei weitere Eishausgrundstücke in Frankenberg, Mittweida und Aue. Auch besaß sie sie seit 1877 einen weiteren Bierkeller in Gössnitz.
Aber auch vor der technischen Entwicklung wurde nicht haltgemacht.
In den 1870er Jahren entwickelte Carl von Linde (1842–1934) seine Kältemaschinen. Zunächst wurden sie nur in großen Betrieben eingesetzt, da es sich um tonnenschwere Anlagen handelte, und für ihren Betrieb eine Dampfmaschine sowie ein Kesselhaus vorhanden sein mussten. Vor allem die Großbrauereien stellten die Kühlung der Keller schnell von Natureis auf die neuen Kühlmaschinen um. Die Chemnitzer Actien-Brauerei besaß allein 6 dieser Kühlaggregate am Anfang des 20. Jahrhunderts. 1910 produzierte man bereits über 200.000 Hektoliter Gerstensaft in verschiedenen Varianten. Die Chemnitzer Firma Maschinenfabrik Germania vormals J.S. Schwalbe lieferte dazu schon frühzeitig die benötigten Brauerei- und Mälzereianlagen. Unter ihrem Direktor Richard Schwalbe wurden auch Eis- und Kühlmaschinen entwickelt. Den Umstand des in allen Bereichen wachsenden Bedarfes an Kunsteises machte Schwalbe sich bei der Errichtung der 1. Chemnitzer Krystall-Eisfabrik auf der Limbacher Straße zu Nutze. So konnte er seine selbstgefertigten Eis- und Kühlmaschinen testen und verbessern. Von 1884-1898 belieferte er die Chemnitzer Eismagazine mit Kunsteis, auch für die immer mehr in Mode kommenden „Eisschränke“, einer mit Dämmstoff und Holz ausgerüsteten Kiste, in deren Mitte frische Produkte lagerten.
Die Brauerei selbst verfügte 1911 bereits über drei Eisgeneratoren, die täglich bis zu 900 Zentner Kunsteis lieferten. Die Selbstherstellung des künstlichen Eises war rentabler, hygienischer und einfacher, das Eiskellergebäude diente nur bis zum Jahre 1919 seiner ursprünglichen Bestimmung als Aufbewahrungsort für Eisblöcke. In diesem Jahr soll auch das letzte Mal Natureis aus dem Schlossteich geholt worden sein, schon lange nicht mehr für die Bierproduktion, sondern nur noch zu Kühl- und Lagerzwecken in den Kellern und Schuppen der Brauerei.
Zur Kühlung baute man nach dem 1. Weltkrieg nur noch oberirdische Kühlhäuser, so wie wir sie heute noch kennen. Durch die Nutzung von elektrischen Kompressoren konnten Kühlmaschinen überall eingesetzt werden. Im privaten Bereich nutzten die Menschen aber weiterhin noch lange Zeit das Stangeneis, das synthetisch in den Eisfabriken hergestellt wurde.
1939 gab der Chemnitzer Oberbürgermeister Walter Schmidt in der Beratung mit den Ratsherren seine Absicht bekannt, das Eishaus der Schloßbrauerei, das seit 20 Jahren nur noch als Lagerraum genutzt wurde, anzukaufen. Das Gebäude, das die Übersicht an der Einmündung der Hechlerstraße in die Schloßteichstraße behinderte, sollte aus Gründen der Verkehrssicherheit abgebrochen werden. Die freiwerdende Fläche·sollte in eine gärtnerische Anlage umgewandelt werden, soweit man sie nicht für eine verbesserte Straßenführung benötigte.
Der Verkauf des Eiskellers an die Stadt während des 2. Weltkrieges kam nicht zustande; für den Lagerraum musste erst Ersatz geschaffen werden, die finanziellen Mittel dafür und für den Kauf waren in dieser Zeit kaum aufzubringen. 1945 wohl noch erhalten, wurde der baufällige Eiskeller bis 1953 abgerissen und das Gelände geräumt.
Heute erinnert nichts mehr an den Eiskeller. Mit der Erweiterung der Anlagen auf dem Schloßberg wurden dort eine Treppe und eine Terrasse angelegt, die unter dem inzwischen stattlichen Baumbestand auf der ehemaligen Grundstück des Gebäudes zum Verweilen einladen.
(Quellen u.a.: Artikel in der Chemnitzer Tageszeitung vom 15.Juli 1939; Festschrift zum 60jährigen Bestehen der Aktien-Lagerbier-Brauerei zu Schloß-Chemnitz 1917; Geschäftsberichte ab 1887 in „Die Sächsischen Aktien-Gesellschaften und die an sächsischen Börsen kurshabenden Staatspapiere, sonstige Fonds und Industriewerte“; und dieser gut recherchierter Beitrag über Eiskeller auf der Webseite Berliner Unterwelten)