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Die Chemnitzer Nachtwächter

    Ab dem 15. Jahrhundert wurde es in Deutschland üblich, in den Städten Nachtwächter einzusetzen, die die Stunden ausrufen und die Nachtruhe zu wahren hatten, aber bei Gefahr, vor allem bei Feuer, Lärm schlagen mussten.

    Moritz Härtel „Auszug der Chemnitzer Nachtwächter am alten Rathausturm“

    In Chemnitz wurden um 1460 die Nachtwachen den Handwerkern übertragen. In zwei Trupps eingeteilt, mussten sie vom Stadttor aus nach beiden Seiten durch die Stadt die Runde machen, sie hatten zu „zirkeln“. Bewaffnet mit Spießen, Schwert und Laternen, zogen sie als Nachtwächter Abend für Abend aus. Der Wachführer war außerdem als einziger Wachmann mit einem Panzer bekleidet.

    In einer Chemnitzer Verordnung von 1488 wurden erstmals die Pflichten der „Zirkler“ genannt und die Zeiten festgelegt, in denen sie ihren Dienst zu verrichten hatten. Die Dienstzeiten bewegten sich im Sommer zwischen 10 Uhr abends und 3:00 Uhr morgens, im Winter von 7 Uhr abends bis 5 Uhr morgens. Sie hatten auch die Pflicht, nachts auf allen Gassenkreuzungen die Stunden auszurufen.

    Darstellung eines Nachtwächters im 19. Jahrhundert

    Zudem befand sich unter den alten Chemnitzer Ortsgesetzen aus vergangenen Jahrhunderten auch eine strenge Vorschrift, daß jeder Hausvater des Abends vor dem Schlafengehen noch einmal durch sämtliche Räume seines niederen Hauses gehen und Fenster und Türen prüfen und sorgfältig Umschau halten mußte, daß nirgends noch ein Licht oder ein Feuer brenne. Zu den Obliegenheiten des Nachtwächters gehörte es, auch dieses zu kontrollieren, aufmerksam durch die Gassen zu streifen und die Bürger zur Vorsicht bei Umgang mit Feuer zu ermahnen, wenn sie noch mit einer spärlichen Flamme des Nachts unterwegs waren.

    Im Jahre 1533, während der Amtszeit des berühmtesten Chemnitzer Bürgermeisters Georgius Agricola (1494-1555) wurden die „Zirkler“ auch als Nachtwächter bezeichnet.

    Dunkel und einsam lagen damals alle Straßen, denn an Straßenbeleuchtung war nicht zu denken, sie wurde erst einige Jahrhunderte später, im November 1791, in Chemnitz eingeführt. Dazu empfehle ich meinen Bericht „Nichts für Nachtschwärmer“. Nur hinter Butzenscheiben leuchtete aus manchem Hause Licht. Die Gassen waren meist in schlechtem Zustand, zeigten viele Löcher, in denen sich die Abwasser sammelten, die in jener Zeit von vielen Hausfrauen einfach auf die Straße geschüttet worden. Durch diese nachtdunklen, ungepflasterten und ungepflegten Straßen stapfen die Nachtwächter. Sie waren in ihren frühesten Zeit genau genommen Polizisten, die für Ruhe in Ordnung zu sorgen hatten, während die Bürgerschaft schlief. Auch die Einhaltung der Nachtruhe in den Wirtshäusern mußten sie durchsetzen.

    Historische Postkarte mit einem Gruß vom Nachtwächter/Türmer

    Eigentliche Nachtwächter treten in den Chemnitzer Akten erst im Jahre 1688 auf. Später stellte der Rat sogar eine ganze Nachtwächtermannschaft in seinen Dienst, für die die Aufgaben in einer Verordnung 1750 festgelegt wurden: „Die Nachtwächter aber sollen, ihrer Pflicht und Schuldigkeit nach, Stunden und Wachten richtig versehen, zugleich wo sie zur Unzeit, oder Ungebühr, Licht und Feuer gewahr würden aufmerksam seyn, und noch Beschaffenheit der Umstände, wenn einige Gefahr zu besorgen alsdann in den Häusern nach der Ursache zu fragen.“

    Es ist damals schon, wie Aufzeichnungen und Chroniken beweisen, notwendig gewesen, daß die Nachtwächter mit Waffen ausgerüstet waren, denn sie hatten manchen nächtlichen, aus Übermut, Trunkenheit oder Rachsucht angezettelten Überfall abzuwehren. Vor allem Studenten trieben gern allerlei Ulk und Unfug mit den Gesetzeshütern. Dabei kam es auch schon einmal vor, daß ein Nachtwächter sogar verprügelt wurde. Die studentische Jugend war an Schlagfertigkeit und derben Witz wohl manch einfältigem Nachtwächter überlegen und führte diesen oft stundenlang am Narrenseil herum. Aus solchen Begebenheiten heraus, die natürlich Einzelerscheinungen waren, erklärte sich hier und da später hin sicherlich die Ehrenbeleidigung in Form der Bezeichnung „Nachtwächter“ für einen einfältigen, ungeschickten und tölpelhaften Menschen. Andererseits rührte für diese gewisse Verachtung eines vielgeplagten und schlecht bezahlten Standes auch daher, daß damals die geschlossenen Innungen und Zünfte die Nachtwächter den Zöllnern, Totengräbern, Scharfrichtern und Schindern gleichstellten und damit für ehrlos hielten. Söhnen von Nachtwächtern war z.B. nicht gestattet, ein Handwerk zu erlernen. Erst der Reichsbeschluß von 1731 stellte die Nachtwächter gesetzlich den übrigen Bürgern gleich.

    Zeitungsartikel vom 6. Januar 1886

    Später waren sie hauptsächlich Feuerwächter, die bei ausgebrochenen Schadenfeuer durch Hornsignale Lärm schlagen und so die Löschmannschaften alarmierten. Gleichen Amtes waltete ja auch der Türmer auf dem Stadtturm, der viertelstündlich seine Rundgänge im äußeren Umlauf des hohen Turmes ausführte und Feuerwache hielt. Meist hatte der Thürmer sogar die Pflicht, den oder die Nachtwächter zu kontrollieren. Er spielte vom Turm in regelmäßigen Zeitabständen ein Signal, auf das die Nachtwächter mit ihrem Ruf zu antworten hatten. Geschah dies dann auch, konnte der Thürmer und nicht zuletzt die Bürger beruhigt sein, dass die Nachtwache gewissenhaft ausgeübt wurde.

    Ende des 18.Jahrhunderts wurden auch in den bisher vernachlässigten Vorstädten Nachtwächter angestellt. Noch 1880 wurden die drei Schloßchemnitzer Nachtwächter bei der Eingemeindung des Stadtteils in das städtische Wächterkorps übernommen.

    Im 19. Jahrhundert verschwanden die Nachtwächter immer mehr, sie wurden meist als Boten in den Stadtdienst übernommen. Der Stundenruf „Hört ihr Leute, lasst euch sagen, die Stunde hat jetzt zwölf geschlagen. verlöscht das Feuer und das Licht, damit euch kein Unheil geschieht“ war längst überflüssig geworden. Die Turmuhren verkündeten die Stunden durch Glockenschlag zuverlässiger und vernehmlicher als ein Nachtwächter.

    1886 gab es noch 40 Nachtwächter, deren Arbeit im Jahresbericht 1885 in dem beigefügten Zeitungsausschnitt genau dokumentiert ist. Sie waren im alten Rathaus untergebracht, 1891 erfolgte der Umzug in ein neues Wachlokal im Souterrain des neu errichteten Rathauses am Beckerplatz.

    1897 beschlossen dann die städtischen Behörden, das Institut der Nachtwächter zum 1.Oktober 1899 aufzulösen und deren Aufgaben den mittlerweile eingestellten Schutzleuten (der Polizei) zu übertragen. Anfang Januar 1899 berichtete der Oberbürgermeister Dr. Beck in der Stadtverordnetensitzung über den Stand der Abwicklung. Die Polizeimannschaften, denen das Nachtwachwesen übertragen wurde, hatten bis dahin in vier Polizeibezirken mehr Personal erhalten, bis zur endgültigen Auflösung zum 1. Oktober 1899 sollten auch die restlichen 3 Polizeibezirke die Aufgaben übernehmen. Das Nachtwächter-Institut zählte Anfang Januar 1899: 1 Wachtmeister, 1 Kontrolleur und 28 Wächter, die Schutzmannschaft 185 Köpfe, welche zum 1. Oktober auf 205 Köpfe erhöht wurde. Den zum 1. Oktober ausgeschiedenen Wachmännern (7 hatten anderweitig eine Anstellung gefunden) wurde seitens des Stadtrates ein wöchentliche Unterstützung von 3 Mark für treue Dienste zuerkannt, 6 Wachleute, die mehr als 25 Jahre vorweisen konnten, erhielten 6 Mark Unterstützung.

    Letzter Nachtwächter war Joh. August Hermann Thieme, dem diese schöne Postkarte nach über 33 Dienstjahren gewidmet wurde.

    Kunstspieluhr im alten Rathausturm 1937

    In dankbarer Erinnerung wurde den Nachtwächtern mit einer Figur im 1937 errichteten Kunstuhren- und Glockenspiel am Alten Rathaus ein kleines Denkmal gesetzt. Pünktlich um 22.00 Uhr ertönte das alte Nachtwächterlied vom Turm und erinnerte an alte Zeiten.

    (Quellen u.a.: Buch „Chemnitzer Kunst und Kunstgewerbe 1909-1912“; Beitrag vom ehemaligen Chemnitzer Türmer Stefan Weber im Chemnitzer Roland Heft 1/2003, Beitrag in der Chemnitzer Allgemeinen Zeitung 1939 zu den Nachtwächtern und versch. Artikel sächs. Zeitungen, zu finden unter SLUB-Dresden.de)

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