Zum Inhalt springen

Vor 111 Jahren über dem Humboldtplatz

    Ein Gastbeitrag von Jürgen EichhornAG Sonnenberg-Geschichte

    Am 21. August 1912 versammelten sich tausende interessierte Chemnitzer und ihre Gäste auf der zwei Jahre später als Humboldtplatz bezeichneten Freifläche, um den angekündigten Überflug des Luftschiffes LZ 11 „Viktoria Luise“ hautnah mitzuerleben. Sie standen auf der gerade entstehenden oberen Fürstenstraße und dem südlichen Zugang zur Augustusburger Straße, um das große Ereignis aus nächster Nähe zu beobachten.

    Das Luftschiff war um 6.40 Uhr in Gotha gestartet. Um 9.15 Uhr landete der 148 m lange Zeppelin in Chemnitz auf dem Exerzierplatz an der Zschopauer Straße (heute: Bau- und Gartenmarkt). Nach einer feierlichen Begrüßung durch den Oberbürgermeister der Stadt, Dr. Heinrich Sturm, startete das Luftschiff gegen 10 Uhr vorzeitig zum Rückflug nach Gotha, da schlechtes Wetter vorhergesagt war. Als Besonderheit war deshalb ein Schleifenüberflug über die Stadt Chemnitz geplant und viele Fotografen der Stadt hatten rechtzeitig ihre Kameras vorbereitet. Bildmotive von diesem Überflug über Chemnitz gibt es einige, aber eine absolute Besonderheit konnte erst jetzt erworben werden. Ein Fotograf namens Kinder (?) war an Bord des Luftschiffes und machte einzigartige Luftaufnahmen, die bis heute unbekannt geblieben sind. Eine davon zeigt den späteren Humboldtplatz (345 m ü. NN) in Chemnitz.

    1

    Noch wird der zukünftige Humboldtplatz überwiegend landwirtschaftlich genutzt 

    2

    Firma „Herm. Riemann“ Metallwarenfabrik

    1893 wurde ein Grundstück auf der Gablenzer Höhe erworben. Man beginnt die Anlagen für das zukünftige Fabrikareal zu planen. Ein zweistöckiges Gebäude nebst Heizhaus auf der noch zu Gablenz gehörigen Dietzelstraße 25 wird 1894 bezogen.

    3

    Villa Riemann - Fürstenstraße 83

    der Firmengründer Otto Riemann zieht 1896 hier ein

    4

    Villa Riemann Hofer Straße

    Im Nachbargrundstück Dietzelstraße 25 (heutige Hofer Straße) ließ sich Otto Riemann 1908 eine repräsentative Jugendstilvilla errichten, in der später die ganze Familie wohnte.

    5

    „Kleingartenkolonie Riemann“

    1924 gegründet, heute Kleingartenverein „Fritz Heckert“ e.V.

    6

    die Häuser Dietzelstraße 33-35 und 24-26

    7

    Ziegelei von Theodor Dietzel

    Diese Ziegelei brannte das Baumaterial für die bereits errichteten Kasernengebäude an der Planitzstraße.

    8

    Aufzugs- und Kranfabrik Carl Hermann Findeisen

    ab 1887 errichtete man hier Produktionshallen und ein Verwaltungsgebäude

    9

    Paul- Gerhardt-Straße

    erste Gebäude sind entstanden

    10

    Würzburger Straße

    an ihr entstanden großzügige Häuser für Beamte und Offiziere

    11

    Bauplatz der späteren Humboldtschule

    schon bald werden hier die Bauarbeiten für die 1914 eingeweihte Schule beginnen, das heutige Johannes-Kepler-Gymnasium

    13

    Hofer Straße

    damals noch Dietzelstraße

    12

    Gartenbauverein Humboldtplatz

    1923 entstanden, heute „Kleingartenverein e.V. Humboldtplatz Chemnitz“

    Die Freifläche um den späteren Humboldtplatz hatte zu dieser Zeit noch einen feld- und wiesenartigen Charakter mit aufgestellten Heupuppen zum Trocknen (1). Weithin sichtbare markante Objekte waren der 1894 errichtete große Firmenneubau der Fahrrad- und Automobil-Lampen-Fabrik Riemann (2) mit den beiden Villen für den Vater Hermann Riemann an der Fürstenstraße (3) und für den Sohn Otto Riemann an der Dietzelstraße (heute: Hofer Straße) (4). Angrenzend an den Betrieb verpachtete der Firmeninhaber Brachland an Betriebsangehörige, aus dem später die „Kleingartenkolonie Riemann“ (heute: Kleingartenverein „Fritz Heckert“ e.V.) (5) entstand. Auf dem Grundstück von Otto Riemann ist im hinteren Teil die Remise und ein Tennisplatz zu erkennen. Entlang der Firma und gleichzeitig zur Verschönerung der angrenzenden Straße wurden rechts und links zahlreiche Bäume gepflanzt, von denen heute keine mehr vorhanden sind. Am oberen Bildrand sind die Häuser Dietzelstraße 33-35 und 24-26 (6) zu erkennen.

    Eine Besonderheit ist die sehr seltene Ansicht der für den Sonnenberg bedeutenden Ziegelei von Theodor Dietzel (7). Diese gehörte zur Zeit der Aufnahme anteilig dem Fabrikanten Otto Riemann, dem Architekten Wenzel Bürger und dem Tiefbauunternehmer Moritz Krause. Diese Ziegelei brannte das Baumaterial für die bereits errichteten Kasernengebäude an der Planitzstraße und für viele der neu zu errichtenden Wohnhäuser auf dem oberen Sonnenberg, aber auch für die geplante Humboldtschule.

    Nach der weiteren Bebauung des westlichen Teils von Gablenz, der seit dem 1. April 1900 zu Chemnitz gehörte, wurde die Ziegelei 1920 geschlossen. Geblieben sind der Name Dietzelstraße und die unzähligen Ziegelreste in den angrenzenden Gärten.

    Am linken Bildrand ist die 1857 gegründete Aufzugs- und Kranfabrik Carl Hermann Findeisen (8) zu erkennen, die ebenfalls die Möglichkeiten eines neuen Fabrikstandortes auf der Humboldthöhe nutzte und 1887 Produktionshallen und ein Verwaltungsgebäude an der Fürstenstraße errichtete.

    Die Paul-Gerhardt-Straße (9) befand sich noch im Bau, während an der fertiggestellten Würzburger Straße (10) immer mehr großzügige Häuser für Beamte und Offiziere entstanden. Erst mit dem Bau der Häuser Humboldtplatz 2/3 (1913/14), der Eröffnung der Humboldtschule 1914 (11) und der gleichzeitigen Pflanzung von Ahornbäumen nahm der Platz konkretere Formen an.

    Der 1. Weltkrieg (1914-18) und die darauffolgenden Jahre der Not und des Hungers verhinderten eine weitere Gestaltung des Humboldtplatzes. Als die Versorgung der Bevölkerung nicht mehr gesichert war, erlaubte die Stadt den Anbau von Kartoffeln und Gemüse auf der brachliegenden Fläche. Aus der befristeten Genehmigung wurde ein Dauerzustand, so dass 1923 der „Gartenbauverein Humboldtplatz“ (heute: „Kleingartenverein e.V. Humboldtplatz Chemnitz“) (12) entstand.

    Auch der Bau der Siedlung „Humboldthöhe“ (1929-1933) mit vorbildlichen sozialen Wohnbedingungen durch eigene Küche und Bad wertete das Umfeld des Platzes weiter auf.

    Mit dem Verfall der ehemaligen Riemann-Fabrik (zu DDR-Zeiten: VEB Fahrzeugelektrik) nach 1992 und dem Abriss der Querblöcke der Wohnsiedlung „Humboldthöhe“ (2005/06) erfuhr der Humboldtplatz einen Imageverlust, der erst durch die Sanierung der bestehenden Siedlungshäuser und den Umbau des ehemaligen Fabrikgebäudes zu modernen Eigentumswohnungen wieder korrigiert wurde. Inzwischen hat der Humboldtplatz in seiner Einheit von ehemaliger Fabrik, Wohnsiedlung und Schulgebäude wieder an öffentlicher Akzeptanz gewonnen.

    Dabei sollten die historischen Zusammenhänge und die Leistungen früherer Generationen, die zur Belebung des Stadtteils Sonnenberg beigetragen haben, nicht vergessen werden.