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Margeritentag 1911

    „Lebhaft sind die Geister, warm die Herzen und offen die Hände“.
    So titelte man zum Margeritentag am Dienstag, den 28.Februar 1911, also vor genau 110 Jahren.
    Der Gedanke, durch den Straßenverkauf einer künstlichen Blume große Summen für wohltätige Zwecke zu sammeln, stammt aus dem Norden, aus Kopenhagen. Die Ausführung dieser Idee hatte zur damaligen Zeit einen ausgezeichneten Erfolg. Eine Reihe deutscher Städte, wie Köln, Wiesbaden, Kassel, Nürnberg, Erfurt u.a.m., nahmen den Gedanken auf und zwar mit demselben großartigen Erfolg wie Kopenhagen.
    Auch in Chemnitz riefen bereits Ende Januar 1911 der Verein Krippe und der Albert-Zweigverein zu einem Margeritentag auf. Der Reinertrag des Unternehmens sollte beiden Vereinen zu gleichen Teilen zufließen.
    Der Frauenverein „Krippe“ kümmerte sich um die Betreuung von Kleinstkinder im Alter von 6 Mo­naten bis 3 Jahren, deren Mütter nachweislich an der Pflege ihrer Kinder verhindert waren. An Wo­chentagen von früh bis zum Ende der Arbeitszeit wurden in 2 Stationen, Jägerstraße 12 und Kanz­lerstraße 63 die Zöglinge betreut.
    Der „Albert-Verein“, dem viele Damen der hochgestellten Chemnitzer Bevölkerung angehörten, kümmerte sich unentgeltlich um die Unterstützung und Pflege armer Kranker, ein Vorläufer der Ar­beiterwohlfahrt. Sitz des Vereins war in der Friedrichstraße 1.

    Aufruf im Chemnitzer Tageblatt, 26.Januar 1911

    Die Festlichkeiten für den MargerItentag

    wurden bereits am Montag mit einer Festaufführung im Kaufmännischen Ver­einshaus eröffnet, der 400 bis 500 Perso­nen beiwohnten. Abends fand im großen Saal des Kasinos ein Phonola-Konzert statt, das sich zahlreichen Besuches er­freute und bei dem auswärtige und ein-heimische Künstler mitwirkten.
    Ein reges Leben und Faschingstreiben entwickelte sich schon in den frühen Morgenstunden des Dienstags. Schon mit dem Bäckerjungen erschienen eifrige jun­ge Damen, um ihre Margeriten möglichst hoch loszuschlagen.
    Zahlreiche Geschäftshäuser hatten ihre Gebäude beflaggt und ihre Auslagen mit Margeriten geschmückt. Von den festlichen Veranstaltungen des Dienstags machte das Sporthaus Schulze, in dem ein „Margeriten-Bräu-Stübl“ errichtet worden war, den Anfang. Hier wurde ein Frühschoppen den Damen der Gesellschaft kredenzt.
    Bei prächtigem Wetter herrschte während des Tages ein Verkehr in den Straßen, wie man ihn nur selten gesehen hat. Überall, auch auf den Bahnhöfen, in den Straßenbahnen, in öffentlichen Ge­bäuden versuchten muntere Damen jedem Passanten ein „Margeretchen“ zu verkaufen, und willig wurde der Obolus von 10 Pfennig entrichtet. Auch konnten Künstlerkarten ab 2 Mark erworben werden.

    Postkarte zum Margeritentag 1911

    Mittags folgten Platzmusiken an verschiedenen Stellen der Stadt. Eine besondere Sehenswürdigkeit bildete der Faschingsaufzug, den die Konkorden, Alemannen, Arminen (Studentische Vereini­gungen) und die Angehörigen der technisch-wissenschaftlichen Vereinigung der Gewerbeakade­mie nachmittags 2 Uhr veranstalteten. Der Aufzug, bei dem Humor vorherrschend war, war wohlvorbereitet und zeigte manch originelle Figur und Gruppe. Er begann bei den Technischen Staatslehranstalten und berührte die Hauptstraßen und Plätze der Stadt. Nachmittags wurden bei einer Schale Tee im Hotel Stadt Gotha, im Römischen Kaiser (Autoclub), im Carola-Hotel und den Festsälen des Hauptbahnhofes Vorträge auswärtiger und hiesiger Künstler geboten, die gut besucht waren. Abends wurde im Central-Theater, in Hartenstein’s Weinstuben und in zahlreichen anderen Lokalen Kabaretts und Konzerte zum gemeinsamen Zweck veranstaltet.

    Eine große Anzahl Geschäftsinhaber stifteten Geschenke und stellten 10 Prozent der Tageseinnahme dem Margeritenkomitee zur Verfügung. Die hiesigen Tageszeitungen schenkten künstlerische ausgeführte Plakate („Chemnitzer Tageblatt“), eine Margeriten-Zeitung („Allgemeine Zeitung“) und eine Margeriten-Postkarte („Neueste Nachrichten“).

    Der Margeritentag 1911 hatte vollen Erfolg. Bis 9 Uhr abends wurden vom Komitee eine Million Blumen ausgegeben, der Erlös des Tages erbrachte fast 90.000 Mark für beide Vereine. (Kaufkraftäquivalent zu heute 1 Mark = 5,60€, ca. 500.000 €)
    Im darauffolgenden Jahr wurde mit dem Heckenrosentag eine ähnliche Veranstaltung, wider der Kritik solcher Blumentage, durchgeführt.

    (Quellen: Chemn. Tageblatt 26.01.1907 (Sammlung Mike Hähle), Dresdner Nachrichten, Riesaer Tageblatt, 1./2.März 1911; Chemnitzer Kalender 1912; zu finden unter SLUB-Dresden.de u.a.)

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