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Das Kosmonautenzentrum im Küchwald

    Mein neuer Beitrag thematisiert die historische Entwicklung des Kosmonautenzentrums im Chemnitzer Küchwald, beginnend mit seinen infrastrukturellen Vorläufern bis hin zu seiner heutigen Funktion als etablierte Bildungs- und Freizeiteinrichtung.

    Pioniere gratulieren zur Eröffnung

    Vorhandene Infrastruktur: Fallschirmsprungtürme der DDR

    Die unmittelbare Vorgeschichte des heutigen Kosmonautenzentrums ist mit der Errichtung von Fallschirmsprungtürmen in der DDR ab Mitte der 1950er Jahre verbunden. Diese Türme, die im Rahmen der Fallschirmspringerausbildung der 1952 gegründeten Gesellschaft für Sport und Technik (GST) in allen Bezirken entstanden, dienten der Simulation von Fallschirmlandungen. Eine solche, ca. 30 m hohe Konstruktion befand sich auch im zum Volkspark umgestalteten Chemnitzer Küchwald. Dort mussten die jungen Sportler, an einem Schrägseil hängend, die Landung mit einem Fallschirm üben. Auch konnten sie den Absprung aus einer Flugzeugluke simulieren. Die exakten Errichtungs- und Rückbaudaten dieses spezifischen Turms sind gegenwärtig nicht eindeutig dokumentiert. 1956 wird er in einem Wanderbuch bereits erwähnt. Mit der Einführung der Sprungausbildung aus Motorflugzeugen im Jahr 1957 verloren diese Türme an Bedeutung, was zu verminderter Auslastung, mangelhafter Instandhaltung und teilweise zur Sperrung führte. Die Wartungskosten von bis zu 6.000,- Mark pro Turm alle zwei Jahre sowie Schwierigkeiten bei der Auftragsvergabe für Reparaturen verschärften die Situation. Bereits ab 1961 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen der GST und dem Ministerium für Nationale Verteidigung bezüglich des Betriebs und der staatlichen Aufsichts- und Zulassungspflicht. Im Jahr 1966 fasste die GST den Beschluss zum Abbau der noch existierenden Sprungtürme.

    Gründung und Etablierung des Kosmonautenzentrums

    Im Jahr 1963 stiftete der FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) Bundes- und Bezirksvorstand Karl-Marx-Stadt den Bau eines Kosmonautenzentrums für Kinder und Jugendliche als außerschulische Bildungseinrichtung im Chemnitzer Küchwald. Die Einweihung dieser damals einmaligen Freizeiteinrichtung  erfolgte im Rahmen des 5. Pioniertreffens, das vom 13. bis 16. August 1964 in Karl-Marx-Stadt stattfand. (erst 1979 folgte in Berlin das Kosmonautenzentrum im neuen Pionierpalast)

    Innerhalb einer elfwöchigen Bauphase realisierten Arbeiter aus Karl-Marx-Städter Bau- und Industriebetrieben, Mitarbeiter der SDAG Wismut und Angehörige der Feuerwehr die Anlagen. Als markantes Wahrzeichen der Einrichtung dient ein 36 Meter hohes Raketenmodell, das der ersten bemannten Weltraumrakete „Wostok“ nachempfunden ist, mit welcher der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin 1961 den ersten bemannten Raumflug absolvierte. Die Übergabe der Rakete erfolgte am 14. August 1964 mit einem großen Fest an der Küchwaldwiese.

    Der ehemalige Sprungturm wurde zunächst, ähnlich dem Startturm auf dem Weltraumbahnhof Baikonur, zum Einstieg in die Rakete erhalten.

    Entwicklung und programmatische Erweiterung

    Das „Kosmonautenzentrum der Jungen Pioniere“ erfuhr in der Folgezeit eine rasch ansteigende Popularität. Ab 1966 wurde der ständige Betrieb aufgenommen und das pädagogische Angebot kontinuierlich erweitert. 1967 erfolgte die Aufnahme in die Gesellschaft für Weltraumforschung und Raumfahrt der DDR. Im selben Jahr besuchte der sowjetische Kosmonaut Andrijan Nikolajew als erster Raumfahrer die Einrichtung. Ebenfalls 1967 wurde das Angebot durch eine Arbeitsgemeinschaft „Raketenmodellbau“ ergänzt. Die Besucherzahlen belegen die Attraktivität: Während der Sommerferien 1967 war es ein Anziehungspunkt für mehr als 5.600 Kinder aus allen Teilen der DDR, insgesamt machten sich in diesem Jahr über 13.200 Mädchen und Jungen mit der Weltraumfahrt bekannt.

    Bis 1969, fünf Jahre nach der Eröffnung, wurde eine kumulierte Besucherzahl von 50.000 registriert. Traditionell begann das Arbeitsjahr der Einrichtung am 12. April, dem Jahrestag des Raumflugs von Juri Gagarin. Im Jahr 1972 wurden erneut 12.000 Besucher gezählt. 1973 erfuhr die Bildungseinrichtung eine Erweiterung durch die Konzeption einer Wissensstraße über die sowjetische Orbitalstation „Salut“. Seit 1975 werden zudem permanente meteorologische Beobachtungen durchgeführt. Mutmaßlich in diesem Zeitraum wurde auch der auf den Bildern zu sehende Sprungturm als Gefahrenquelle zurückgebaut.

    Ehrung und prominente Besucher

    Eine bedeutende Würdigung erfuhr das Kosmonautenzentrum 1979 durch die Verleihung des Ehrennamens „Sigmund Jähn“, zu Ehren des ersten Deutschen im Weltall. Im Jahr 1980 konnten die Pioniere Sigmund Jähn und seinen sowjetischen Kollegen Juri Glaskow erstmals in der Einrichtung empfangen. Sigmund Jähn widmete sich nachhaltig dem Dialog mit nachfolgenden Generationen und zeichnete sich durch die Fähigkeit aus, komplexe raumfahrttechnische Sachverhalte verständlich zu vermitteln. Er besuchte das Kosmonautenzentrum in Chemnitz mehr als zehn Mal, zuletzt 2019 anlässlich des Jubiläums der Namensgebung, und prägte Veranstaltungen durch seine Persönlichkeit.

    In den 1980er Jahren verzeichnete das Kosmonautenzentrum jährlich bis zu 30.000 Besucher. Das Gästebuch dokumentiert neben diversen Fliegerkosmonauten auch junge Besucher aus 50 Nationen aller Kontinente.

    Modernisierung und institutionelle Veränderungen

    Im Jahr 1988 erfolgte eine grundlegende Sanierung der Einrichtungen. Durch Neubau, Rekonstruktion der Bausubstanz und eine zeitgemäße Neuausstattung, die auch ein Flugprogramm umfasste, schuf die Stadt die Basis für die fortgesetzte solide Arbeit der Bildungsstätte. Mit Wirkung zum 1. Januar 1989 wurde das Kosmonautenzentrum eine eigenständige Institution des Amtes für Jugend und Familie Karl-Marx-Stadt. Seit 1993 engagiert sich ein Förderkreis mit dem Ziel, „… die weitere Entwicklung der Einrichtung zu einer modernen und attraktiven Bildungs- und Freizeiteinrichtung für Kinder und Jugendliche zu fördern und mitzugestalten…“.

    Im Jahr 2001 ging die Trägerschaft des Kosmonautenzentrums vom Jugendamt Chemnitz auf die „solaris Förderzentrum für Jugend und Umwelt gGmbH (solaris FZU)“ über. In den darauffolgenden Jahren (2004-2007) wurden die Anlagen, Räumlichkeiten und das Raketenmodell modernisiert.

    Aktuelles Profil und pädagogische Ausrichtung

    Unter dem Leitmotiv „Faszination Raumfahrt erleben“ bietet das Kosmonautenzentrum Besuchern Einblicke in Aspekte der Raumfahrt. Das Angebot beinhaltet Raumfahrttests zur altersadäquaten Selbsteinschätzung der Raumfahrttauglichkeit. Seit seiner Gründung verfolgt das Zentrum das pädagogische Prinzip „Kinder für Kinder“: Qualifizierte Kinder der AG Stammpersonal („Stammis“) übernehmen Führungen und die Anleitung an interaktiven Exponaten.

    Mit seinen materiell-technischen Voraussetzungen und seinem wissenschaftlich fundierten sowie unterhaltsamen Angebot stellt die Freizeiteinrichtung ein attraktives Ziel für schulische Exkursionen dar und unterstützt einen praxisnahen Unterricht. In Verbindung mit dem 2017 neu errichteten Hochseilgarten und dem öffentlich zugänglichen Niedrigseilparcours bildet das Kosmonautenzentrum das erlebnispädagogische Zentrum im Küchwald.

    Regionale Bedeutung und Vernetzung

    Die räumliche Nähe zum Schullandheim sowie zu weiteren Freizeitattraktionen wie dem Botanischen Garten, dem Hochseilgarten Chemnitz, der Parkeisenbahn mit der Gartenbahn, der Schloßkirche und dem Schloßbergmuseum begünstigt die steigenden Besucherzahlen. Durch seine überregionale Wirkung leistet das Kosmonautenzentrum einen wertvollen Beitrag zur Attraktivität der Stadt Chemnitz. Zur Aufwertung des Freizeit- und Erlebnisbereiches Küchwald kooperiert es eng mit den hier vertretenen Institutionen und anderen engagierten Partnern.

    (Quellen: u.a. Beitrag zur Geschichte in der Stadtteilzeitung „Kasch“ Ausgabe 3/2014; Festschrift 50 Jahre Kosmonautenzentrum 2014; Webseiten: www.solaris-fzu.de und www.fallschirmjaeger-nva.de; Zeitungsberichte aus dem ND, BZ, NZ zu finden unter Zefys.de)