An der Kreuzung der Moritz- und Zschopauer Straße stand bis 1945 eines der größten Veranstaltungshäuser der Stadt Chemnitz. Wenig wurde bisher darüber geschrieben, die Chronik des Kaufmännischen Vereinshauses ist ein Zeugnis der aufstrebenden Stadt am Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Zerstörung vor 75 Jahren.
Der am 31. August 1846 gegründete, für die Chemnitzer Handelsschaft so hochbedeutsame Kaufmännische Verein, hegte bereits in der Mitte der 1890er Jahren den Wunsch, ein eigenes Vereinshaus zu errichten. Der Kaufmännische Verein nahm in Verbindung mit etwa 40 anderen Vereinen die Angelegenheit in die Hand und suchte zunächst das allgemeine Interesse und besonders das der größeren Vereine dafür zu wecken, denn man vermisste in Chemnitz ein Saalgebäude größeren Stils.
Ursprünglich sollte auf dem 1896 erworbenen Grundstück, das man dem Entgegenkommen des damaligen Kommerzienrats Herrn Louis Hermsdorf verdankte, vormals der Düll‘sche Holzhof, ein Saalbau mit separatem Vereinshaus entstehen. Aus Kostengründen wurde davon abgesehen. Die Restaurationsräume, Bibliothek und Gesellschaftsräume wurden nach Überarbeitung der Entwürfe im Saalbau untergebracht. In der Mitgliederversammlung am 12. Mai 1898 wurde das Projekt genehmigt und, nachdem unter diesen Umständen auch die Erlangung des notwendigen Kapitals gesichert war, der Vorstand zur Bauausführung ermächtigt. Das Kapital für den Bau besorgte man sich durch Ausgabe von Schuldverschreibungen.
In einfacher, aber würdiger Weise wurde am 27.Oktober 1898, 11.30 Uhr, die Weihe der Grundsteinlegung zum Kaufmännischen Vereinshaus begangen. Die Stadtbehörden waren durch Herrn Oberbürgermeister Dr.Beck und Herrn Stadtverordnetenvorsteher Dr. Enzmann vertreten. Der Vorsitzende des Vereins, Buchhändler Josef Feller, eröffnete die Feierstunde mit einem Gedicht, Architekt Hirsekorn verlaß die Urkunde, wonach am 29. Juli 1898 mit Abbruch der alten Baulichkeiten und am 18. August der 1.Spatenstich zum Neubau erfolgte, welcher Herrn Baumeister Mehnert übertragen wurde. Der Baukostenvoranschlag betrug 650.000 Mark. In der verlöteten Blechrolle, die in der Steinöffnung versenkt wurde, waren eine Urkunde zur Vorgeschichte des Baues, die preisgekrönten Entwürfe, der Kostenvoranschlag, die letzten 3 Jahresberichte des Vereins, Ausgaben der 4 Chemnitzer Tageszeitungen, die Ansprache Fellers und der städtische Haushaltsplan enthalten. Nachdem auch die städtischen Vertreter mit den üblichen 3 Hammerschlägen und Glückwünschen folgten, schloss man die Feierlichkeit, der auch ein größeres Publikum und das Bauarbeiter-Personal beiwohnte und begab sich zu einem Frühstück ins „Victoria-Hotel“. Am Abend fand dann noch im „Gasthaus zur Linde“ eine große, natürlich zahlreich besuchte, Musikaufführung der Städtischen Kapelle statt.
Die Arbeiten gingen zügig voran. Der Bau erregte auch das journalistische Interesse, in einer Meldung vom 27.04.1899 lesen wir: „Zum Bau des kaufmännischen Vereinshauses wurden gestern Dienstag 6 Stück Unterzüge von riesigen Dimensionen angeliefert, nämlich 6 Stück Fichtenkanthölzer, welche bei einem Profil von 34×40 Zentimeter eine Länge von 18 ½ Meter hatten und 170 Zentner wogen. Geliefert wurden diese Unterzüge von Gebrüder Hering’schen Dampfsägewerke in Königstein, verwendet von Herrn Baumeister Otto Stäber hier.“ Schon damals eine aufsehenerregende logistische Meisterleistung.
Gerade einmal 10 Monate später, am 5.August 1899, wurde der letzte Nagel in den Dachstuhl geschlagen. Das offizielle Richtfest wurde am 8.August mit einer Feier, diesmal im „Bellevue“, mit einem Konzert und Ball begangen.
Die Eröffnung des Hauses fand nach genau 2jähriger Bauzeit am 26.August 1900 statt. Aber auch schon damals konnte man die veranschlagten Baukosten nicht einhalten, über 1 Million Mark soll der Bau gekostet haben. Mit 2 großen Konzerten, gespielt von der Wiener Johann Strauß Kapelle, wurde seinerzeit das Haus dem Verein und der Chemnitzer Bevölkerung übergeben.
Die Pläne zum Gebäude stammten vom Dresdner Architekten Herrn Richard Schleinitz, leitender Bauführer war der Chemnitzer Architekt K. O. Hirsekorn, die Architekten und Maurermeister C.L.Mehnert, Winkler und O.Stäber führten den Bau aus. Den Mittelpunkt bildete der große Festsaal, der 2.000 Personen fassen konnte und den eine prachtvolle Orgel zierte. Daneben gab es einen kleineren Saal, einen Garten und reichlich Nebenräume, Gast- und Vereinszimmer, eine Kegelbahn und dergleichen. Der erste Pächter, Georg Gründler, gab im Jahre 1900 ein Prospekt heraus, in dem er das Haus vorstellte, daraus diese Auszüge:
„..Die außerordentlich günstigen Bedingungen, sowie die hochfeine Bewirtung, die coulanten Preise, die vorzüglichen Qualitäten in Speisen und Getränken, werden sicherlich Anerkennung finden…
Der große Saal ist in seiner architektonischen Schönheit einzig. Lichtdurchflutet fördert und erhöht er unwillkürlich die Feststimmung…. Die Beleuchtung ist elektrisches Bogen- und Glühlicht und Gasglühlicht…. Die schönen breiten Treppen-Aufgänge, die Balkons und Gallerien sind eine schätzbare Eigenheit, von der die Besucher ausgiebigsten Gebrauch machen. Die Höhe des Saales beträgt 16 Meter, er ist also rauchfrei und gut ventiliert. Während der Wintermonate sorgt die große Zentralheizung für eine angenehme Wärme. Nicht zum letzten ist eine wunderbare Akustik vorhanden….
Die Restauration ist eine umfangreiche und vielgegliederte und hat sich durch gute Bedienung und eines zuverlässig arbeitenden Küchenapparates Anerkennung aus Nah und Fern erworben. Die eigentliche Gaststube ist altdeutsch in modernen Styl und sucht bei gutem Tropfen und gutem Imbiss das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Sie ist Sommer wie Winter ein Stelldichein für die gute Gesellschaft. Zum Ausschank gelangen hervorragende Biere, Weine nur feinster Firmen kommen zum Verschleiß.
Der 1.000 m² große Konzertgarten gewährt 7-900 Personen Aufnahme. Die ruhige Lage ermöglicht einen vollen musikalischen Genuss. Die Konzerte finden täglich statt von der Städtischen, Militär und anderen Kapellen. Die Konzerte erfreuen sich allseitig großer Beliebtheit.
Die Wirtschafts-Räumlichkeiten befinden sich im Souterrain. An der Vorderfront liegen Küche und Aufwaschraum nebst Eisbehälter, Anrichteraum und Fischbassin, sowie Raum für die kalte Küche. In der Mitte, durch 2 Einfahrten Licht erhaltend, liegen 2 Bierkeller, 2 Weinkeller, ein Conserven- und und ein Flaschenkeller. Daran schließt sich das Maschinenhaus für elektrische Kraft- und Lichtanlage. Sehr sehenswert. An der Rückseite ist die Durchfahrt überbaut und birgt ein Stuhl- und Tisch-Magazin. Die große Dampf- und Luftheizung bilden den Abschluß.“
Bis 1907 leitete Georg Gründler das Haus, ihm folgte G. Fischer, der bis 1915 als Direktor genannt wird. Alle Wirte wohnten zugleich im 3. Stock des Hauses, postalisch Moritzstraße 1. Ab 1916 bis 1931 finden wir Friedrich Christof Ahlburg – Wirtschaftsdirektion – im Adressbuch verzeichnet.
In dieser Zeit beginnt ab 1919 auch die Nutzung als Lichtspieltheater. Zuerst pachtet Bruno Siegert aus Siegmar einige Räume und betreibt unter den Namen „Lichtspiele Kaufmännisches Vereinshaus“ ein Kino mit bis zu 1.000 Plätzen, Spielzeit aber nur Freitags bis Montags. Ab Ende 1926 bis 1929 wird es eine Filiale der UFA-Lichtspiele, die an 6 Tagen in der Woche die neuesten Tonfilme dem Publikum präsentiert.
Von 1931 ab versucht sich Albert Borchers als Pächter. 1936 verlässt er das große Haus und übernimmt im Oktober den neu errichteten „Goldnen Anker“ an der Ecke Dresdner – Augustusburger Straße. Danach lesen wir bis zum bitteren Ende 1945 von einem Erich Bohring als Gastwirt. Dieser hatte das Metier von klein auf gelernt und führte mit 40 Angestellten das Haus wieder zu seinem guten Ruf zurück.
Die vielfältigsten Veranstaltungen hatte das Haus gesehen. Angefangen von großen Delegiertenversammlungen, Konzerten (u.a. waren die Comedian Harmonists 2x mal zu Gast), Sportveranstaltungen (Ringen, Boxen), die Wirte liesen kein Metier unversucht, Gäste in ihr Lokal zu locken. Nur der Garten schien wohl mit dem zunehmenden Verkehr an der Zschopauer nicht mehr so frequentiert zu sein. Also sich mit dem Feind verbünden und davon profitieren. Ab 1930 finden wir an der Kreuzung anstelle des ehemaligen Konzertgartens eine Großtankstelle mit Parkplatz, betrieben von der Großgaragen-Ges.m.b.H. mit Sitz in der Schadestraße 14-18.
Der Kaufmännische Verein blieb bis zu Zerstörung im Frühjahr 1945 Eigentümer des vielbesuchten Gebäudes. Die Kanzlei des Vereines, der um 1900 bei der Eröffnung des Vereinshauses bereits 1300 Mitglieder hatte, verblieb immer in diesem Haus. Führende Chemnitzer Persönlichkeiten wie Buchhändler Josef Feller und später u.a. Otto Weissenberger, Direktor des Chemnitzer Bankvereins, standen an der Spitze des populären Vereines und verhalfen dem Vereinshaus zu einer Spitzenstellung unter den Chemnitzer Veranstaltungshäusern bis zum 2. Weltkrieg.
(Quellen: Diverse Ausgaben des Chemnitzer Generalanzeigers, Adressbücher der Stadt Chemnitz – zu finden unter SLUB-Dresden.de, Festschrift zur Eröffnung des neuen Rathauses 1911, Broschüre von Georg Gründler zum Kaufmännischen Vereinshaus – Dank an Mike Hähle, u.a.)