Direkt an der Kaßbergauffahrt, kurz bevor sie die Hohe Straße kreuzt und in die Weststraße übergeht, stand früher eine Bronzeplastik: die „Jägerin“. In unmittelbarer Nähe befand sich die Gaststätte „Kaßbergbastei“ und direkt gegenüber, in der Villa Hohe Straße 29, wohnte die Bildhauerin Hildegard Rudert. Die Skulptur stammt aber nicht von ihr, sondern von dem Berliner Bildhauer und Universitätsprofessor Hans Harry Liebmann.
Dass Liebmanns Diana-Statue an der Kaßbergauffahrt stand, war dem Chemnitzer Verschönerungsverein zu verdanken. Dieser war in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts gegründet worden, als Chemnitz zur Großstadt heranwuchs und es überall an optischer Attraktivität fehlte. Der Verein machte sich um die Gestaltung von Parkanlagen wie den Schlossteichpromenaden und die Aufstellung von Kunstwerken im öffentlichen Raum verdient. So verdanken wir ihm den Zipper-Brunnen auf dem ehemaligen Neumarkt und den Zierbrunnen in der Geibelstraße, der ursprünglich auf dem Getreidemarkt stand. Anlässlich seines 50-jährigen Vereinsjubiläums 1912 initiierte er auch den Ankauf der Liebmann’schen Diana-Statue.
In einer schlichten Feierlichkeit wurde die hübsche, überlebensgroße Statue vom Verschönerungsverein am 24. April 1913, die in den Anlagen an der Kassbergauffahrt Aufstellung fand, an den damaligen Chemnitzer Oberbürgermeister Dr. Sturm übergeben und mit herzlichen Dankesworten in den Schutz der Stadt übernommen.
Zuvor war sie bereits im König-Albert-Museum anlässlich der Charles-Palmie-Gedächtnisausstellung zu sehen. Von Palmie stammen übrigens auch die 4 Wandgemälde im Erfrischungsraum des Chemnitzer Rathauses, den Sie bei einer Rathausführung besichtigen können.
Das Motiv der römischen Göttin Diana bzw. ihres griechischen Pendants Artemis war in der historischen Kunst, in der symbolische Anspielungen eine große Rolle spielten, sehr beliebt. Sie war sowohl jungfräuliche Göttin der Jagd, wie die alternative Bezeichnung der Chemnitzer Statue als „Jägerin“ und die zugeordneten Attribute Bogen und Pfeilköcher zeigen, als auch Frauen- und Fruchtbarkeitsgöttin.
Sie galt als eine der künstlerisch gelungensten und vielleicht auch erotischsten Varianten dieser göttlichen weiblichen Gestalt, die damals in vielen deutschen Städten als Skulpturen aufgestellt wurden. In den 1920er Jahren stiftete der Chemnitzer Fechtclub einen Wanderpokal mit der Jägerin als Motiv für einen Städtewettkampf im Säbelfechten.
Die Chemnitzer Diana-Statue fiel dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer, wenn auch nicht der direkten Kriegseinwirkung. Ab 1941 lief die reichsweite Erfassungsaktion aller Gegenstände aus Buntmetall, um sie der Kriegsrüstung zuzuführen. Neben anderen Büsten, wie dem Vater-August-Denkmal am Königsplatz und den Figuren des Saxoniabrunnens auf dem Roßmarkt ereilte sie ein ähnliches Schicksal. Im Juli 1942 wurde sie zum Einschmelzen abgeliefert. Eine Schönheit war verloren.
(Quellen u.a.; Artikel im Wochenspiegel 05/1995; Artikel im Frankenberger Tageblatt vom 25.04. 1913; Bilder aus der dem Bestand der SLUB Dresden vom Verlag Brück & Sohn Meißen)