An der Stollberger Straße, befand sich einstmals ein sehr beliebtes Ausflugsziel für die Chemnitzer Bevölkerung.
Diese Restauration als kleines Teil der Chemnitzer Geschichte möchte ich näher vorstellen.
Wann es entstanden ist, kann derzeit noch nicht genau gesagt werden. Anfang des 19. Jahrhunderts begann man mit der Chaussierung – den Ausbau und Befestigung – der vorhandenen Kommunikationswege, wie man die damaligen Verbindungen zu anderen Dörfern und Städten nannte. Üblich war damals auch noch die Erhebung von Chausseegeld, eine Art Wegegeld zur Benutzung. Ob das Haus dafür errichtet wurde, oder schon vorher eine Pferdestation (Ausspanne) für die vorbeiziehenden Händler und Fuhrleute auf dem Weg nach Neukirchen und weiter nach Stollberg war oder in das nahegelegene Chemnitz, bleibt noch zu klären.
1822 beschreibt Chr.Gottfried Kretzschmar, der Herausgeber der ersten Chemnitzer Zeitung, in seinem Buch „Chemnitz, wie es war und wie es ist“ erstmals die Stadt Chemnitz und deren Häuserstruktur ausführlich. Die Stollberger Straße ist noch wenig bebaut, als Grundstücksnummer 893 finden wir einen Hinweis auf ein „Sachsesches Haus“, der damalige Besitzer. Schon 1838 gibt uns der erste nachweisliche Adreßkalender von Chemnitz unter derselben Nummer den ersten Hinweis auf Leunerts (ein Schreibfehler) Schankwirtschaft.
Weitere Hinweise auf eine vor allem im Sommer sehr besuchte und beliebte Wirtschaft, der „Wind“ genannt, finden wir im Buch „Chemnitz, so wie es ist“ aus dem Jahre 1840. Daselbst wird bereits schon Concert- und Tanzmusik gehalten.
Auch im Buch „Sachsen in Bildern“ von J.G. Wieck lesen wir 1841 von der Leinertschen Schankwirtschaft, wie der „Wind“, dort nach dem damaligen Wirt, Karl Friedrich Moritz Leinert, genannt wird. Die erste bildliche Darstellung ist auch dort zu finden. Einzigartig im damaligen Chemnitz ist die Beleuchtung des Lokals und Gartens mit Gas, wie der Autor schreibt.
Noch 1860 finden wir den Wirt Leinert im Adressbuch als Eintrag, jetzt mit der Grundstücksnummer 1501 und Brandkatasternummer 1 unter der Rubrik: Außerhalb der Stadt und Vorstädte gelegene Gebäude.
Ab 1863 sorgt der Wirt Johann Friedrich Bergmann als neuer Gasthausbesitzer in den hübschen Localitäten für angenehmen Aufenthalt und gute Bewirtung. Seine Adresse lautet jetzt Stollberger Chaussee 1. Eine hervorragende Aussicht gewährender Gesellschaftsgarten mit Kegelschub ist für das Publikum vorhanden. So im Führer von Chemnitz von Julius Pinther im Jahre 1865 beschrieben. Sein Sohn Ferdinand Gustav übernimmt ab Ende 1880 die väterliche Wirtschaft.
Mit Übernahme der Restauration 1882 durch Franz Emil Kirsche lesen wir nun häufig in den Tageszeitungen von Veranstaltungen in diesem Hause. Er wirbt regelmäßig und erkennt die Zeichen der Zeit, führt sonntags Freikonzerte durch und veranstaltet öffentliche Ballmusiken. Im stetigen Konkurrenzkampf mit anderen Ausflugszielen stattet er sein Etablissement entsprechend aus, wie wir den Annoncen von 1884 entnehmen können. Auch wird die Restauration häufig in Wanderungen um Chemnitz als Rastplatz und Aussichtspunkt empfohlen. Anfang April 1892 wird dem Wirt Herrn Kirsche die Genehmigung zum Bau eines Aussichtsturmes erteilt. Mit der Eröffnung des 30 m hohen Friedrich-August-Turmes (benannt zu Ehren des sächsischen Königshauses) am 17. Juli 1892 war dieser Turm an der Stollberger Straße fortan eine stark besuchte Aussichtsplattform. Von ihr hatte man eine schöne Aussicht auf die neu entstandenen Villen am Stadtpark und in das Chemnitzer Becken hinein. Nur kurz verblieb ihm der Erfolg, schon 1894 lesen wir im Adressbuch von Kirsches Erben als Besitzer des Restaurants, seine Witwe übergab darauf das Restaurant an einen J.C. Weber, Schankwirt ab 1894/95.
Ab dem 1. Januar 1898 wurde das Grundstück der Stollberger Straße (postalisch jetzt Nr.69) zugeschlagen. Chemnitz expandierte, mittlerweile waren die Baustellen bis an das einstmals alleinstehende Grundstück herangerückt. Kein geringerer als der bekannte Werkzeugmaschinenfabrikant Bernhard Escher hatte im Grundstück Nr. 67 seine Villa errichtet. Ab 1902 wurden auch weitere Grundstücke in stadtauswärtiger Richtung erschlossen, 1906 finden wir dann als nächste Wirtin eine Frau Hedwig Klobe im Adressbuch genannt. 1910 schließlich wird als Geschäftsgehilfe bereits ein B.P. Müller genannt. Vermutlich heiratet er Frau Klobe, die für die kommenden Jahre als Schankwirtin den Wind am Leben erhielt, auch über den 1. Weltkrieg hinaus. Eigentümer ab 1911 war eine Firma „Cementindustrie Gebrüder Vetterlein“ in Glauchau. Schon zu dieser Zeit ist der Turm wahrscheinlich bereits abgetragen. Wie wir wohl annehmen müssen, den lieben Nachbarn geschuldet, die sich jetzt zwischen den fertiggestellten Parkstraße, Lortzing- und Haydnstraße ihr vornehmes Wohndomizil errichtet hatten bzw. es noch planten.
1920-22 finden wir im dann einen B. Emmrich als letzten Wirt im Adressbuch unter dieser Adresse, das Ende der Restauration. Das Haus übersteht die nachfolgenden Jahre als Wohngebäude, wird erst nach dem 2. Weltkrieg abgerissen. Heute stehen wir an dieser Stelle mehrstöckige Wohnhäuser.
(Quellen u.a.: Chemnitzer Bote und Generalanzeiger, Chemnitzer Adressbücher und die beschriebenen Bücher – zu finden unter SLUB-Dresden.de – Schrägluftbild-Viewer der Stadt Chemnitz)