Zum Inhalt springen

Julifluten 1854

    Die Alarmglocken läuten, wenn Wolkenbrüche über unsere Region hinwegziehen und das mitgeführte Wasser vor allem in den Sommermonaten die Chemnitztalaue erreicht und regelmäßig für Hochwasser sorgt.

    Genau vor 170 Jahren, in der Nacht vom 8. zum 9. Juli 1854 entluden sich von 20 Uhr bis gegen Morgen gewaltige, wolkenbruchartige Regengüsse, so dass am nächsten Tag eine zerstörerische Wasserflut in die Stadt einbrach. Sie galt als das verheerendste Ereignis der damaligen Zeit und wurde nur von der Überschwemmung vom 5. bis 9. Juni 1771 übertroffen.

    Seit 2 Uhr morgens war bei starkem Regen das Wasser des Pleißbaches, des Kappelbaches, des Bernsbaches und der Gablenz, die später in die Chemnitz münden, stark angestiegen. Gegen 5 Uhr strömte der Chemnitzfluss bei der Fabrik von Becker und Schraps (heute Straßburger/Ecke Florian-Geyer-Straße) in das städtische Gebiet ein, lief die ganze Auen-Vorstadt und vereinigte sich auf Höhe des Pfortenstegs mit den in gleicher Wucht über die Zwickauer Straße hereindringenden Wassern des überfluteten Kappelbaches. Die Flut riss mehrere Stege weg und richtete große Verwüstungen an. Die Bleichen am Kaßberg waren überflutet. Das Gebiet von der Annaberger Straße bis zum heutigen Fischweg stand größtenteils, teilweise bis zu 2 sächsischen Ellen hoch (1 sächsische Elle ca. 0,56m), völlig unter Wasser. Der Schlossteich trat über die Ufer und überflutete die unterhalb des Wehres gelegenen Grundstücke.

    Die Flut stieg bis 5 Uhr morgens und begann dann wieder zu sinken. Mehrere Straßen der Stadt wurden erst gegen Abend wieder frei. Aus verschiedenen Gebieten wurden die Schäden beschrieben.

    Ausschnitt eines Stadtplanes um 1850 mit dem Gebiet der Annaberger Straße bis zur Nikolaibrücke mit den im Beitrag beschriebenen Fabriken

    Der Kappelbach hatte in dem seit 1844 mit Chemnitz vereinten Dorf Kappel und in der Niklasgasse neben zahlreichen Brücken, Stegen, Gartenhäusern und Zäunen auch ein allerdings altes Haus vollständig bis auf einige Bretter und Ziegel weggerissen und drei Häuser so stark beschädigt, dass sie nur noch durch Stützen gehalten werden konnten und wegen Einsturzgefahr polizeilich das Verlassen verfügt werden musste. In Kappel wurden allein 13 Familien obdachlos.

    Weiter betroffen waren u.a. die Grundstücke in der Nikolai- (oder Zwickauer) Straße, dort die Maschinenfabrik von Konstantin Pfaff – auch das 1. Gaswerk (Zwickauer Str.73), die Baumwollniederlage von L. Benndorf (Zwickauer Str. 8/10), und die Webwarenfabrik von Hösel und Comp. (Nikolai-Str.8). In einer Seifensiederei kam es zu einem Brand, als sich die Kalkniederlage entzündete, der aber schnell gelöscht werden konnte. Mehrere Anwesen an der Annaberger Straße wurden schwer in Mitleidenschaft gezogen, so die Spinnerei Becker u. Schraps mit Kattundruckerei, die Maschinenfabrik von F. L. Seyfert (Annaberger Str.18), die Druckfabrik von Webers und Söhne (Aue 1) und die Zinn’sche Brauerei (Aue 21).

    Der Strom führte allerhand Sachen, Türen, Pfosten, Zäune, Hausgerätschaften mit sich, und die Bogen der Nikolaibrücke vermochten das Wasser nicht zu fassen. Der Pfortensteg, welcher vom Graben über die Chemnitz nach dem Kassberg führte, wurde samt dem daneben liegenden Wehre weggerissen. Am meisten litten die Hinterhäuser unterhalb des Pfortenstegs, hauptsächlich die dort gelegenen Färbereien, von denen mehrere einstürzten, so daß alle Vorräte davon geschwemmt wurden. Von den Bleichen spülte das Hochwasser viel Wäsche weg.

    Auch die Aue, die Leipziger Straße und Teile der Äußeren Klostervorstadt waren von den Wassermassen überflutet worden, sowie die zwischen dem Schloßdamm und der Rochlitzer Straße gelegenen Grundstücke. Während das Wasser in der neuen Schwalbe‘schen Fabrik (Am Kassberg 5B) keinen merklichen Schaden anrichtete, hatte es in der Wollniederlage bei Oehme und Sohn (äußere Klostergasse 20) und anderwärts über eine Elle hoch gestanden und, außer auf andere Weise, durch Aufheben der Dielen vielen Schaden angerichtet. 

    Die Hösel’sche Fabrik an der Nikolai-Straße in einer Ansicht von 1856

    In den Hauptgebäuden der Richard Hartmann’schen Maschinenbaufabrik (Leipziger Sr.15) stand mit Ausnahme des Wohnhauses, alles unter Wasser. In dem Lokomotivwerkstatt stand das Wasser bis an die Räder der im Bau begriffenen Lokomotiven. Noch bis nachmittags 16:00 Uhr sah man auf der äußeren Klostergasse Kähne fahren.

    Verluste an Menschenleben waren zum Glück nicht zu beklagen. Ein Knabe von 12 Jahren, welcher in der Nähe der Kattundruckerei von Webers und Söhne ins Wasser fiel, wurde vom Strom aufs Feld getrieben und kam glücklich davon.

    Die entstandenen Schäden, welchen die Fluten in Chemnitz anrichteten, wurden auf nahezu 1 Million Thaler angegeben, umso bedauerlicher war es für die Betroffenen, dass sie keine Entschädigung von den Versicherungsgesellschaften erwarten konnten.

    Es traf natürlich auch wenig bemittelte Familien. Der Rat rief sofort zur Hilfeleistung auf: „Unter den Hartbetroffenen sind mehrere, welche die mühsame Frucht mehrjährigen Fleißes in wenigen Stunden verloren und all ihr Hab und Gut von den Wellen verschlungen sehen“ Am 13. Juli 1854 fand eine Benefiz-Veranstaltung im Thalia-Theater statt und die Vereinigten Musikkorps der Chemnitzer Garnison traten am 27. Juli 1854 auf. Nach einem Ende Oktober 1854 veröffentlichen Bericht waren für die Geschädigten insgesamt „805 Taler 22 Neugroschen 9 Pfennig, einschließlich 100 Gulden aus Bad Kissingen“ eingegangen.

    Verheerend wie dieses Ereignis war auch das Hochwasser von Ende Juli 1897, was ich bereits 2022 beschrieben habe. Auch 1939 und 1954 hatte der Sommermonat für Hochwasser in Chemnitz gesorgt. Diese Ereignisse sollen in kommenden Berichten betrachtet werden.

    (Quellen: Dresdner Journal, Leipziger Tageblatt, Zschopauer Wochenblatt, versch. Ausgaben vom Juli 1854; zu finden unter SLUB-Dresden.de)