Ein Projekt des Chemnitzer Spar- und Bauverein e.G.m.b.H.
Wie in den meisten deutschen Großstädten war auch in Chemnitz der Wohnungsbau seit Beginn des Ersten Weltkrieges nahezu zum Erliegen gekommen, da die finanziellen Voraussetzungen – preiswertes Baukapital – fehlten. Nachdem die Krise der Kriegsjahre überwunden war, begannen Siedlungsgemeinschaften und Genossenschaften der Wohnungsnot entgegenzuwirken. Eine davon war der 1900 gegründete „Chemnitzer Spar und Bauverein“, dessen Geschäftsstelle sich damals in der Zwickauer Straße 112 befand. In Gablenz begann die Genossenschaft 1922 mit dem Bau der „Gölitzhäuser“ an der Albrechtstraße, weitere Projekte folgten an der Garnisonstraße und der Claußstraße. 1927 wurde ein weiteres, ca. 19.000 m² großes Grundstück in Gablenz erworben, das von der Albrecht-, York-, Fürsten- und Münchner Straße begrenzt wurde.
Für die Gestaltung der Wohnanlage wurde ein Wettbewerb unter namhaften Chemnitzer Architekten durchgeführt, der zwar beachtliche, aber leider keine endgültigen Ergebnisse brachte. Vorstand und Aufsichtsrat beschlossen daher, die Arbeiten der Architekten Baurat Friedrich Wagner-Poltrock und Curt am Ende zwar für die Planung zu verwenden, die weitere Bearbeitung aber der Geschäftsstelle des Vereins zu übertragen. Die neue Rahmenplanung, mit der sich hauptsächlich Regierungsbaumeister Hans Schindler befasste, fand die Zustimmung des Stadterweiterungsamtes und der Bauberatungsstelle beim Baupolizeiamt. Hans Schindler war übrigens auch an der Planung der Hochgarage an der Zwickauer Straße beteiligt.
Bei der Grundrissgestaltung wurden insofern neue Wege beschritten, als den Erfordernissen der Zeit entsprechend auch eine Reihe von Kleinwohnungen, bestehend aus Wohnküche, Schlafkammer, Bad und Abort, mit einer Wohnfläche von ca. 42 m² im Obergeschoss vorgesehen wurden. Die Dreizimmerwohnungen, bestehend aus Küche, zwei Stuben, Bad und Abort sowie einem direkt belichteten Vorraum mit anschließender Loggia, erhielten eine Wohnfläche von ca. 54 m² in jeder Etage.
Insgesamt sollten 196 Wohnungen geschaffen werden. Die Dachgeschosse der einzelnen Häuser wurden so ausgebaut, dass für jede Wohnung zusätzlich 2 Kammern mit einer Gesamtnutzfläche von ca. 15 m² entstanden. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen wollte die Baugenossenschaft auf diese Kammern nicht verzichten, da die Bauordnung für diesen Block den Ausbau des Dachgeschosses zu Dachkammern zuließ.
Die Planung sah bei dem erworbenen, bis zu 10 m ansteigenden Terrain einen ca. 7.500 m² großen terrassierten Innenhof vor, der von der ehemaligen Wissmannstraße durchschnitten wurde. Diese im früheren Bebauungsplan vorgesehene und bereits fertig ausgebaute Straße wurde dem Verein seitens der Stadt zurück übereignet. Im Innenhof wurden neben Wäsche- und Kinderspielplätzen auch ein zentrales Gebäude mit Räumen für die Waschmaschine, eine Unterstellmöglichkeit für Motorräder und Räume für den Verwalter errichtet.
Die Straße zwischen der Münchner- und Yorkstraße blieb als Querverbindung bestehen, verlor jedoch ihren öffentlichen Status und Namen. Deshalb entschied der Vorstand, die Siedlung den Namen „Wissmannhof“ zu geben, um das Andenken an den Afrika-Forscher Hermann von Wissmann in unserer Stadt zu bewahren.
Bereits im Juli des Jahres 1927 wurden die Bauarbeiten für die ersten Häuser begonnen. Bis Oktober waren alle Gründungsarbeiten für die geplanten Gebäude abgeschlossen. Im März 1928 konnten 30 Wohnungen bezogen werden und im April desselben Jahres weitere 18. Von den insgesamt 196 Wohnungen im Wissmannhof, die auf 32 Häuser verteilt sind, wurden bis Ende 1928 insgesamt 162 Wohnungen bezogen. Lediglich das letzte Haus, das 34 Wohnungen umfasst, konnte aufgrund des äußerst strengen Winters nicht bewohnt werden. Der Bezug dieser verbleibenden 34 Wohnungen, von denen ein Teil mit Dampfheizung ausgestattet war, erfolgte schließlich erst im Mai 1929. Der damalige Mietpreis betrug 9,10 RM pro Quadratmeter Wohnfläche. Für die täglichen Besorgungen der Mieter in dieser großen Siedlung wurde es notwendig, 3 Verkaufsläden mit anschließenden Wohnungen einzubauen.
Fast unbeschadet überstand der Wohnhof die nächsten 60 Jahre. Nach Übernahme der als „AWG Ernst Schneller“ 1957 gegründeten „Chemnitzer Allgemeinen Wohnungsbaugenossenschaft eG“ wurde in den Neunziger Jahren eine denkmalgerechte Modernisierung der Gesamtanlage notwendig. Durch den Erhalt der wesentlichen Gliederungselemente und Integration einer Vielzahl von Einzelelementen wurde die Architektursprache der 20er Jahre gewahrt. Bei der Projekt- und Bauvorbereitung wurden die Genossenschaftsmitglieder und Mieter einbezogen; etwa 55 % sind nach Modernisierung in die Wohnanlage zurückgezogen.
Durch bedarfsgerechte Grundrissänderungen und den Ausbau der Dachgeschosse (Maisonettewohnungen) wurde zusätzlicher Wohnraum geschaffen. Insgesamt stehen 232 Wohnungen (insgesamt 13.850 m² Wohnfläche) zwischen 35 m² und 120 m² zur Verfügung, die auch ein Mehrgenerationenwohnen ermöglichen. Im Innenhof des Gebäudekomplexes trägt eine begrünte Tiefgarage mit 190 Pkw-Stellplätzen dazu bei, das Stellplatzproblem zu lösen. Der Außenbereich wurde gemäß früherer Planungen mit einem Kleinkinder- und Abenteuerspielplatz, Sitzgelegenheiten als Begegnungsstätte sowie Wäschetrockenplätzen für die Bewohner gestaltet.
Die Sanierung des Wissmannhofs mit dem Abschluß im Jahr 1998 wurde aufgrund ihrer stadtteilprägenden Wirkung und dem liebevollen, detailgetreuen Vorgehen mit dem „Deutschen Bauherrenpreis“ ausgezeichnet. Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Freizeitangebote und weitere Annehmlichkeiten befinden sich in unmittelbarer Nähe und ergänzen den Wohnkomfort im Wissmannhof.
Vielleicht sind Sie bald Teil dieser Mietergemeinschaft. Weitere Infos dazu unter https://www.cawg.de.
(Quelle: 30 Jahre Chemnitzer Spar und Bauverein e.G.m.b.H. – 1930, Sammlung Mike Hähle; u.a.)