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Flutwelle rast durch Chemnitz

    Zum Postilion – Zwickauer Str. 8 – Blick Richtung Metropol-Theater

    Ein Bericht zur Unwetterkatastrophe am Abend des 26. Juli 1939.

    In den späten Nachmittagsstunden dieses Tages gingen über Hohenstein-Ernstthal, Oberlungwitz, Grüna, Siegmar-Schönau, Mittelbach, Ursprung und Leukersdorf schwere Gewitter mit heftigen Wolkenbrüchen nieder, die in den betroffenen Gebieten zu großen Überschwemmungen führten.

    Gegen 19.30 Uhr trat der durch Chemnitz fließende Kappelbach, der die Wassermassen aus dem Unwettergebiet nicht mehr fassen konnte, in der Nähe der Lützowstraße im Stadtteil Kappel über die Ufer und verwandelte in kurzer Zeit die Zwickauer Straße bis zum Falkeplatz in einen reißenden Strom.

    Die reißenden Wassermassen hatten bald den Falkeplatz erreicht und strömten in die Schadestraße. Aus der Nähe der Feldschlößchenbrauerei kam ein dringender Ruf: „Menschenleben in größter Gefahr! Viele Kinder müssen vor dem Ertrinken gerettet werden!“ Weitere Löschzüge wurden eingesetzt und vollbrachten das Rettungswerk.

    In der neunten Stunde des Abends erreichten die Wassermassen die Hauptfeuerwache. In Sekundenschnelle stieg die schmutzige Flut, und in kurzer Zeit waren die Fahrzeughallen und sämtliche Kellerräume überflutet. Mit dem anschwellenden Wasser in der Hauptfeuerwache trat das Schlimmste ein, was die Feuerlöschpolizei treffen konnte: Die Nachrichtenübermittlung war unterbrochen, die Telefonleitungen zerstört und sämtliche Feuermeldeschleifen im gesamten Stadtgebiet außer Betrieb.

    Die Stadt war ohne jede Verbindung mit der Hauptfeuerwache. Nach Rücksprache mit der Oberpostdirektion wurde in der Gaststätte „Am Falkeplatz“ eine fliegende Feuerwache eingerichtet und mit Telegraphisten besetzt, die alle Meldungen entgegennahmen. Die Oberpostdirektion hatte auch die Aufgabe übernommen, über den Leipziger Rundfunk die Chemnitzer Bevölkerung darüber zu informieren, dass alle Feuermelder wegen der Unwetterkatastrophe außer Betrieb seien und die Meldungen über Brände und Unglücksfälle an die fliegende Wache zu senden seien. Eine Anzahl von Lösch- und Spezialfahrzeugen sowie Krankenwagen waren inzwischen zum Falkeplatz gebracht worden und standen dort zum Einsatz bereit.

    Während des Anwachsens der Wassermengen wurden auch die freihabenden Beamten der Feuerschutzpolizei sowie zwei Löschzüge der Freiwilligen Feuerwehr zum Besetzen aller Fahrzeuge alarmiert. Die Einrichtung der Feuerwache in der Gaststätte und die Verlegung des Kommandos der Feuerschutzpolizei dorthin bewährte sich außerordentlich. Von hier aus wurden alle weiteren Maßnahmen getroffen und je nach Gefahrenlage Hilfe geleistet. Ein Karbidlager in der Aue war durch die Wassermassen außerordentlich gefährdet. Das Lager wurde gesichert und die Anwohner des Grundstückes und der benachbarten Häuser in anderen Gebäuden sowie in der Hauptfeuerwache untergebracht, um eine Gefährdung auszuschließen.

    Gegen Mitternacht begann das Wasser, dessen Grenze sich am Falkeplatz vom Kellerweg bis zur Rückfront der Deutschen Bank und in gleicher Höhe in der Aue bis zur Beckerbrücke erstreckte, langsam zu sinken.

    Der Kappelbach tritt über die Ufer – im Hintergrund das Tivoli-Theater

    In der Zwickauer Straße stand der Wasserspiegel um diese Zeit bis zur Höhe der Papierkästen, während er am Falkeplatz teilweise bis zur Mitte des Erdgeschosses der angrenzenden Häuser reichte. Sämtliche Keller der anliegenden Gebäude standen bis an die Gewölbedecke vollständig unter Wasser. In den frühen Morgenstunden konnte auch mit dem Auspumpen der Unmenge von Kellerräumen begonnen werden. In der 5. Morgenstunde wurde nochmals Hilfe zur Michaelisstraße angefordert, da das dortige Wehr mit allerlei Gegenständen verstopft war und eine erneute Überschwemmung drohte. Die Besatzung des Pionierzuges beseitigte auch hier in einstündiger Arbeit jede Gefahr.

    Die Unwetterkatastrophe, eine der folgenschwersten der 1930 Jahre, hatte bei vielen Bewohnern, Firmen und Geschäftsleuten erhebliche Schäden verursacht. In den folgenden Tagen wurden die Keller weiter ausgepumpt, die Instandsetzungsarbeiten an Gebäuden und Anlagen zogen sich noch lange hin.

    Das Hochwasser führte auch zu massiven Störungen im Telefonverkehr, vor allem in den tiefer gelegenen Stadtteilen am Falkeplatz sowie zwischen Falkeplatz und Kappler Drehe. Schnellstmöglich wurden behelfsmäßige Fernsprechanschlüsse hergestellt, um überhaupt wieder eine Verbindung der Feuerschutzpolizei mit der Bevölkerung herzustellen. Beim Kommando der Feuerschutzpolizei waren lange Zeit während der Katastrophe Bürgermeister Dr. Scheibner, Stadtrat Dr. Herold (der Dezernent des Feuerlöschwesens) sowie Stadtrat Genth anwesend, um an Ort und Stelle alle Sofortmaßnahmen durchzusprechen.

    Die Quellflüsse der Chemnitz, die Würschnitz und Zwönitz waren diesmal nicht unmittelbar betroffen. Glück für die Stadt in diesem Jahr, hatte sie doch schon im Januar 1932 mit ganz anderen Wassermengen zu kämpfen. Dazu später mehr.

    (Quellen: Bericht im „Türmer von Chemnitz“ 1939; im Frankenberger Tageblatt vom 27. Juli 1939; Bilder aus der Allgemeinen Zeitung Chemnitz vom 27.Juli 1939; u.a.)