Die Geschichte der repräsentativen Villa an der Beyerstraße 32 in Chemnitz, heute ein weniger bekanntes Architekturdenkmal, ist untrennbar mit ihrem Bauherrn und Erstbesitzer, dem Bankier Julius Oscar Tetzner, verbunden. Geboren im Jahr 1855, war Tetzner nicht nur ein bedeutender Kaufmann, sondern auch ab 1899 Direktor der neuen Chemnitzer Filiale der Dresdner Bank und später Mitglied der Handelskammer Chemnitz. Vorher war er seit 1890 Mitinhaber des 1870 gegründeten Bankhauses Fritz Metzner in der Zwingergasse 2. Er war weit eine weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannte und beliebte Persönlichkeit. Sein Einfluss reichte weit über das Finanzwesen hinaus, was sich in seinem umfangreichen ehrenamtlichen Engagement widerspiegelt: Er war bereits ab 1891 der erste Vorsitzende der Singakademie zu Chemnitz und stand von 1907 bis 1912 dem Beirat des Christlichen Vereins Junger Männer vor. 1911 wurde sein gesellschaftliches Ansehen mit der Verleihung des Ritterkreuzes des Albrechtsordens 1. Klasse gewürdigt. Bekannt geworden sind auch seine zahlreichen Geld- und Sachspenden, beispielsweise ein wertvoller Abendmahlkelch für die Schlosskirche in Chemnitz aus Anlass der Konfirmation seiner Tochter im Jahr 1904, sowie für Stiftungen, Vereine und soziale Projekte.
Frühzeitig verlor Oscar Tetzner seine Frau Marie Elise geb. Weicker. Nach längerem Leiden starb sie, 42jährig, am 10. Juli 1903. Aus der 1884 geschlossenen Ehe gingen 2 Töchter hervor: Lisa, die 1918 als zweiten Mann Regierungsbaurat Paul Riedrich aus Plauen ehelichte und Käte, seit November 1910 verheiratet mit Oberingenieur Fritz Kinkelin aus Frankfurt/Main.
Als erfolgreicher Chemnitzer Geschäftsmann gab Tetzner den Bau seines privaten „Schmuckstücks“ selbst in Auftrag. Die Villa Tetzner wurde in den Jahren 1897 bis 1898 erbaut, er bezog sie ab April 1898. Es wurde nicht erst nach der Jahrhundertwende gekauft, wie in manchen Quellen fälschlicherweise angenommen wird. Tetzner wohnte selbst in dem Anwesen und verbrachte dort seinen Lebensabend, bis er Ende Januar 1921 im 66. Lebensjahr starb. Er wurde auf dem Städtischen Hauptfriedhof beigesetzt. Der Verstorbene hatte bereits Ende März 1915 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt als langjähriger Direktor der Dresdner Bank niedergelegt. Zudem war er Aufsichtsratsmitglied verschiedener großer Unternehmen und Aktiengesellschaften, darunter die Wanderer-Werke A.G., die Elektrizitäts-A.G. vorm. Hermann Pöge, Max Kohl A.G. in Chemnitz und in der Wirkwarenfabrik der Julius Hunger AG, Taura bei Burgstädt.
verschiedene Ansichten der Villa Beyerstraße 32 – im 3. Bild sind gut die Erweiterungen 1910 zu erkennen – Postkarten vermutlich von Tetzner selbst herausgegeben
Die zweite entscheidende Bauphase erfolgte von 1908 bis 1910, als Tetzner die Villa durch den in Chemnitz geborenen Berliner Architekten Heinrich Straumer, der später unter anderem in Chemnitz das Gebäude der Dresdner Bank und den Chemnitzer Hof entwarf, umgestalten und erweitern ließ. Das Anwesen gilt als ein bedeutendes Kulturdenkmal, dessen Architektur und Grundstücksgestaltung von baugeschichtlicher und gartenkünstlerischer Bedeutung sind. Insbesondere der in diesem Zeitraum gebaute Musiksalon mit seiner Mahagoniholz-Täfelung und den Formen des geometrischen Jugendstils zeugt von der hochwertigen Innenausstattung des Anwesens. Der 2017 restaurierte Salon schmückte sich einst mit fünf hohen, bunt bemalten Glasfenstern, die nach Entwürfen des Künstlers Max Pechstein in Berlin gefertigt wurden, jedoch heute als verschollen gelten.
Nach dem Tod Tetzners und dem Ende seiner Ära begann die wechselvolle Geschichte des Anwesens. Zunächst belegte der Gewerbeakademiker Richard Schieke kurzzeitig die erste Etage. Ab Ende 1922 residierte hier Arthur Sussmann, der jüdische Direktor und späteres Vorstandsmitglied der Textilfabrik Gebr. Sussmann. Dessen Aufenthalt endete abrupt mit seiner Emigration nach Frankreich im März 1933.
Nach einer kurzen Phase des Leerstands wurde die Villa von 1935 bis zum Kriegsende von Waldemar Reinhold Heinitz erworben und bewohnt, dem Generaldirektor der Wirkmaschinenfabrik Schubert & Salzer.
In der DDR-Zeit erfuhr das Gebäude eine tiefgreifende Umnutzung, wobei die Beyerstraße zwischen ca. 1964 und der Wende in Kurt-Wieland-Straße umbenannt wurde. Zunächst nutzte die SED-Kreisleitung des Verwaltungsbereichs V das Gebäude. Später war hier ein Büro der Regierungskommission für Preise ansässig, gefolgt von der Sachgebietsleitung Trikotagen und Strümpfe des Wirtschaftsrates des Bezirkes Karl-Marx-Stadt (1973–1979). In den 1980er Jahren unterhielt der VEB Trikotagenkombinat Karl-Marx-Stadt dort den Direktionsbereich Absatz. Nach der Wende zog das Architekturbüro Remmler in die Villa ein. Das umfassend rekonstruierte und sich heute in Privatbesitz befindliche Anwesen dient nunmehr teilweise als „Parkresidenz” mit Apartment und kann zugleich für Veranstaltungen und private Feiern gemietet und genutzt werden.
Die Villa Tetzner bleibt ein eindrucksvolles architektonisches Zeugnis der Chemnitzer Geschichte und ihrer wechselnden Epochen.
(Quellen u.a.: Adressbücher der Stadt Chemnitz, versch. Zeitungsausschnitte sächsischer Tageszeitungen; zu finden unter SLUB-Dresden.de; Berliner Architekturwelt 1914 zum Wirken Straumers; Bilder aus der Sammlung Chemnitzer Hobbyhistoriker)